Genetik und Medizin:Das Dorf der Gesunden

In einem Dorf in den Anden leben kleinwüchsige Nachkommen sephardischer Juden, die offenbar außergewöhnlich langsam altern. Schützt eine Mutation sie vor Krebs und Diabetes?

Werner Bartens

Sie sind nur einen Meter groß, und womöglich verbirgt sich in ihrem Erbgut das Geheimnis der Langlebigkeit. Erst 1987 wurden Forscher auf die Nachkommen sephardischer Juden in Ecuador aufmerksam. Der Hormonexperte Jaime Guevara-Aguirre kam mit dem Pferd in das Bergdorf mit den kleinen Menschen, zu dem keine Straße führt.

Seit 24 Jahren beobachtet er 99 minderwüchsige Bewohner. Jetzt ist er überzeugt: "Die Leute bekommen keinen Krebs und altern langsamer." Im Fachblatt Science Translational Medicine beschreibt er seine Befunde (Bd.3, S.70ra13, 2011).

Der Grund für den Kleinwuchs der Dorfbewohner ist eine seltene Mutation. Der Rezeptor für Wachstumshormon ist bei ihnen defekt, das Hormon findet daher kaum Andockstellen, um das Längenwachstum zu stimulieren. Die von der Genveränderung betroffenen Ecuadorianer erkranken jedoch nie an Diabetes. Auch Krebs bekommen sie seltener als die Normalbevölkerung. Da sie von beiden Leiden verschont bleiben, leben sie länger als der Durchschnitt.

In Tiermodellen und Zellkulturen verlangsamt ein Mangel an Wachstumshormon den Stoffwechsel und kann die DNS vor altersbedingten Schäden schützen. Würmer und Mäuse mit Rezeptordefekt litten seltener an Tumoren und lebten doppelt so lange wie normale Tiere. Die Forscher um Guevara-Aguirre hoffen auf Mittel, die den Hormonrezeptor blockieren, um Gesunde zu schützen.

"Ich bezweifele, dass so ein Medikament der Jungbrunnen wäre", sagt Hormonexperte Felix Beuschlein von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Wir behandeln viele Patienten mit Wachstumshormon-Defekt. Die sterben sogar früher." Beuschleins Kollege Martin Bidlingmaier hat den ersten Patienten in Deutschland mit Wachstumshormon-Blockern therapiert; der litt allerdings an einem Überschuss. "Ich denke nicht, dass gesunde Erwachsene davon profitieren", sagt Bidlingmaier.

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