Geistreiche Tierwelt:Intelligenz-Bestien

Sie können sprechen, rechnen, täuschen. Tiere sind so schlau, dass sich Verhaltensforscher mittlerweile fragen: Wie einzigartig ist der Mensch?

Tina Baier

Wenn Putzerfische sprechen könnten, würden sie wohl von ihrer Arbeit als Friseure der Meere erzählen. Einer würde über seine letzte Kundin lästern, die Muräne, die er besonders zuvorkommend behandeln musste, um nicht von ihr gefressen zu werden. Ein anderer würde vielleicht eine seiner klugen Geschäftstaktiken verraten. Leider sind Putzerfische stumm, doch das scheint so ziemlich ihre einzige Schwäche zu sein.

Orang-Utan

Orang-Utans können ohne größere Probleme addieren und subtrahieren

(Foto: Foto: Reuters)

Diesen Eindruck kann man jedenfalls bekommen, wenn Redouan Bshary, Verhaltensbiologe an der Universität im schweizerischen Neuchâtel, von seinen Beobachtungen im Roten Meer vor Scharm el Scheich erzählt.

Dort betreiben Putzerfische ihre "Stationen", zu denen andere Fische als Kunden kommen, um sich Parasiten vom Körper, von den Flossen und aus dem Maul fressen zu lassen.

Mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann

Der Putzer hat dabei nur eines im Sinn: ab und zu ein Stück von seinem Kunden abzubeißen. Redouan Bshary erkennt es daran, dass der andere Fisch in diesem Moment zusammenzuckt. Drei- bis fünfmal in 100 Sekunden beißt der Friseur im Schnitt zu. Um seine Kundschaft trotzdem nicht zu vergraulen, taktiert der gerade mal elf Zentimeter lange Fisch wie ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann.

"Einen Kunden, den er oft gebissen hat, versöhnt der Putzer beim nächsten Termin mit besonders gutem Service", sagt Bshary. Guter Service, das heißt für einen Fisch: keine Bisse und zusätzlich eine kleine Massage, bei der der Friseur auf dem Rücken des Kunden reitet. Raubfische beißt der Putzer nie. Er weiß: Wenn sie zurückbeißen, wäre das das Ende seines florierenden Geschäfts. Am häufigsten genehmigt sich der Putzer einen Happen, wenn er mit einem Kunden allein ist; schauen andere Fische zu, hält er sich zurück - "er will nämlich seinen guten Ruf nicht schädigen", sagt Bshary.

Wenn mehrere Fische auf ihre Inspektion warten, wird Laufkundschaft zuerst bedient. Stammkunden lässt der Putzer warten. Die sind, weil sie ein kleines Territorium und deshalb keinen anderen Friseur haben, ohnehin auf ihn angewiesen. "Putzer scheinen zu verstehen, in welcher Situation sich andere Fische gerade befinden und in welcher Beziehung sie selbst zu ihren Kunden stehen", sagt Bshary.

Intelligenz nicht nur bei Primaten

Solche komplexen sozialen Leistungen hat man bis vor kurzem nur dem Menschen und vielleicht noch einigen wenigen Primaten zugetraut. Doch je länger die Verhaltensforscher suchen und je genauer sie hinschauen, umso mehr Beispiele für Intelligenz finden sie auch bei anderen Tieren. Und umso drängender wird die Frage, was eigentlich das Besondere am Menschen ist im Vergleich zu anderen Lebewesen.

Intelligenz-Bestien

"Lange Zeit war man überzeugt, der entscheidende Unterschied sei die Fähigkeit, Werkzeuge zu gebrauchen", sagt Josep Call vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Doch dann mussten Forscher zusehen, wie Schimpansen mit Halmen nach Termiten angeln und sich Sandalen sowie Sitzkissen aus Ästen basteln; wie Krähen Metalldrähte zu Haken verbiegen, um damit nach Futter zu stochern und wie Lippfische Seeigel auf einem Amboss knacken. Mangrovenreiher sind sogar auf die Idee gekommen zu angeln - wenn auch ohne Schnur: Sie werfen einen Zweig oder ein Blatt als Köder ins Wasser und warten dann auf Fische, die danach schnappen.

Ausgeprägte Physik-Kenntnisse

Viele Verhaltensforscher sind inzwischen sicher, dass fast alle Tiere die physikalischen Eigenschaften von Dingen einschätzen können und dass viele dieses Wissen nutzen, um Werkzeuge herzustellen. Als intelligent gilt Verhaltensforschern wie Josep Call, "wer Probleme nicht schematisch löst, sondern frühere Erfahrungen auf eine neue Situation übertragen kann, oder sogar auf eine vollkommen neue, kreative Lösung kommt."

Wie der Gebrauch von Werkzeugen ist auch ein gewisses mathematisches Verständnis nichts Besonderes oder typisch Menschliches. Viele Tiere, von der Fliege bis zur Schildkröte, können berechnen, wie oft sie einen bestimmten Futterplatz aufsuchen müssen, damit ihre Energiebilanz stimmt. Selbst der Energieaufwand für den Hinweg und die Futtersuche wird dabei berücksichtigt.

Hunde schwimmen einem Ball, der am Strand schräg ins Wasser geworfen wird, nicht direkt hinterher. Vielmehr laufen sie zunächst ein Stück am Ufer entlang und springen dann an einem bestimmten Punkt ins Wasser. Anscheinend können sie auf irgendeine Weise berechnen, wie der Ball am schnellsten zu erreichen ist. Die Hunde planen sogar ein, dass sie schwimmend langsamer vorankommen als laufend - und folgen damit den Gesetzen der Differenzialrechnung.

Orang-Utans können rechnen

Da überrascht es kaum noch, dass Orang-Utans ohne größere Probleme addieren und subtrahieren können, wie ein Experiment zeigt, das Josep Call vor einigen Jahren in Atlanta gemacht hat. In einem Versuchsraum stellt der Primatologe zwei durchsichtige Petrischalen vor das erwachsene Orang-Utan-Männchen Chantek. In der einen liegen drei Fruit-Loops - Getreidekringel, denen kein Orang widerstehen kann -, in der anderen vier. Ohne Zögern greift sich Chantek die Schale mit vier Leckerbissen.

Intelligenz-Bestien

Das zweite Experiment ist schwieriger. Es beginnt wie das erste, nur stülpt Call diesmal einen undurchsichtigen Deckel über die Petrischalen, nachdem er sie vor den Augen des Menschenaffen gefüllt hat. Dann nimmt der Forscher gut sichtbar zwei Fruit-Loops und legt sie in die undurchsichtige Schale mit den dreien, in der sich nun also fünf befinden: ein Fruit-Loop mehr als in der anderen. Chantek muss nicht lange überlegen. Sofort greift er nach der Schale, in der fünf Leckerbissen liegen. Ihm ist offensichtlich klar, dass 3 + 2 mehr ist als 4.

Papagei mit Zahlen-Kenntnis

Dass manche Tiere sogar begreifen, was eine Zahl ist, zeigt die Verhaltensforscherin Irene Pepperberg von der Universität von Arizona in Tucson mit ihrem sprechenden Graupapagei Alex. Er kann verschiedene Spielzeuge auf einem Tablett zählen und nach Material, Farbe und Form unterscheiden. Dabei versteht Alex tatsächlich, was er sagt.

Irene: Okay, Alex, hier ist dein Tablett. Sagst du mir, wie viele blaue Klotz?

Alex: Klotz.

Irene: Stimmt, Klotz. Wie viele blaue Klotz?

Alex: Vier.

Irene: Stimmt. Willst du den Klotz?

Alex: Will 'ne Nuss.

Irene: Okay, da hast du eine Nuss. (Sie wartet, bis Alex die Nuss gefressen hat.) Sagst du mir jetzt, wie viele grüne Wolle?

Alex: Sesssss...

Irene: Gut gemacht.

Mit Rechnen tun sich die meisten Vögel allerdings schwer. Nur deshalb funktioniert ein alter Ornithologentrick: Um die Tiere aus der Nähe beobachten zu können, verstecken sich die Forscher hinter einer Art Zelt. Allerdings nützt der ganze Aufwand nichts, wenn der Vogel dabei zuschaut, wie Menschen hinter dieser Tarnung verschwinden. Anders sieht die Sache aus, wenn zwei Menschen in das Zelt hineingehen und einer wieder hinausgeht. In diesem Fall wähnen sich die meisten Vögel unbeobachtet. Offensichtlich ist ihnen nicht klar, dass 2 - 1 = 1 ist.

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