Gefährdung von Walen und Delfinen:Tödlicher Schall in der Tiefe

Buckelwal
(Foto: Jose Jacome/dpa)

Explosionen unter Wasser, Ölbohrungen und Militärsonar: In den USA ist eine Debatte um den Unterwasserlärm entbrannt. Für Wale und Delfine könnte der Krach lebensgefährlich sein.

Von Erik Stokstad

Wenn Ölkonzerne unter dem Meeresgrund nach neuen Rohstoffquellen suchen, geht das nicht heimlich, still und leise. Zunächst zieht dann ein Spezialschiff sogenannte Luftpulser in einem regelmäßigen Muster durch ein Seegebiet. Sie komprimieren in bis zu 48 Zylindern Luft und schießen dann unter hohem Druck Blasen ins Wasser. Das löst Sequenzen wohldefinierter Schallpulse verschiedener Frequenzen aus, die durch das Wasser in den Untergrund rasen und dort an Gesteinsschichten reflektiert und gebrochen werden. An der Oberfläche fangen Hunderte Mikrofone die Echos auf, Computer erzeugen daraus Schnittbilder des Meeresbodens.

Dieser Lärm, behauptet die Ölindustrie, schade Walen, Delfinen und anderen Meeresbewohnern kaum. Umweltschützer sind anderer Meinung. Und Regierungen wie der amerikanischen, die Genehmigungen für solche seismischen Untersuchungen und andere Lärmquellen im Meer erteilen, fehlen in der Regel belastbare Daten, um den Streit zu entscheiden.

Explosionen unter Wasser

Doch nun, nach jahrzehntelangem Hin und Her, bekommen die Genehmigungen womöglich eine bessere Basis. Kurz vor dem Jahreswechsel hat die amerikanische Fischereibehörde National Marine Fisheries Service (NMFS) ein Positionspapier veröffentlicht, das die Entscheidungen über lärmende Arbeiten im Ozean deutlich verändern dürfte. Die Behörde bezeichnet den 83-seitigen Entwurf als "Highly Influential Scientific Assessment " (Sehr einflussreiche wissenschaftliche Bestandsaufnahme). Das ist ein feststehender Begriff für US-Behörden; er bedeutet, dass eine neue Regulierung womöglich wirtschaftliche Folgen von 500 Millionen Dollar oder mehr haben könnte, und erfordert eine öffentliche Fachdebatte über das Werk.

Der Entwurf sieht vor, dass es in Zukunft deutlich detailliertere Analysen als bisher darüber geben soll, welchen Schaden Meeressäuger womöglich durch Luftpulser erleiden, durch Explosionen unter Wasser oder das Einrammen von Pfählen für Bohrgerät oder Windkraftanlagen. Die Behörde erkenne nun an, "dass beim Schall noch andere Dinge zählen als die bloße Lautstärke", sagt der Meeresakustiker Brandon Southall von der Beratungsfirma SEA in Aptos, Kalifornien. Die Behörden müssten sich dann zum Beispiel auch fragen, ob die erzeugten Frequenzen manche Meerestiere besonders belasten, weil ihre Ohren in dem Bereich sehr empfindlich sind.

Stranden Wale wegen Militär-Sonar?

Viele Meeressäuger nutzen Schallsignale für die Kommunikation mit Artgenossen und lauschen auf Geräusche, um zu navigieren oder Beute zu finden. Darum hat der Lärm unter Wasser schon Gerichte und Parlamente in vielen Staaten der Welt beschäftigt. Umweltschützer haben sich mit dem Militär über Sonargeräte der Marineschiffe gestritten, weil deren Schallpulse manchen Wissenschaftlern zufolge Wale in Panik versetzen und auf Strände treiben, wo sie verenden. Reedereien stehen unter Druck, den Krach zu reduzieren, den ihre Frachtschiffe produzieren. Und US-Behörden haben Ölfirmen den Einsatz von Luftpulsern in walreichen Gewässern beschränkt, um in Klagen von Tierschützern einen juristischen Vergleich zu erzielen.

Aber es gibt nur wenige Studien, die genau erklären, wie etwa eine seismische Untersuchung die Tiere in dem Seegebiet belastet. Die US-Behörden haben darum in den 1990er-Jahren pauschale Richtwerte erlassen. Sie setzen zum Beispiel an, dass ein Wal einen vorübergehenden Hörverlust erleidet, wenn er einem Schalldruck von 160 Dezibel ausgesetzt wird - das entspricht der Explosion einer Mine in 100 Metern Entfernung.

180 Dezibel schädigten demnach das Gehör des großen Säugetieres permanent. Seelöwen und andere Robben werden laut NMFS taub, wenn sie 190 Dezibel ausgesetzt sind.

Tiere reagieren unterschiedlich auf Lärm

Die neuen Richtlinien hingegen fordern, auf weitere Faktoren wie Frequenzen und Modulation des Schalls Rücksicht zu nehmen. Sie beziehen sich auf eine noch kleine, aber zunehmende Liste von Studien. Zum Beispiel hat demnach ein konstanter Lärmpegel eines Sonargeräts andere Folgen als plötzliche, impulsive Geräusche, wie sie beim Rammen von Pfählen entstehen. Der Spitzendruck in der Welle, die dann durch das Wasser läuft, kann viel höher sein als bei den Marine-Geräten. Darum "könnte auch der Schaden im Innenohr größer werden", sagt Amy Scholik-Schlomer, eine Spezialistin für Meeresakustik beim NMFS.

Zudem werden in dem Entwurf die Meeresbewohner auf der Basis ihres Gehörs in eine von fünf Gruppen eingeteilt. Belugawale zum Beispiel würden eher durch den anfänglichen hochfrequenten Knall eines Luftpulsers gestört, aber nicht mehr vom späteren, tiefen Rumpeln. Außerdem müssen die Behörden vor einer Genehmigung auch auf die Gesamtbelastung einer Tierpopulation Rücksicht nehmen, nicht nur auf den Schall, der durch ein neues Vorhaben entsteht.

Umweltschützer reagieren wohlwollend

Die Reaktionen auf den Vorschlag sind gemischt. Alle Seiten sind sich zwar einig, dass es zu wenig belastbare Daten gibt. Die Lärmgrenzwerte für Schweinswale zum Beispiel stützen sich auf eine Handvoll Studien an zwei Tieren, die in Gefangenschaft leben. Für große Wale in Freiheit gibt es keine direkten Untersuchungen. Trotzdem gilt der Vorschlag des NMFS als Fortschritt. "In der Vergangenheit waren die Richtlinien isoliert und unbeständig", sagt Roger Gentry, der aus einem Job als Wissenschaftler bei der Regierung ausgeschieden ist und nun die Industrie berät.

Noch bis zum 27. Januar nimmt der NMFS Kommentare und Einwände zu dem im Amtsblatt Federal Register veröffentlichen Entwurf an; zugleich arbeitet die Behörde an einem weiteren Überblick, in dem es darum geht, ob der Lärm die Futtersuche und andere Verhaltensweisen von Meeressäugern beeinflusst.

Umweltschützer begrüßen den Entwurf schon jetzt. Die Regeln würden bald nach dem Inkrafttreten zeigen, dass der Lärm im Wasser mehr Meeresbewohner bedrohe als bisher angenommen. Mindestens für einige Arten dürfte ein strengerer Schutz die Folge sein. So gibt es inzwischen Studien, die Schweinswalen bescheinigen, deutlich empfindlicher auf Lärm zu reagieren als bisher angenommen. In der Ölindustrie reagiert man hingegen abwartend auf die Vorschläge. Es werde nicht unbedingt auch strengere Entscheidungen geben, aber sicherlich ausführlichere Prüfungen und dickere Akten, sagt Bruce Tackett von der Beratungsfirma Resource Access International aus Dallas. "NMFS braucht eine größere Laderampe", spottet er. " Die Sattelschlepper vom Kurierdienst Fed-Ex werden sich dort stauen."

Dieser Artikel erscheint am heutigen Freitag im Original in Science, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org, www.sciencemag.org. Dt. Bearb.: cris

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