Japan:AKW-Betreiber bittet Frankreich um Hilfe

Die Kernschmelze im Reaktor 2 des havarierten Atomkraftwerks Fukushima ist in vollem Gang - das verursachte das hochgradig radioaktive Wasser im Turbinengebäude. Erstmals wurde auch außerhalb kontaminisertes Wasser entdeckt. Französische Firmen sollen Tepco in der Notsituation unterstützen. Das Gesundheitsministerium ruft die Bevölkerung indes auf, radioaktiv verseuchtes Regenwasser zu meiden.

In Reaktor 2 hat nach Einschätzung der japanischen Regierung vorübergehend eine Kernschmelze eingesetzt. Das sagte Regierungssprecher Yukio Edano am Montag. Die im dortigen Turbinengebäude im Wasser entdeckte hochgradige Radioaktivität sei auf die partielle Kernschmerze zurückzuführen, sagte der Sprecher. Die Regierung gehe jedoch davon aus, dass die Kernschmelze lediglich vorübergehend sei, betonte Edano.

File photo shows the Fukushima Daiichi nuclear power plant in Fukushima

Luftaufnahme der havarierten Atomanlage Fukushima-Daiichi: Nun warnen die Behörden vor radioaktiv verseuchtem Trinkwasser.

(Foto: REUTERS)

In Reaktor 2 waren mehr als 1000 Millisievert pro Stunde gemessen worden. Der Betreiber der Anlage, Tepco, hatte zunächst gemeldet, die Strahlung sei millionenfach erhöht, später korrigierte er seine Angaben und sprach noch von einer 100.000fach höheren Konzentration als normal.

Auf eine vollständige Kernschmelze deuten die spärlichen und teilweise widersprüchlichen Angaben aus Fukushima nach Ansicht deutscher Experten bislang nicht hin. "Es gibt bis jetzt keinen eindeutigen Hinweis, aber eine teilweise Kernschmelze würde uns nicht überraschen", sagte Horst May, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln.

Bei einer Kernschmelze verwandeln sich die Brennelemente aufgrund der selbsterzeugten Hitze in einen glühenden Brei, der heiß auf dem Boden des Reaktordruckbehälters liegt und sich durch das Material frisst. Die glühende Masse kann bis zu 2000 Grad Celsius erreichen. Nach außen hin wird der Reaktorkern aber durch das sogenannte Containment, eine Hülle aus Stahlbeton, gesichert. Noch gibt es keine Angaben dazu, ob das Containment in Reaktor 2 bereits zerstört ist.

Der Regierungssprecher übte scharfe Kritik an dem Umgang des Betreibers Tepco mit den Messwerten. Das sei "inakzeptabel", sagte Edano. Unterdessen setzten Arbeiter in der Atomruine ihre Bemühungen fort, hochradioaktives Wasser aus den Gebäuden der Anlage zu beseitigen. Das ist notwendig, damit nicht noch mehr Arbeiter verstrahlten werden. Dieses Risiko behindert die Versuche, die Reaktoren abzukühlen.

In dem schwer beschädigten Kraftwerk wurde erstmals außerhalb des Gebäudes von Reaktor 2 stark radioaktiv verseuchtes Wasser entdeckt. Es sei möglich, dass Wasser aus einem Wartungstunnel des Turbinengebäudes ins Meer gelangt sei, teilte Tepco mit.

Der Chef des japanischen Atomkonzerns, Masataka Shimizu, hat sich nach japanischen Medienberichten während der Krise für ein paar Tage krankgemeldet. Er soll inzwischen jedoch wieder bei der Arbeit sein, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo.

Die Arbeiten zur Kühlung der Reaktoren gehen indes weiter: Die Arbeiter in Fukushima-1 haben an diesem Montag die Bemühungen um die Kühlung der Reaktoren fortgesetzt. Dabei wird versucht, für das Einleiten von Süßwasser in die Druckkessel der Reaktoren statt der bisher benutzten Feuerwehrpumpen elektrische Pumpen einzusetzen, wie die Nachrichtenagentur Jiji meldete. Außerdem wird versucht, das radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Reaktorblöcken durch spezielle Pumpen abzuleiten, sodass die Helfer innerhalb der Reaktoren mit der Kühlung fortfahren können.

Im Reaktor 2 sei dies bereits erreicht, nun wolle man auch die Pumpen in den beiden Reaktoren 1 und 3 umstellen, hieß es. Laut Tepco könnte es sein, dass die Druckkessel aller drei Reaktoren beschädigt sind. Grund sei, dass die Kessel noch nicht mit Wasser gefüllt seien. Am Boden der Turbinengebäude der Reaktoren war radioaktiv verseuchtes Wasser festgestellt worden. Einen genauen Überblick über die momentane Situation in den Kesseln habe man sich noch nicht verschaffen können, so Tepco.

Das in Fukushima-1 ausgetretene hochradioaktive Jod-131 ist viel weiter nördlich ins Meer gelangt sein als zunächst angenommen. An der Küste vor den AKW-Blöcken 5 und 6 seien Werte von Jod-131 gemessen worden, die 1150 Mal höher als normal liegen, zitiert tagesschau.de Hidehiko Nishiyama von der Atomsicherheitsbehörde NISA.

Nach Ansicht von Experten ist auch "weit außerhalb" der Sicherheitszone um Fukushima erhöhte Radioaktivitätswerte zu finden. "Es ist klar, dass es außerhalb der Sicherheitszone von 30 Kilometern Stellen von Verunreinigung gibt", sagte der Leiter der französischen Atomsicherheitsbehörde (ASN), André-Claude Lacoste. Es sei auch keineswegs überraschend, Verunreinigung außerhalb eines Umkreises von hundert Kilometern zu finden. Schon heute sei klar, dass die Folgen des Unglücks das Land Jahre wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen werden.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte eine Ausweitung der Evakuierungszone rund um das Atomwrack. In dem Ort Iitate, rund 40 Kilometer nordwestlich des Kraftwerks, gäbe es eine so hohe Strahlenbelastung, dass eine Evakuierung notwendig sei, erläuterte Greenpeace.

Vor allem für Kinder und Schwangere sei es dort nicht sicher, weil sie bereits innerhalb weniger Tage der jährlich erlaubten Strahlenbelastung ausgesetzt seien, erklärte die Umweltorganisation. Um das Kraftwerk Fukushima-1 gilt derzeit eine 20 Kilometer weite Evakuierungszone. Die Regierung legte Bewohnern im Umkreis zwischen 20 und 30 Kilometern außerdem nahe, freiwillig die Gegend zu verlassen.

Doch trotz der weiterhin kritischen Lage am havarierten Meiler und der Warnungen der Regierung kehren zahlreiche Anwohner in die Gefahrenzone zurück. Vor allem älteren Menschen sorgten sich um ihre Häuser und wollen nicht länger in Notfallunterkünften bleiben, berichtete der japanische Nachrichtensender NHK. Die Menschen seien erschöpft vom Leben in den Notlagern. Sie wollten wieder nach Hause, sagte die Provinzregierung von Fukushima. Man werde die Zentralregierung in Tokio bitten, die Lieferung von Hilfsgütern in die Evakuierungszone aus diesem Grund zu verstärken. Laut Medienangaben lebten ursprünglich etwa 140.000 Menschen im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern um Fukushima-1. Es blieb unklar, wie viele davon noch in dieser Zone ausharren.

Regierung ergreift umfangreiche Maßnahmen

Der Betreiber räumte ein, dass es keinen konkreten Zeitplan gebe für seine Versuche, die atomare Katastrophe zu verhindern. Man könne nicht sagen, in wie vielen Monaten oder Jahren die Krise vorbei sei, sagte der Tepco-Vizepräsident Sakae Muto. An der Börse in Tokio brach die Tepco-Aktie an diesem Montag um 14 Prozent ein. Der Atom-Experte Najmedin Meshkati von der University of Southern California sagte, die Situation sei deutlich ernster als angegeben. "Das ist deutlich mehr als das, was eine Nation alleine bewältigen kann." Meshkati forderte ein Eingreifen des UN-Sicherheitsrates.

File still image from video shows white smoke billowing from a window in the No. 2 reactor building at the Fukushima Daiichi nuclear power plant in Tomioka

Weißer Rauch steigt aus dem Reaktorgebäude 2 des japanischen Krisen-AKW Fukushima-Daiichi auf. Der Betreiber Tepco räumt ein, dass die Versuche, die Katastrophe einzudämmen, noch Jahre dauern könnten.

(Foto: REUTERS)

In der Katastrophenlage greift die japanische Regierung zu umfangreichen Maßnahmen: Aus Sorge vor radioaktiver Strahlung hat das Gesundheitsministerium Wasseraufbereitungsanlagen im ganzen Land angewiesen, kein Regenwasser mehr zu verwenden und Becken mit Plastikplanen abzudecken. Da radioaktive Partikel aus dem schwerbeschädigten Atomkraftwerk Fukushima-1 über das Regenwasser in Flüsse gelangen könnten, sollte aus Flüssen kein Trinkwasser mehr entnommen werden, sagte ein Ministeriumssprecher. Allerdings sollten diese Maßnahmen nur in dem Maße umgesetzt werden, wie sie nicht die Trinkwasserversorgung gefährden.

Auf unbestimmte Zeit wird eine Reform der Mautgebühren ausgesetzt, um den Wiederaufbau besser finanzieren zu können. Das teilte das Transportministerium mit. Japanischen Zeitungen zufolge dürfte die Regierung damit 120 Milliarden Yen (etwa 1,04 Milliarden Euro) einsparen. Ursprünglich sollten die Gebühren - einige der teuersten der Welt - gedeckelt werden, um Reisen zu fördern. Das Handelsministerium verzichtet auf die vierteljährliche Schätzung der Stahlproduktion: Die Auswirkungen auf Stahlhersteller und Abnehmer sowie die Autobranche seien noch nicht abzusehen.

Tepco hat einem Medienbericht zufolge französische Firmen um Hilfe gebeten. Es seien Unternehmen wie EDF und Areva angesprochen worden, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo. In Südkorea beschaffte Japan vier Notstrom-Generatoren, die am Dienstag am Katastrophenreaktor eintreffen sollen.

Wind aus Westen trägt in Japan weiter die radioaktiven Teilchen aus den Katastrophenreaktoren in Fukushima auf den Pazifik hinaus. Das sagen die Wetterforscher für Dienstag voraus. Die Metropole Tokio südwestlich von Fukushima-1 soll von möglichen radioaktiven Wolken weitgehend verschont bleiben.

Ein weiteres starkes Nachbeben hielt die Menschen in der Katastrophenregion am Montag in Atem. Schäden wurden jedoch nicht gemeldet. Eine Tsunami-Warnung wurde wenig später wieder aufgehoben. Das Nachbeben hatte die Stärke 6,5. Die US-Erdbebenwarte stufte die Stärke dagegen etwas zurück und sprach von 6,1. Das Zentrum lag nach Angaben der nationalen Meteorologischen Behörde in knapp sechs Kilometern Tiefe vor der Küste der Unglücksprovinz Miyagi in einer Entfernung von 163 Kilometern von Fukushima. An dem Kernkraftwerk Fukushima-1 waren laut Tepco keine weiteren Schäden durch das neue Beben zu erkennen.

Die Region war vor gut zwei Wochen von einem verheerenden Erdbeben der Stärke 9,0 sowie einem Jahrhundert-Tsunami schwer zerstört worden. Mehr als 10.800 Menschen verloren ihr Leben, etwa 16.000 Menschen gelten als weiterhin vermisst. Noch immer müssen mehr als 243.000 Menschen in Notunterkünften hausen.

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