Gebärmutterhalskrebs:Heftige Kritik an Impfempfehlung

Der Jubel über den Gebärmutterhalskrebs-Impfstoff war groß. Nun kritisieren Mediziner in einem Manifest, der Nutzen sei noch nicht ausreichend belegt.

Christina Berndt

Von Anfang an gab es kritische Stimmen. Sie drohten in all dem Jubel unterzugehen, der zwei neue Impfstoffe gegen Warzenviren als "die erste Impfung gegen Krebs" feierte. Aber es gab sie. Manche monierten, die Nebenwirkungen der Impfstoffe seien noch gar nicht bekannt. Andere bemängelten den extrem hohen Preis. Und wieder andere ärgerten sich über die Angst verbreitenden Kampagnen der Firmen, die Mütter unter Druck setzten, ihre Töchter impfen zu lassen.

Gebärmutterhalskrebs: Leistet die Impfung überhaupt das, was die Hersteller versprechen?

Leistet die Impfung überhaupt das, was die Hersteller versprechen?

(Foto: Foto: AP)

Eines aber wurde viel zu wenig diskutiert: ob die Impfung überhaupt das leistet, was die Hersteller versprechen. Nun meldet sich eine Gruppe von 13 Wissenschaftlern zu Wort. In einem Manifest kritisieren sie, dass nicht einmal die Wirksamkeit der Impfstoffe belegt sei. (Das Manifest im Original finden Sie hier)

Die Daten aus Studien stünden "in deutlichem Widerspruch zu vielen sehr optimistischen Verlautbarungen". Zu den Unterzeichnern gehören so namhafte Fachleute wie Martina Dören von der Berliner Charité, Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg und Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Mit Rolf Rosenbrock und Ferdinand Gerlach sind auch zwei Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen dabei.

"Wir wissen noch nicht, ob diese Impfung Nutzen stiftet, trotzdem wird sie massenhaft eingesetzt", sagt Norbert Schmacke, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bremen. "Das ist zu früh."

Die 13 haben ein klares Ziel: Die Ständige Impfkommission (Stiko) müsse ihre Entscheidung überdenken, mit der sie im März 2007 - so schnell wie nie zuvor bei einem neuen Impfstoff - die Impfung für alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren empfahl. Damit zwang die Stiko letztlich die Krankenkassen zur Erstattung und löste eine Kostenexplosion aus: Einer der beiden Impfstoffe war 2007 die umsatzstärkste Arznei in Deutschland.

Die Impfung soll eine Ansteckung mit Papillomviren (HPV) vom Typ 16 und 18 verhindern. Wenn eine Infektion mit diesen Viren unglücklich verläuft, können sie den Gebärmutterhals so angreifen, dass Krebs entsteht. Doch die Impf-Empfehlung der Stiko steht nach Ansicht der 13 Wissenschaftler auf tönernen Füßen. Sie verwende Zahlen, die nicht durch Studien gedeckt sind, so die Gruppe. Sie fordert die Stiko auf, fehlende Daten von den Herstellern anzufordern.

"Sehr wenige unabhängigen Informationen"

Die nämlich sind zwar begierig, ihre Impfstoffe mit allen Mitteln unters Volk zu bringen. Relevante Informationen halten sie jedoch auch auf Anfrage zurück. Dennoch haben die Firmen mit dem, was sie zu verbreiten bereit sind, atemberaubenden Erfolg: Ihre Halbwahrheiten werden von zahlreichen Playern im Gesundheitswesen einfach übernommen.

"Es gibt nur sehr wenige unabhängigen Informationen", beklagt Ingrid Mühlhauser, die kursierenden Nachrichten wirkten beinahe gleichgeschaltet. Selbst Krankenkassen, Ärzteverbände, Patientenvertreter, Krebsgesellschaften und Medien sprechen im vernebelnden Jargon der Impfstoffhersteller. Das hat einen Grund: Die Konzerne überzeugen mit einfachen Wahrheiten, setzen die für sie wichtigen Gruppierungen unter moralischen Druck oder kaufen sich die Stimmen vermeintlicher Experten (siehe hier). Das Ergebnis: Fast jede Zahl, egal wer sie nennt, stammt letztlich von den Impfstoff-Herstellern - Glaxo Smith Kline und Sanofi Pasteur MSD.

Da überrascht es nicht, dass den Informationen meist nicht zu trauen ist: ,,Sie sind oft irreführend", sagt Ansgar Gerhardus, Public-Health-Experte an der Universität Bielefeld und einer der Unterzeichner des Manifests. "So geistert überall das Versprechen herum, die Impfung schütze zu 70 Prozent vor Gebärmutterhalskrebs."

Doch diese Zahl ist reines Wunschdenken. Sie kommt wie folgt zustande: Die beiden HPV-Typen 16 und 18, gegen die die beiden Impfstoffe gerichtet sind, sollen für 70 Prozent aller Krebse am Gebärmutterhals verantwortlich sein. Allerdings seien auch die Belege für diese Annahme dünn, sagt Jürgen Windeler, einer der Dreizehn und Experte für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Heftige Kritik an Impfempfehlung

Jedenfalls schützen die beiden Impfstoffe tatsächlich vor einer Ansteckung mit diesen beiden Viren. Wenn alles extrem gut läuft, könnten sich also die Fälle von Gebärmutterhalskrebs durch die Impfung um 70 Prozent vermindern. Rein rechnerisch. In der Praxis könnte es aber auch ganz anders aussehen.

Denn wenn eine biologische Nische von manchen Viren befreit wird, können andere deren Platz einnehmen. Von den über hundert bekannten HPV-Typen sind aber mindestens 13 krebserregend. Die Impfung könnte die Krebsgefahr also erheblich weniger bannen, als es die Pharmafirmen behaupten. Und die bisherigen Daten deuten genau darauf hin.

Nun hat bisher niemand getestet, wie viel seltener geimpfte Frauen an Gebärmutterhalskrebs erkranken. Das würde auch zu lange dauern, denn Krebs entwickelt sich meist über Jahre. Klinische Studien erfassen deshalb, wie oft Zellveränderungen entstehen, die womöglich zu Krebs werden.

Die aussagekräftigste Studie zum Thema trägt den verheißungsvollen Namen Future II. Sie wurde im Auftrag von Sanofi Pasteur MSD an mehr als 12000 jungen Frauen durchgeführt. Doch die Zahl der Krebsvorstufen wurde so nur um 17 Prozent gesenkt - und eben nicht um die erträumten 70 Prozent.

Die Firma Sanofi glaubt den Grund zu kennen: Die geimpften Frauen seien mit 15 bis 26 Jahren viel zu alt gewesen. Viele hätten sich schon mit HPV infiziert; und die Fachwelt ist sich in der Tat einig, dass die Impfung dann nicht mehr wirkt. Sie wird daher nur Jungfrauen empfohlen. In einer gesonderten Berechnung berücksichtigt Sanofi nur jene Testpersonen, die zu Studienbeginn noch nicht mit den HPV-Typen 16 und 18 infiziert sind. So kommt die Firma zu dem Schluss, die Impfung schütze zu 98 Prozent vor Krebsvorstufen durch HPV 16 und 18.

Sanofi rückt die Zahl nicht heraus

Frauen kann es aber egal sein, durch welche Viren ein Krebs ausgelöst wird. Für sie ist wichtig, wie stark ihr Risiko insgesamt sinkt. Glaxo Smith Kline geht in seiner Studie gar nicht auf diese wichtige Frage ein. Und Sanofi rückt die Zahl nicht heraus, obwohl die Daten vorliegen müssen. Sie stünden nur den Kollegen in den USA zur Verfügung, heißt es aus der deutschen Zentrale: "Diese Zahlen haben wir nicht und werden wir auch nicht bekommen." Stattdessen bringt die Firma andere Zahlen in Umlauf. "Sie erwecken den Eindruck, dass immer mehr Testpersonen aus den Studien ausgeschlossen werden, um zu besseren Ergebnissen zu kommen", so Windeler.

Doch selbst auf diese Weise werden die erträumten 70 Prozent bei weitem nicht erreicht. Dies scheint die Befürchtung zu bestätigen, dass die frei werdende Nische durch andere Viren besetzt wird. "Sollte sich der Verdacht erhärten, hätten wir Anlass zu großer Sorge", schreibt Charlotte Haug, Expertin für Infektionskrankheiten, im New England Journal of Medicine. Denn fraglich ist auch, wie die Impfung die natürlichen Abwehrkräfte gegen HPV beeinflussen wird. Normalerweise kann das Immunsystem die Viren nämlich erfolgreich bekämpfen. Kaum eine Infektion führt zu Krebs. "Die Impfung ist nicht mit der nötigen Qualitätssicherung eingeführt worden", sagt Ingrid Mühlhauser. In Spanien fordern Fachleute daher bereits ein Moratorium für die HPV-Impfung.

Mit der Zeit könnte sich die Massenimpfung mit den teuersten Impfstoffen aller Zeiten also als gigantische Fehlinvestition erweisen. Daran ändert es auch nichts, dass die Firmen betonen, Gebärmutterhalskrebs sei "der zweithäufigste Krebs bei Frauen" - und dann hinzufügen: im Alter zwischen 15 und 44 Jahren. Tatsächlich ist Krebs in diesem Alter insgesamt noch relativ selten und der Krebs am Gebärmutterhals überrepräsentiert. Insgesamt aber ist er nun einmal nur der zehnthäufigste Krebs bei Frauen in Deutschland - und damit weit weniger bedrohlich, als die Firmen suggerieren. Pro Jahr sterben 1700 Frauen daran, an Brustkrebs sind es zehnmal so viele.

Ungeachtet dessen rotiert die Reklame-Maschinerie weiter. Inzwischen preisen die Firmen die Impfung auch für ältere Frauen an. Und das, obwohl sie das Argument, nur Jungfrauen würden profitieren, bei anderer Gelegenheit gern als Grund für den schwachen erwiesenen Krebsschutz anführen. Zeigte die US-Kampagne für den Sanofi-Impfstoff zunächst noch kleine Mädchen, die seilspringen, sind es nun Studentinnen, die Pop-Musik hören.

Dass sich die ganze Wahrheit zur HPV-Impfung erst viel später zeigen wird, weiß auch die kurzentschlossene Stiko: "Da es sich um einen neuen Impfstoff handelt, sind in Zukunft weitere Daten zu erwarten", heißt es in einem Papier. "Die Stiko wird diese neuen Erkenntnisse verfolgen und die Impfempfehlungen entsprechend anpassen." Den Eltern wäre es wohl lieber gewesen, dass die Daten vorliegen, bevor die Stiko eine Empfehlung für die Hälfte aller Teenager ausspricht.

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