Gehirngröße:Von 0 bis 11.000.000.000 Neuronen

Viele Lebewesen auf unserem Planeten besitzen Nervenzellen, manche sogar ein Gehirn. Andere kommen ganz ohne Neuronen aus. Eine Übersicht.

Von Monika Offenberger

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Gehirngröße:0 Neuronen

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Bakterien brauchen keine Nervenzellen, geschweige denn ein Nervensystem. Dennoch funktionieren Reizerkennung und Informationsverarbeitung bei den Einzellern nach denselben Prinzipien wie bei komplexeren Organismen: Es gibt Elemente zur Sinneswahrnehmung und solche zum Bewegungsantrieb; die Kommunikation läuft über Signalstoffe innerhalb der Zelle. Das Darmbakterium E. coli trägt in seiner Außenhülle mehr als ein Dutzend Typen von Chemorezeptoren, die nahrhafte von giftigen Substanzen unterscheiden können und fortwährend deren Konzentration melden. Andere Einzeller wie das zu den Archäen zählende Halobacterium salinarum orientieren sich mit Hilfe lichtempfindlicher Pigmente, die jenen der menschlichen Retina ähneln. Ein Kurzzeitgedächtnis von wenigen Sekunden erlaubt es den Mikroben, die Stärke zweier aufeinander folgender Reize zu vergleichen und sich wahlweise zur Reizquelle hin oder von ihr weg zu bewegen. Weder Bakterien noch Archäen können lernen.

(Alle Texte von Monika Offenberger)

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Gehirngröße:0 Neuronen

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Schleimpilze sind kernhaltige Einzeller, die als geißelbewehrte Schwärmer oder kriechende Amöben auftreten und je nach Wasserangebot zwischen beiden Lebensformen wechseln. In guten Zeiten vermehren sie sich und verschmelzen milliardenfach zu vielkernigen Riesenzellen, die auf feuchten Oberflächen oft grell gefärbte schleimige Überzüge bilden. Physarum polycephalum bringt es auf bis zu zwei Quadratmeter große Exemplare, die sich einen Zentimeter pro Stunde vorwärts schieben und dabei Hindernisse überwinden können. Dazu nutzen sie dieselben Proteine, mit denen auch Menschen ihre Muskeln in Bewegung setzen. Die Art hat durch ein Experiment in Japan Aufsehen erregt: Der Schleimpilz fand in einem 25 x 35 Zentimeter großen Labyrinth den kürzesten von vier Wegen zwischen zwei Häufchen Haferflocken. In allen Versuchen nahm er den direkten Weg und fiel weder auf Sackgassen noch Umwege herein. Grund genug, dem schleimigen Wesen eine primitive (Körper-)Intelligenz zuzusprechen.

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Gehirngröße:302 Neuronen im Körper

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Das beliebte Versuchstier der Genetiker - der Fadenwurm - besitzt ein primitives zentrales Nervensystem: Mehrere Nervenstränge ziehen sich vom Nervenring am Schlund bis zum hinteren Ende und in die Kopfregion. Bei manchen Arten sitzt dort ein Paar mit Sehzellen besetzter Grubenaugen, andere haben einfache Linsen. Besonders gut erforscht ist die Art Caenorhabditis elegans. Der Wurm hat exakt 302 Nervenzellen, die über 6393 chemische Verbindungsstellen und 890 Ionenkanäle vernetzt sind und sich über weitere 1410 Ionenkanäle mit Muskelzellen austauschen. Dieses Netzwerk befähigt C. elegans zu assoziativem Lernen, wie ein Versuch zeigt: Man hält den Wurm in einer Schale voller nahrhafter Bakterien. Sobald er davon frisst, gibt man einen Duftstoff dazu, den das Tier wahrnimmt. In der Folge wirkt der Duft wie die berühmte Glocke auf Pawlows Hund: Der Wurm assoziiert damit Bakterien und macht auch dann Fressversuche, wenn er die Substanz in einer leeren Schale riecht.

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Gehirngröße:960.000 Neuronen im Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Ihr kleines Gehirn ist nur etwa einen Kubikmillimeter groß, dennoch verfügen Bienen über ein breites Verhaltensrepertoire. Sie lernen schnell eine Fülle von Signalen, wenn sie für die richtige Lösung mit Zuckerwasser belohnt werden: So lassen sie sich etwa darauf dressieren, Farben, Formen oder Gerüche zu unterscheiden und Eigenschaften zu erkennen. Sie können Regeln lernen, bei welchen Verknüpfungen sie eine Belohnung erwarten können. Diese Leistungen speichern sie dauerhaft im Gedächtnis. Es gelingt ihnen, geometrische Formen nach ihrer Ähnlichkeit zu unterscheiden. Sie können die Zahl von bis zu vier Objekten unterscheiden, scheitern aber bei größeren Mengen. Für ihren Alltag ist ihr Navigationsvermögen relevanter: Mit ihrem Schwänzeltanz informieren sie Stockgenossinnen über wichtige Orte im Gelände wie Futterquellen oder Nisthöhlen. Die jeweilige Flugrichtung teilen sie symbolhaft nach dem Sonnenkompass und der mit den Augen gemessenen Entfernung mit.

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Gehirngröße:42.000.000 Neuronen im Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Oktopusse gehören wie alle Tintenfische, Muscheln und Schnecken zu den Weichtieren. Ihr hoch entwickeltes zentrales Nervensystem, das völlig anders aufgebaut ist als das der Wirbeltiere, befähigt sie zu erstaunlichen Leistungen: Sie finden selbst nach langen Ausflügen auf dem kürzesten Weg nach Hause, auch wenn sie diesen niemals zuvor benutzt haben. Außerdem lernen sie schnell, aus einem Irrgarten zu entkommen - und erinnern sich noch eine Woche später an den einmal entdeckten Ausweg. Sie finden selbst heraus, dass sie Krabben in einem verschlossenen Glasgefäß nur greifen können, wenn sie zuvor den Deckel öffnen. Sie können geometrische Formen wie Würfel oder Kugeln durch Abtasten unterscheiden. Einige Biologen wollen beobachtet haben, dass sie nicht nur aus eigener Erfahrung lernen, sondern auch, indem sie Artgenossen beim Lösen von Aufgaben zusehen. In neueren Untersuchungen konnten diese Befunde allerdings nicht bestätigt werden.

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Gehirngröße:400.000.000 Neuronen im Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Rabenvögel benutzen Werkzeuge und bringen diese wenn nötig in eine passende Form. Neukaledonien-Krähen rupfen kleine Stücke aus Blättern, um damit Insekten aus Felsritzen herauszufischen. Vor fahrende Autos werfen sie Nüsse und warten auf rotes Ampellicht, um aus den überfahrenen, zerbrochenen Schalen gefahrlos die Kerne aufzulesen. Als besonders erfinderisch erwies sich die zahme Krähe Betty: Um an ein außer Reichweite postiertes Stück Fleisch zu gelangen, bog sie einen herumliegenden Eisendraht spontan zu einem Haken und zog damit den Happen zu sich heran. Krähen sind neben Primaten die einzigen Tiere, die sich mit Hilfe von Werkzeugen andere Werkzeuge besorgen. Im Versuch angelten sich die Vögel mit kurzen Stöcken längere Stöcke, die sie zum Heranholen einer Futterbox benötigten. Ob solches Verhalten auf Einsicht basiert oder durch Probieren entsteht, ist umstritten. Die ebenfalls zu den Rabenvögeln zählenden Elstern erkennen zudem ihr eigenes Spiegelbild.

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Gehirngröße:11.000.000.000 Neuronen im Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Sie sind die größten Landtiere der Welt, entsprechend groß ist ihr Gehirn. Mit tiefen Tönen im Infraschall-Bereich verständigen sich Elefanten über Entfernungen von bis zu 20 Kilometern und orten individuelle Gruppenmitglieder ebenso wie Regengüsse oder Wirbelstürme. Dank ihres guten Gedächtnisses und Orientierungsvermögens merken sie sich die Standorte von Wasserquellen im Umkreis von 60 Kilometern. Zur Körperpflege stutzen sie Stöcke und Zweige zu Kratzbürsten und Fliegenpatschen zurecht. Im Experiment begreifen zwei ungeschulte Elefanten, dass sie eine entfernte Futterquelle nicht alleine, sondern nur gemeinsam mittels Seilen zu sich heranziehen können. Die Riesen scheinen sich selbst im Spiegel zu erkennen, verlieren dann aber schnell das Interesse an ihrem Konterfei. Im Gegensatz zu Bienen lernen sie aber nur mühsam oder gar nicht, kleine von großen oder runde von eckigen Objekten zu unterscheiden und entsprechenden Kategorien zuzuordnen.

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Gehirngröße:5.800.000.000 Neuronen im Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Sie haben erheblich größere Gehirne als Menschen. Diese benötigen Delfine und andere Zahnwale insbesondere für ihr ausgefeiltes auditorisches System. Es erlaubt ihnen, mit vielerlei Pfeif- und Klickgeräuschen zu kommunizieren und sich via Echoortung zu orientieren. Schwertwale verständigen sich oft auch lautlos, um sich bei der gemeinsamen Jagd nicht zu verraten. Je nach Beuteart setzen sie Fangmethoden ein, die perfektes Teamwork voraussetzen: Sie schlagen koordiniert Wellen, um Robben von Eisschollen zu kippen, Fischschwärme mit Luftblasen zu verwirren und Blauwale zu ertränken. Versuche mit trainierten Delfinen legen nahe, dass sie sich darüber bewusst sind, wenn sie an einer Aufgabe scheitern - etwa wenn sie zwei minimal unterschiedlich hohe Töne nicht auseinander halten können. Dagegen versagen sie bei einfachen Intelligenztests: Sie können unbekannte Gegenstände nicht passenden Kategorien zuordnen - eine Aufgabe, die Affen, Hunde, Tauben und Bienen meistern.

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Gehirngröße:6.200.000.000 Neuronen iim Gehirn

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Quelle: SZ-Grafik:Stefan Dimitrov

Schimpansen nutzen und fertigen bis zu 20 verschiedene Werkzeuge - zum Beispiel zum Angeln von Termiten oder Aufsaugen von Wasser - und setzen sie in wechselnden Zusammenhängen ein. Dabei löst jede Gruppe ein Problem auf etwas andere Weise und begründet damit unterschiedliche Traditionen: So haben die Schimpansen in Guinea herausgefunden, wie man Fallen von Wilderern unschädlich macht. Nur Schimpansen gelingt es, aus einem Material verschiedene Werkzeuge oder denselben Werkzeugtyp aus unterschiedlichen Rohstoffen anzufertigen. Sie nutzen mehrere Werkzeuge in Abfolge oder kombinieren sie. Damit beweisen sie ebenso wie Orang-Utans Einsicht in ein Problem. Sie können Handlungen planen und Objekte auswählen, die sie erst später als Werkzeuge brauchen. Schimpansen finden versteckte Objekte, indem sie den Blicken eines Artgenossen oder des Menschen folgen. Sie erkennen, ebenso wie Gorillas, ihr Spiegelbild. Doch sind nicht alle Individuen gleich erfolgreich.

© SZ vom 24.12.2013/mcs
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