Geheimnisvolle Papyri:Das Vermächtnis des Verräters

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Das "Judas-Evangelium" gibt Hinweise auf die Urkirche - sein theologischer Gehalt ist jedoch umstritten.

Hubert Filser

Angekündigt ist eine wissenschaftliche Sensation. Das Evangelium des Judas sei entdeckt worden. Judas war der "treueste Jünger" Christi, so das Magazin National Geographic in der Titelgeschichte des Mai-Hefts. Und die Geschichte hat tatsächlich alle Zutaten eines Archäologen-Thrillers in bester Indiana-Jones-Manier.

Da gibt es einen fast zweitausend Jahre alten Papyrus, der in so schlechtem Zustand ist, dass er bei Berührung zerbröselt. Da gibt es die wahrlich abenteuerliche Geschichte, wie der 29 mal 15,5 Zentimeter große, in Leder eingeschlagene Kodex gerettet wurde.

Sein Weg führt über Kairo, ein Genfer Hotelzimmer, New York und ein Schließfach auf Long Island zurück in die Schweiz, zur Baseler Maecenas-Stiftung. Auch die Hauptfiguren sind perfekt besetzt: Schillernde Antiquitätenhändler, erfahrene Bibelforscher, renommierte Sprachexperten.

Genug Stoff also für eine Abenteuergeschichte, zumal es sich angeblich um ein direktes Zeugnis des Zeitgenossen von Jesus handle. Der Text ist eingeleitet mit den Worten: "Der geheime Bericht der Offenbarung, die Jesus im Gespräch mit Judas Iskariot verkündete."

Gespräch zwischen Judas und Jesus

Der vorliegende Papyrus stammt aus dem 4. Jahrhundert und ist, so der National Geographic, eine Übersetzung des in griechischer Sprache verfassten Originals. Das Judas-Evangelium selbst ist wohl um 150 nach Christus entstanden. Die Übersetzung gibt das Gespräch von Jesus und Judas wieder, am Ende übergibt Judas Jesus seinen Feinden. Es enthält keine Passionsgeschichte.

"Zur Erhellung der Geschichte des Jesus von Nazareth trägt dieser Text absolut nichts bei", sagt dazu Rainer Kampling, Professor für Biblische Theologie an der Freien Universität Berlin. "Auch die Behauptung, dieser Text sei das verschollene Judas-Evangelium, das der Bischof Irenäus 180 nach Christus erwähnte, ist nicht bewiesen."

Doch keine Sensation also? Tatsächlich gibt es aus dieser Zeit kein Vergleichsmaterial und Irenäus, der Bischof von Lyon, hatte das Judas-Evangelium nur kurz in seiner Schrift "Gegen die Häresien" erwähnt. Der Kodex diente ihm als Beispiel für die Irrlehren abtrünniger Mitglieder seiner Gemeinde.

Außer diesen möglichen Zusammenhängen bleibt zunächst nichts. Der von National Geographic präsentierte Papyrus stammt aus Mittelägypten, Forscher haben ihn nun auf das 4. Jahrhundert nach Christus datiert. Es sei eine Übersetzung aus dem Griechischen, der Sprache, in der damals Heilsbotschaften verfasst wurden.

In den ersten Jahrhunderten nach Jesu Tod entstanden eine Reihe so genannter apokrypher Evangelien, alles Texte, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen wurden. Es war die Zeit des Frühchristentums, es gab noch keine Dogmen und offiziellen Heilslehren.

Schreibübung eines Christen?

Das Judas-Evangelium könnte also alles Mögliche gewesen sein, von einer bloßen Schreibübung eines Christen über die Schrift einer religiösen Splittergruppe mit dem Helden Judas als Vorbild bis hin zum behaupteten Evangelium. Klar ist, dass Judas Iskariot mit Sicherheit nicht Verfasser der Schrift war.

"Der Text könnte zum Verständnis frühchristlicher Gruppenbildung beitragen", sagt Rainer Kampling. "In dieser Hinsicht ist es ein wissenschaftlich spannendes Dokument, aber sicher nicht im neutestamentlichen Zusammenhang."

Auch der Berliner Handschriftenexperte Hans-Gebhard Bethge sagt, der 13-seitige Text bringe zwar keine neuen Erkenntnisse über das Leben Jesu oder seiner Jünger, sei aber als Dokument für die Wirkung und Verbreitung der frühen Kirche wohl von großer Bedeutung. Im zweiten Jahrhundert sei keineswegs klar gewesen, was kirchliche Theologie und was Häresie war.

Unklar bleibt, wie viel vom ursprünglich 62 Seiten umfassenden Papyrus-Kodex, der auch die "Apokalypse des Jakobus" und den "Brief von Petrus an Philippus" enthält, in Besitz der Maecenas-Stiftung ist. Möglicherweise sind einige Seiten verloren gegangen. Bruce "Scissorhands" Ferrini, einer der zwischenzeitlichen Besitzer, ein Opernsänger und Händler alter Manuskripte, könnte das Evangelium um einige Seiten verkürzt haben, schreibt Michel van Rijn, ein ebenfalls eingeschalteter Händler, auf seiner Webseite. Theologe Rainer Kampling kommentiert dies lakonisch: "Es ist eine Geschichte darüber, was möglich ist im Antikenhandel."

© SZ vom 7. April 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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