Gemischte Gefühle: Erhabenheit:Flüssige Wärme in der Brust

Schrecklich und schön zugleich - wieso Menschen in der Moderne auf die Erfahrung der Demut und Ergriffenheit - kurz der Erhabenheit - nicht verzichten sollten.

Christian Weber

War ja nur so ein Versuch, das Emotions-Experiment mit dem Dinosaurier. Jedenfalls zeugt die Studie des Forscherteams um Michelle Shiota und Dacher Keltner von der Berkeley University von einer methodischen Kühnheit, wie sie nur sehr pragmatische US-Psychologen zustande bringen:

Gemischte Gefühle: Erhabenheit: Ganz klein, demütig und zugleich ergriffen fühlen sich viele Menschen in der Gegenwart der riesigen Sequoias, die an der Westküste der USA wachsen. Die oft uralten Bäume vermitteln ihren Besuchern einen Eindruck von der Erhabenheit der Natur.

Ganz klein, demütig und zugleich ergriffen fühlen sich viele Menschen in der Gegenwart der riesigen Sequoias, die an der Westküste der USA wachsen. Die oft uralten Bäume vermitteln ihren Besuchern einen Eindruck von der Erhabenheit der Natur.

(Foto: AFP)

Die Forscher rekrutierten 50 Studenten und teilten sie in zwei Gruppen ein. Die eine wurde in einen leeren Flur geführt, den sie eine Minute lang betrachten sollte. Die andere Gruppe wurde in eine Halle des gleichen Gebäudes geführt, bei dem es sich um das paläontologische Museum der Universität Berkeley handelte. Auch sie sollte eine Minute den Raum betrachten, der sich allerdings durch das Objekt in seiner Mitte unterscheidet: die lebensgroße Replik eines knapp vier Meter großen Tyrannosaurus Rex.

Die Probanden sollten dann in einem spontanen Assoziationstest zwanzig Aussagen notieren zu ihrer aktuellen Einschätzung der Frage: "Wer bin ich?" So wollten die Psychologen herausfinden, was die Natur der Ehrfurcht ausmache, die ja wohl jeden Studenten angesichts des imposanten Skelettes ergreifen müsse.

Schade nur, dass die Ergebnisse ein wenig mau waren: Die Inhaltsanalysen der Testbögen ergaben kaum einen Unterschied in der emotionalen Selbstwahrnehmung. Allerdings habe sich bei der Dino-Gruppe etwas häufiger ein leicht "ozeanischer Typ" der Selbstbeschreibung gezeigt: Sie fühlten sich als "Bewohner einer Erde". Ehrfurcht?

Andererseits ist gerade dieses magere Studienergebnis aufschlussreich, weil es zeigt, dass sich Gefühle der Ehrfurcht, des Erhabenen oder gar des Numinosen und Heiligen eben nicht so leicht im wissenschaftlichen Setting reproduzieren lassen wie etwa die Panik eines Phobikers, dem ein Versuchsleiter am Monitor die Vogelspinne zeigt.

Erhabenheit bei Kant und Schiller

Erhabenheit verlangt mehr, wusste bereits Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft: "kühne überhangende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung versetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses", solche unermesslichen Phänomene der Natur, welche die Macht des Menschen "zu einer unbedeutenden Kleinigkeit" schrumpfen ließen.

Allerdings entstünde dieses Gefühl nicht als simple, physiologische Reaktion auf diese Naturschrecklichkeiten, vielmehr müsse der Mensch gegen die von ihm empfundene Ohnmacht gegenüber der Natur die Einsicht setzen, dass ihm seine Überlegenheit als moralisches Wesen bleibt: "Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt."

Egal, ob man Kant nun folgen mag, so ist es doch bis heute der kleinste gemeinsame Nenner in der ästhetischen Diskussion, dass die Erhabenheit - so schreibt es Friedrich Schiller - "ein gemischtes Gefühl" sei, "eine Zusammensetzung von Wehsein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann".

Man kann das auch profaner ausdrücken: Ein erhabenes Gefühl stellt sich ein, wenn der Schrecken der übermächtigen Natur in Sicherheit genossen werden kann. Begrenzten Sinn für das Erhabene seiner Aussicht hat der Kletterer in der Steilwand, der gerade merkt, dass sein Sicherungs-Haken wackelt - er bekommt schlicht Angst. Erhaben fühlt sich hingegen der Bergtourist, der die gleiche Felswand von einer sicheren Warte her bewundert.

Dass dieses Gefühl der Erhabenheit historisch so an Bedeutung gewonnen hat, ist wahrscheinlich auch den Malern von Caspar David Friedrich bis William Turner zu verdanken, die es mit Öl auf Leinwand geschafft haben, dass die Menschen diese zuvor als Droh-Natur wahrgenommenen Gebirge und Ozeane ästhetisieren. Erhabenheit wurde zu einem großen Thema der Kunst, der Musik und leider auch der Politik.

Als gefährliche Gemütsbewegung verufen

Spätestens mit dem Faschismus und dessen ästhetisch inszenierten Fackelmärschen und Massenveranstaltungen ist die Erhabenheit im öffentlichen Raum zumindest in Europa als irrationale, ja gefährliche Gemütsbewegung in Verruf geraten. Und das, obwohl die Autoren der Antike das Erhabene gerade im Rhetorischen sahen: "Das Erhabene zerreißt", schreibt Pseudo-Longinos, "wenn es im richtigen Augenblick hervorbricht, wie ein Blitz alle Dinge und zeigt mit einem Mal die ganze Gewalt des Redners."

In den USA glauben die Emotionspsychologen noch an die Macht der Rede, so auch Berkeley-Forscher Keltner, der nach dem Fehlschlag mit dem Dinosaurier gerne den Präsidenten der USA in sein Labor zitiert hätte. Keltner glaubt, dass Barack Obama in seinen Wahlkampfreden erhabene Gefühle bei seinen Zuhörern gestiftet habe, die sich auch messen ließen: Sie stimulierten den Vagus-Nerv, was zu "einem Gefühl von flüssiger Wärme in der Brust und eines Kloßes im Hals" führe.

Erhabener Phasenübergang von Jodkristallen

Keltners Kollege Jonathan Haidt von der University of Virginia wollte es noch genauer wissen: Er entdeckte, dass stillende Mütter im Labor deutlich häufiger spontan Milch absonderten oder ihr Kind an die Brust nahmen, wenn sie zuvor eine rührselige, moralisch erhebende TV-Reportage über ein Gang-Mitglied angesehen hatten, das von einem selbstlosen Lehrer vor dem Abgleiten in die Gewalt gerettet wurde. Haidt folgert, dass Erhabenheit in uns "den Wunsch weckt, ein besserer Mensch zu sein oder ein besseres Leben zu führen".

Solche pragmatischen Überlegungen sind weit entfernt von den existentiellen Gefühlen der Erhabenheit der Romantik. Zeitgenössischen Betrachtern fällt es schwer, beim Anblick noch der schaurigsten Landschaften Caspar David Friedrichs in eine erhabene Stimmung zu verfallen, allein schon deshalb weil man diese Bilder zu häufig gesehen hat auf Plattencovern, Keksschachteln oder in der Tourismus-Werbung. Es wundert nicht, dass der Begriff der Erhabenheit lange Zeit ziemlich staubte.

Wenig nachhaltig blieb der Versuch einiger Ästhetiker um 1990 herum, das Erhabene als Erfahrung des Unbegreiflichen in die abstrakte Kunst zu transportieren. Zwiespältig wirkt auch ein von dem Chemie-Nobelpreisträger Roald Hoffmann und dem Architekturhistoriker Iain Boyd Whyte aktuell herausgegebener Sammelband, der "Das Erhabene in Wissenschaft und Kunst" der Gegenwart entdecken will (Suhrkamp, 2010):

So entlarvt in eben diesem Band Kunsthistorikerin Elizabeth Kesserl die Hochglanz-Bilder des Weltraumteleskops Hubble als weitgehend computergenerierte Kunstprodukte. Und wer teilt schon den Enthusiasmus Hoffmanns, der beim Phasenübergang von Jodkristallen im Becherglas das Erhabene zu fühlen vermag?

Und da es die Dinosaurier-Skelette offenbar nicht so richtig bringen, wäre es vielleicht sinnvoller, wenn man sich an Kant erinnert, und von Zeit zu Zeit des Nachts in die Berge geht und den Sternenhimmel über sich bestaunt.

Groß ist die Wahrscheinlichkeit, dort etwas zu empfinden, das man erhaben nennen mag. Solche Empfindungen hat vielleicht der Philosoph Thomas Metzinger gemeint, als er in einem Interview von der Möglichkeit sprach, "dass es jenseits des infantilen Glaubens und des fanatischen Reduktionismus noch Dinge gibt, über die man überhaupt nicht reden kann. Sachen, die man vielleicht in einer unberührbaren Stille erlebt und am besten da lässt."

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