Fusions-Projekt "Iter":Budgets spalten und Atome verschmelzen

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Beim Fusions-Projekt "Iter" steht das nächste Krisentreffen an. Das internationale Experiment, das den Weg zu unerschöpflicher Energie eröffnen soll, wird fast dreimal so teuer wie geplant.

Jeanne Rubner

Deutschlands Fusionsforscher feiern. Ihr größtes Labor ist 50 Jahre alt geworden, dafür sind sie am Montag am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München zusammengekommen.

Für den Fusionsreaktor "Iter" haben Bagger und Planierraupen in Cadarache eine 42 Hektar große Fläche vorbereitet. Doch seit April 2009 liegt die Baustelle brach; nur eine Tafel zeigt, was dort entstehen soll. (Foto: AFP)

Vielen dürfte indes kaum nach einer Party zumute gewesen sein. Ihr großes internationales Experiment "Iter", das im industriellen Maßstab Wasserstoffkerne zu Helium verschmelzen und den Weg zu unerschöpflicher und umweltfreundlichen Energie eröffnen soll, steckt in der Krise.

Die Fusionsforscher bekommen die Kosten nicht in den Griff: Auf 15 Milliarden Euro wird der Preis des Reaktors, der in Südfrankreich gebaut werden soll, geschätzt - fast dreimal so teuer wie geplant. Und weil Europa knapp die Hälfte der Kosten trägt, ist in Brüssel und den Hauptstädten ein Streit entbrannt, wie man das Finanzierungsloch von 4,5 Milliarden Euro stopfen will. Allein für die Jahre 2012 und 2013 fallen 1,4 Milliarden Euro mehr an.

An diesem Dienstag trifft sich der Iter-Rat am Bauplatz von Cadarache in der Nähe von Aix-en-Provence zu einem außerordentlichen Krisentreffen. Bereits im Juni hätten sich die sieben Partner - neben der EU die USA, Russland, Indien, China, Japan und Südkorea - auf einen Finanzierungsplan einigen sollen, ohne Erfolg. Die EU sah sich außerstande, ihren Anteil zuzusichern. Jetzt will die Kommission das Geld zusammenkratzen, aus dem Forschungsetat sowie dem Landwirtschaftsbudget. Ob das Parlament zustimmt, ist ungewiss.

Um eine halbe Milliarde Euro soll das EU-Forschungsbudget gekürzt werden. Die deutsche Europa-Abgeordnete Angelika Niebler (CSU) sieht "Projekte im Bereich der Energieeffizienz gefährdet". Helga Nowotny, Generalsekretärin des Europäischen Forschungsrates erwartet, dass auch bei ihrer Organisation gespart wird. Sie finanziert Grundlagenforschung.

"Das wird uns hart treffen", befürchtet Nowotny. Auf die negativen Folgen für Europas Forscher hatte selbst die Kommission Anfang Mai hingewiesen, um von den Mitgliedstaaten frisches Geld für Iter zu bekommen. Doch in Europas Hauptstädten wächst der Frust angesichts des Fusionsprojekts. Die Preissteigerung sei nicht akzeptabel, sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU).

Auf der Suche nach den Ursachen für die Kostenexplosion schieben sich Mitgliedstaaten und Kommission gegenseitig die Schuld zu. "Wir sind alle hereingelegt worden", erregt sich die Unionspolitikerin und Europa-Abgeordnete Ingeborg Gräßle, die im Haushaltskontrollausschuss sitzt.

Die Parlamentarier jedenfalls drohen damit, die neue Iter-Finanzierung im Herbst, wenn die Haushaltspläne beschlossen werden, scheitern zu lassen. "Wir sind noch meilenweit von einer Einigung entfernt", sagt Niebler. Und Ingeborg Gräßle fragt sich, wie oft man noch "schlechtes Geld dem guten hinterherwerfen" müsse. Die Schwäbin erinnert an einen anderen europäischen Problemfall: Das Satellitennavigationssystem Galileo musste vor einem Jahr ebenfalls vor dem finanziellen Kollaps gerettet werden.

"Eine sonderbare Konstruktion"

Fest steht, dass das Management von Iter einerseits eine komplizierte Struktur hat, anderseits lax mit den Mitteln umgegangen ist. An der Spitze der Iter-Organisation steht ein japanischer Diplomat, der nun in Cadarache von einem Landsmann, der Physiker ist, abgelöst werden soll.

Europa wiederum lässt seine Mittel von einer Kommissionsabteilung "Fusion for Energy" verwalten, die aus Proporzgründen in Barcelona sitzt, während der Reaktor in Südfrankreich gebaut wird - "eine sonderbare Konstruktion", sagt Gräßle. Dass die Kommission nun die Kostenexplosion auf "gestiegene Materialpreise" schiebt, mag die Haushaltskontrolleurin auch nicht einsehen: "Das muss ein ordentlicher Finanzierungsplan doch berücksichtigen".

Damit jedes beteiligte Land gleichermaßen profitiert, werden die Aufträge für die Bauteile des Reaktors verteilt. Zehntausend Teile, bilanzierte eine Studie des Brüsseler Center for European Policy im Sommer 2008, müssten letztlich zusammengefügt werden. Das ist, als ob man ein Auto baut, von dem jedes einzelne Teil aus einer anderen Werkstatt stammt.

Schlimmer noch: Die Ingenieure, die die Teile bestellen, verwalten nicht das Geld. Entsprechend teuer wird der Einkauf. Selbst Fusionsforscher wie der Garchinger Max-Planck-Direktor Günther Hasinger kritisieren diese Konstruktion als "ineffizient". Norbert Holtkamp, Vizedirektor des Iter-Konsortiums, wollte die Probleme hingegen vor der Ratssitzung nicht kommentieren.

Als ob all dies nicht kompliziert genug wäre, müssen die Forscher bangen, ob ihr Reaktor überhaupt als Energiequelle taugt. Die Wandmaterialien der Fusionsmaschine müssen einer Hitze von 200 Millionen Grad widerstehen - so heiß wird das Wasserstoffgas ("Plasma"), wenn ähnlich wie im Inneren der Sonne Atomkerne verschmelzen - und den steten Fluss der entstehenden Neutronen ertragen. Mächtige Magnetspulen sind nötig, um das Plasma in Schach zu halten. Viele technische Probleme sind ungelöst.

Doch große Experimente entwickeln ihre Eigendynamik. Ein Ausstieg wird umso schwieriger, je mehr Geld bereits in Iter geflossen ist. Und die Aussicht auf eine unerschöpfliche Energiequelle ist verlockend. An Iter halten daher alle politischen Parteien fest, nur die Grünen wollen aussteigen und andere Energiequellen fördern. Ob die Fusionsmaschine als Stromlieferant taugt, wird sich frühestens 2026 zeigen. Erst dann wird das Plasma zünden.

© SZ vom 27.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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