Genetik:Abrissbirne fürs Erbgut

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Könnten Genscheren auch Trisomien wie das Down­syndrom behandeln? Wissenschaftlern ist es zumindest gelungen, in mehreren Zelltypen und im lebenden Tier ganze Chromosomen aus dem Erbgut zu schneiden.

Von Kathrin Zinkant

Manchmal bleiben Sensationen unbemerkt. So war das wohl auch am 2. August dieses Jahres, als in einem relativ unbekannten Fachjournal ein kurzer Forschungsbericht erschien. Australische Forscher beschrieben darin ein Gemetzel: Mithilfe der Genschere Crispr-Cas9 war es den Wissenschaftlern erstmalig gelungen, ein komplettes Chromosom zu pulversieren. Es war ein Beweis, dass Crispr-Cas nicht bloß für Feinarbeiten im Genom taugt - sondern auch als Abrissbirne.

Die möglichen Konsequenzen dieser Arbeit demonstrieren chinesische Wissenschaftler jetzt im Fachblatt Genome Biology: Einem Team um den Zellbiologen Hui Yang von der Peking University ist es gelungen, mithilfe von Crispr-Cas9 in mehreren Zelltypen und im lebenden Tier gezielt Chromosomen zu eliminieren. Dabei gelang es, das überzählige Chromosom in Zellen eines Menschen mit Trisomie 21, also dem Downsyndrom, zu entfernen. "Wir haben uns gefragt, ob diese starke Technologie dazu verwendet werden kann, Tiermodelle für Chromosomenfehler in verschiedenen Spezies zu generieren, und menschliche Aneuploidien zu behandeln, bei denen überzählige Chromosomen auftreten", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Arbeit.

Lässt sich eines Tages womöglich das Downsyndrom im Mutterleib behandeln?

Die Antwort, die das Team jetzt selbst gibt, lautet: Ja, vermutlich geht das - mithilfe von Sonden, die die Genschere gezielt an verschiedene Stellen im Chromosom führen. Es lassen sich dabei Versionen des gleichen Erbgutabschnitts unterscheiden, was wichtig dafür ist, einzelne Chromosomen eines Chromosomenpaars anzusteuern. Denn im Menschen ist das Erbgut zu 23 solcher Chromosomen aufgewickelt, die normalerweise doppelt vorliegen, mit je einer Version von Mutter und Vater. Aneuploidien entstehen, wenn von einem Chromosom oder Chromosomenteilen nur eines vorliegt - oder drei, wie bei der Trisomie des Chromosoms 21.

Pränataldiagnostische Verfahren ermöglichen es heute, eine Trisomie 21 von der neunten Woche an im Mutterleib zu erkennen und gegebenenfalls die Schwangerschaft abzubrechen. Was aber wäre, wenn sich das Downsyndrom behandeln ließe? Wie das Experiment aus China jetzt zeigt, ist es zumindest denkbar, mithilfe der neuen Crispr-Cas9-Genschere - oder einem noch wirkmächtigeren Nachfolger - auch "in utero" eines Tages eine Gentherapie durchzuführen, bei der überzählige Chromosomen zerstört werden. Die Chinesen setzten das Werkzeug in ihrem Experiment dafür bei Mäusen ein und untersuchten, ob die Genschere das Y-Chromosom der Nervenzellen von Mäuseföten im Mutterleib eliminieren kann. In 40 Prozent der Zellen, bei denen die Genschere aktiv wurde, war dies der Fall. "Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Eliminierung in vivo möglich ist", heißt es in der Studie.

Es gibt aber auch massive Probleme, die zeigen, dass das Verfahren weit von der Anwendung in der Klinik entfernt ist. Neben der geringen Effizienz gehören vor allem die Off-Target-Effekte dazu, also Schnitte an Stellen, die unerwünscht sind. Sie könnten zu einer Zerstörung weiterer Chromosomen führen, was im lebenden Organismus verheerend wäre. Insofern ist die Studie ein vielsagender Anfang, der ethische Betrachtungen nahelegt. Mehr aber noch nicht.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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