Gähnen:Das Signal der Empathie

Die Fähigkeit, sich vom Gähnen der anderen anstecken zu lassen, sagt etwas über die eigene Empathiefähigkeit aus. Das belegt eine Studie an autistischen Kindern.

Christian Weber

Obwohl das Gähnen gemeinhin als Anzeichen von Müdigkeit oder zumindest großer Langeweile gilt, spekulieren Wissenschaftler seit langem über dessen wahre Ursachen und Bedeutung. Ob Föten, die bereits ab der elften Woche gähnen, an ihrem Aufenthaltsort gelangweilt sind?

gähnendes Kind

Die meisten Kinder gähnen erst ab einem Alter von vier Jahren mit. Dann haben sie einen Entwicklungsstand erreicht, in dem sie bereits ein größeres Einfühlungsvermögen für die Psyche andere Menschen besitzen.

(Foto: iStockphoto)

Warum gähnen selbst ausgeschlafene Tiere? Und warum nur ist das Gähnen so extrem ansteckend? Manche Menschen gähnen bereits, wenn sie über das Gähnen nur lesen. Vor zwei Jahren berichteten Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Biology Letters, dass sogar 72 Prozent der Hunde sich vom Gähnen ihrer Herrchen anstecken ließen.

Forschern der University of Connecticut in den USA bestätigen nun zumindest die These, dass die Fähigkeit, sich vom Gähnen der anderen anstecken zu lassen, etwas über die eigene Empathiefähigkeit aussagt (Child Development, online). Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler zum einen bei 120 Kindern im Alter von ein bis sechs Jahren, ob sie entsprechend reagieren, wenn ihnen Versuchsleiter etwas vorgähnen.

Dabei zeigte sich, dass die meisten Kinder erst ab einem Alter von vier Jahren mitgähnen. Dann nämlich haben Kinder einen Entwicklungsstand erreicht, in dem sie bereits ein größeres Einfühlungsvermögen für die Psyche andere Menschen besitzen, also empathiefähig sind.

Diese Vermutung bestätigte auch ein weiteres Experiment im Rahmen der Studie, bei dem 30 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 15 Jahren getestet wurden, die an Erkrankungen aus dem autistischen Formenkreis litten: Sie ließen sich - je nach der Schwere ihrer Störung - deutlich seltener vom Gähnen der anderen anstecken als normal entwickelte Gleichaltrige.

Bleibt die Frage, warum gerade das Gähnen ein so starker Empathie-Auslöser ist, nicht aber das Lächeln, das Weinen oder der Schluckauf. Vielleicht hat der Ethnologe Karl von den Steinen (1855-1929) Recht: Nach Feldstudien unter den indigenen Völkern Zentralaustraliens gelangte er zu der Vermutung, dass das Gähnen als Mechanismus der ansteckenden Müdigkeit ursprünglich dazu gedient habe, das Schlafverhalten einer Gruppe zu synchronisieren.

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