Ganze Arme transplantiert:"Jetzt bin ich bereit"

Der Patient hatte beide Arme bei einem Unfall verloren. Dann fasste der 54-Jährige den Entschluss, sich die Gliedmaßen eines Toten annähen zu lassen. Eine medizinische Weltpremiere.

Christina Berndt

Der Mann wollte unbedingt neue Arme haben. So wollte er das Unglück, das ihm vor einigen Jahren widerfahren war, rückgängig machen. Damals hatte eine Maschine dem Landwirt bei einem Unfall beide Arme abgetrennt. Als der heute 54-Jährige im Fernsehen einen österreichischen Polizisten sah, der mit den Händen eines Toten lebte, nachdem ihm eine Briefbombe die Hände weggesprengt hatte, war dem Landwirt klar: Er wollte auch eine Transplantation.

Ganze Arme transplantiert: Arme und Hände lassen sich nur mit großem Aufwand von einem Körper auf einen anderen übertragen.

Arme und Hände lassen sich nur mit großem Aufwand von einem Körper auf einen anderen übertragen.

(Foto: Foto: digitalstock)

Am Freitag hat der Mann nun neue Arme bekommen. Es sind die Arme eines Toten, dessen Familie ausdrücklich in diese ungewöhnliche Spende eingewilligt hatte.

Ein Team aus knapp 40 Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern verpflanzte die Arme in einer 15-stündigen Operation am Münchner Universitätsklinikum rechts der Isar. Der Eingriff ist eine Weltpremiere. Nie zuvor sind einem Lebenden zwei vollständige Arme und Hände verpflanzt worden.

Trotz aller Erfolge der Transplantationsmedizin: Die Verpflanzung von Extremitäten gilt als Herausforderung. Während innere Organe wie Herzen, Nieren oder Lungen längst in Routineoperationen transplantiert werden, lassen sich Arme und Hände bis heute nur mit großem Aufwand von einem Körper auf einen anderen übertragen.

Das liegt daran, dass das Immunsystem der Haut besonders kämpferisch ist und die fremden Körperteile aggressiv abstößt. Der Patient muss also Zeit seines Lebens starke Medikamente nehmen, um sein Immunsystem zu unterdrücken. Infekte, aber auch Krebserkrankungen können die Folge sein.

"Die Medikamente sind inzwischen aber so gut geworden, dass wir diese Operation riskieren wollten", sagt Edgar Biemer, einer der Leiter des Münchner Operation.

"Es war eine gewaltige Teamleistung"

Gleich fünf OP-Teams waren mit der Transplantation beschäftigt. Je ein Team war für das Abnehmen je eines Armes von der Leiche zuständig, je ein weiteres für das Annähen. Ein fünftes Team entfernte eine Vene aus dem Bein des Empfängers, die helfen sollte, den Blutabfluss in einem Arm zu verbessern.

"Es war eine gewaltige Teamleistung", sagt Christoph Höhnke von der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, der die Operation gemeinsam mit seinem ehemaligen Chef Biemer geleitet hat. "Es ist alles optimal gelaufen. Wir haben damit in Deutschland eine neue Ära eingeleitet", sagt Höhnke.

Nicht alle Fachleute mögen vorbehaltlos mitjubeln. Denn viele Mediziner halten Transplantationen von nicht überlebenswichtigen Körperteilen für unverantwortlich. Das Risiko, das von den Medikamenten ausgehe, die der Patient bis an sein Lebensende nehmen muss, sei beträchtlich.

Die Münchner Ärzte haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. "Für eine solche Operation ist nicht jeder Patient geeignet", sagt Christoph Höhnke. Der Landwirt sei mit seinen Prothesen jedoch nicht zurechtgekommen, auch mit den modernsten nicht.

"Jetzt bin ich bereit"

"Das lag gewiss an der Höhe seiner Verletzungen - die Arme waren etwa auf T-Shirt-Höhe abgetrennt", sagt Höhnke. "Aber er lehnte die Prothesen auch ab. Er wünschte sich eben lebende Arme." Die Psychologin Sibylle Storkebau hat den Patienten vor der Operation betreut. "Für ihn war die Arm-Transplantation quasi lebensrettend", sagt sie. "Er war wirklich in Not. Ein normaler Alltag war ihm nach dem Unfall nicht mehr möglich. Immer war er auf Hilfe angewiesen."

Wenige Tage nach seiner Operation geht es dem Patienten den Ärzten zufolge gut. Aber auch wenn sich sein sehnlichster Wunsch erfüllt hat - euphorisch sei er nicht, sagt Höhnke: "Der Patient freut sich, aber er weiß auch um die Gefahren."

So könne jeden Tag eine Infektion oder Abstoßungsreaktion den Operationserfolg zunichtemachen. Und wie gut die Funktion der Arme und ihre Empfindsamkeit je sein werden, kann niemand vorhersagen. Einen Millimeter pro Tag wachsen die Nerven in die fremden Arme hinein; sie werden erst in knapp zwei Jahren die Fingerspitzen erreicht haben. Erst dann lässt sich sagen, wie gut sie ihre Aufgaben erfüllen werden.

Schon häufiger hat sich das Blatt nach einer zunächst erfolgreichen Transplantation gewendet. So wollte der weltweit erste Patient, dem erfolgreich eine Hand transplantiert wurde, die Hand nach kurzer Zeit wieder loswerden. Sie sei nie seine geworden, sagte der Neuseeländer. Er nahm seine Medikamente nicht mehr, die Chirurgen trennten die Hand wieder ab.

So etwas werde sich in München nicht wiederholen, da ist sich Christoph Höhnke sicher. "Die Kollegen in Lyon haben den falschen Empfänger ausgewählt", sagt er. Der Münchner Patient sei dagegen psychologisch eingehend getestet worden.

Schon seit dem Jahr 2001 besitzen die Chirurgen die Erlaubnis ihrer Ethikkommission für eine Armtransplantation. Aber erst jetzt glaubten sie den richtigen Patienten gefunden zu haben. Auch der Landwirt hatte immer wieder Phasen des Zweifel. Vor kurzem aber entschied er: "Jetzt bin ich bereit."

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