"Gebrochene Herzen":Tod aus der Seele

Immer wieder sterben Menschen nach dem Tod ihres Partners innerhalb kürzester Zeit. Aber wie kann der Verlust einer geliebten Person oder der Hoffnung uns umbringen?

Christina Berndt

Nicht einmal der Tod konnte sie trennen. Innerhalb eines Tages sind in Syrien zwei betagte Eheleute eines natürlichen Todes gestorben. Mehr als 70 Jahre war das Paar aus einem kleinen Dorf in der Provinz Idlib verheiratet, da verschied am vergangenen Sonntag die 90 Jahre alte Ehefrau.

"Gebrochene Herzen": Nach vielen gemeinsamen Jahren geht es oft nicht mehr ohne den anderen.

Nach vielen gemeinsamen Jahren geht es oft nicht mehr ohne den anderen.

(Foto: Foto: Reuters)

Keine 24 Stunden sollte ihr 95-jähriger Gatte da noch leben. Während der Vorbereitungen für die Bestattung seiner Frau starb auch er. 66 Enkel trauern um ihre Großeltern.

"Er wollte eben nicht mehr leben", werden in diesem Fall wie in vielen vergleichbaren die Verwandten, die Nachbarn und Freunde gesagt haben. Gleichwohl steht die Todesursache "gebrochenes Herz" auf keinem Totenschein.

"Plötzlichen Herztod" nennen Ärzte das Phänomen, das sie nicht erklären können. Doch häufig leiden Menschen, die in besonderen Situationen unvermittelt und ohne Anzeichen körperlicher Symptome sterben, gar nicht an Herzproblemen.

"Solche Todesfälle sind seelischer Natur", sagt der Zürcher Psychotherapeut und Physiker Gary Bruno Schmid, der vor wenigen Jahren über das Phänomen des psychogenen Sterbens, über den "Tod durch Vorstellungskraft", ein Buch im wissenschaftlichen Springer-Verlag veröffentlicht hat.

Anlass für seine Recherche waren eigene schmerzvolle Erfahrungen mit dem schwer fassbaren Phänomen. Schmids Vater verschied 66-jährig, kurz nach seiner Pensionierung. "Er war vital und guter Dinge", erinnert sich Schmid. "Aber von heute auf morgen starb er, mitten in der Nacht."

"Plötzlicher Herztod", diagnostizierte auch damals der Hausarzt, und Schmid wunderte sich, "wie locker er mit dem Totenschein umging". Der Psychotherapeut glaubt, dass seinem Vater mit der beruflichen Aufgabe auch der Lebenswille abhanden kam, und sammelt seither ähnliche Fälle.

Einer von zehn Todesfällen ohne Erklärung

"Es kommt immer wieder vor, dass Erwachsene im besten Alter aus voller Gesundheit heraus sterben", sagt auch Wolfgang Eisenmenger, Leiter der Rechtsmedizin der Universität München. Für zehn Prozent aller Todesfälle fänden Pathologen keine Erklärung - wie etwa bei jener Mutter mittleren Alters, der ihr eigener Sohn ein Messer in den Oberschenkel gestochen hatte. "Obwohl die Wunde nicht tief war, starb sie noch im Krankenwagen", sagt Eisenmenger.

Ähnlich ratlos blieben die Mediziner auch bei den unverheirateten Zwillingsbrüdern William und John Bloomfield, die im Mai 1996 bei ihrem täglichen Abendessen in einem Restaurant zusammensaßen, als plötzlich einer der beiden 61-Jährigen tot zusammenbrach. Während sich Restaurant-Besucher noch um ihn kümmerten, tat auch der andere seinen letzten Atemzug - keine zwei Minuten später.

Selbst Sektionen nach allen Künsten der Pathologie ergeben in solchen Fällen keinen Todesgrund. Es gab keine Veränderungen an Gehirn, Herz oder Lunge, die auch nur annähernd eine Erklärung dafür lieferten, weshalb die Menschen sterben mussten. Ein Tod aus der Seele scheint wahrscheinlich: "Freud nannte das "Sich sterben lassen", sagt Horst Kächele, Leiter der Psychosomatik an der Universität Ulm.

Trotz ihrer mitunter erfolglosen Spurensuche akzeptieren nicht alle Rechtsmediziner und Pathologen die Macht der Seele über das Leben. Sie fahnden oft zwanghaft nach einem physiologischen Auslöser - und schreiben jenen meist dem Herzen zu. Lungenembolie, Kreislaufversagen oder "Ursache unbekannt" sind weitere Vermerke, die in den Totenscheinen der "AGs", der "außergewöhnlichen Todesfälle", auftauchen.

So ergab eine Studie, dass unter Witwern, die älter als 54 Jahre waren, in den ersten sechs Monaten nach dem Tod der Ehefrau die Sterblichkeit um 40 Prozent höher war als in der Normalbevölkerung desselben Alters. Drei Viertel dieser Männer starben an "Herzversagen".

Tod aus der Seele

Dabei ist die Macht der Seele Anthropologen und Ethnologen schon seit Jahrhunderten bekannt. Sie wissen, dass gesunde Menschen sterben, wenn sie nur fest daran glauben, ihr Tod sei nahe - etwa weil sie gegen ein Tabu verstoßen haben.

Angst vor dem Voodoo-Priester

So berichtete der Völkerkundler N.S.Yawger 1936 von einer Südseeinsel, auf der "starke, gesunde, junge Eingeborene innerhalb weniger Wochen hinscheiden", wenn ihnen gesagt wird, dass ein Voodoo-Priester von ihnen ein Bildnis geformt, mit einem spitzen Zweig durchbohrt und in einer Flamme geschmolzen hat.

Dem Verwünschten bleiben nur noch einige Stunden, maximal ein paar Tage. Sobald er entdeckt, dass er zum Tode verurteilt wurde, "bietet er einen bedauernswerten Anblick", berichtete der Ethnologe Herbert Basedow 1925.

"Er steht entgeistert da, die Augen werden glasig und der Ausdruck seines Gesichts wird schrecklich verzerrt. Er versucht zu schreien, aber alles, was man sehen kann, ist Schaum vor seinem Mund."

Auch mit ärztlicher Hilfe ist gegen die Verwünschung meist nichts mehr auszurichten - es sei denn, der Verfluchte hält die ",Magie des Weißen Mannes' für noch stärker", so Kächele. "Die Menschen essen und trinken nichts mehr, aber sie verdursten nicht einfach - dafür geht alles viel zu schnell."

Doch gebe es zwei Voraussetzungen, damit der Tod durch Voodoo auch eintrete, betont Schmid: "Das Opfer muss wissen, dass es zum Tode verdammt ist; und es muss absolut davon überzeugt sein, dass dies funktioniert."

Selbst die katholische Kirche ist sich des Einflusses bewusst, den die Psyche auf das Sterben hat. Weil die Letzte Ölung schon so manchem Gläubigen den Tod gebracht hat, beschloss das Zweite Vatikanische Konzil Anfang der 1960er-Jahre, das heilige Ritual künftig als "Krankensalbung" zu deklarieren.

"Es ist soweit" - diese mitunter unbegründete Überzeugung kann auch außerhalb ritueller Handlungen Menschen das Leben kosten: Frauen wie Männer sterben nach Autounfällen, obwohl ihnen gar nichts Schlimmer passiert ist. Legendär ist der Bericht eines im Kühlwagen Eingeschlossenen, der sein Erfrieren detailliert in einem Abschiedsbrief beschrieb und dann starb, obwohl das Kühlaggregat gar nicht eingeschaltet war.

Auch stark emotional beladene Tage können dieses "Es ist soweit" vermitteln: der Todestag des Vaters etwa, das schon lange vorausgeahnte oder gar von einer Wahrsagerin prophezeite Sterbedatum oder das alljährliche Weihnachten.

Tod aus der Seele

So ist der Januar oft der Monat mit den meisten Todesfällen - womöglich, weil viele alte Menschen nach dem Heiligen Fest in einen trostlosen Zustand sinken. "Es gibt auch Untersuchungen, die bei hohen Geburtstagen eine leichte Verschiebung der Sterberate hinter den Geburtstag verzeichnen", sagt Klaus-Dietrich Stumpfe, emeritierter Professor für Sozialpsychiatrie, der sich viele Jahre mit dem Tod aus der Seele befasst hat.

Todesserie am Unabhängigkeitstag

Eine besondere Todesserie zeigt sich am Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten von Amerika: Gleich drei der ersten fünf Präsidenten der USA (John Adams, Thomas Jefferson und James Monroe) sind an einem 4. Juli gestorben. Zwei von ihnen, John Adams und Thomas Jefferson, haben die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben; diese beiden starben sogar am 50.Jahrestag dieses Ereignisses, am 4. Juli 1826.

Vermutlich ist es ein biochemisches Feuerwerk, welches das Dahinscheiden einleitet. "Es sind starke innere Bilder, die zur Heimsuchung der Betroffenen führen", sagt Gary Bruno Schmid. "Sie stimulieren auf äußerst wirksame Weise physiologische Prozesse, die dann den Körper sterben lassen."

Schon lange wissen Psychoneuroimmunologen, dass seelische Veränderungen die Zellen des Nerven- und Immunsystems dazu anregen können, ihre hochwirksamen Botenstoffe auszuschütten.

Beim psychogenen Tod scheinen diese den Organismus so stark durcheinander zu bringen, dass er ablebt. "Trauer und Depression bestehen ja nicht aus Luft", sagt Wolfgang Eisenmenger, vielmehr würden sie im Gehirn zu biochemischen Substanzen. Hormone könnten dann zusammen mit Veränderungen des vegetativen Nervensystems, welches die Eingeweide versorgt, den Tod auslösen.

"Die Macht liegt in uns"

Eine Gemeinsamkeit haben all diese mysteriösen Todesfälle: Es geht um Verlust - von Menschen, von Bindungen, von Heimat, Arbeit oder auch von Werten. "Der psychogene Tod tritt ein, wenn man sich von allen schützenden Mächten verlassen fühlt", so Kächele. Kriegsgefangenen in Lagern hielten meist so lange durch, bis ein äußerer Anlass ihre Situation völlig ausweglos erscheinen ließ - etwa wenn die Ehefrau mitteilte, sich scheiden lassen zu wollen.

Nicht einmal Schläge der Wärter konnten die Männer dann noch dazu bewegen, aufzustehen; sie gaben sich auf, wie amerikanische Lagerärzte mit ihrer Wortschöpfung "give-up-itis" treffend bemerkten.

Die Kranken krochen häufig in eine Ecke, lehnten jegliches Nahrungsangebot ab und waren wenige Tage später tot."Der Mensch hat die Macht über das Leben und Sterben traditionellerweise den Göttern und den Sternen überlassen", sagt Gary Bruno Schmid. "Die Macht liegt aber offensichtlich auch in uns."

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