Frage der Woche:Lügen Tiere?

Lügen bedeutet, die Unwahrheit zu sagen. Dafür aber muss man zwischen wahr und unwahr unterscheiden können. Sind Tiere dazu in der Lage?

Markus C. Schulte von Drach

Natürlich täuscht ein Hornissenschwärmer seine Umwelt durch seine Warnfarben und eine Stabheuschrecke spielt gekonnt den Ast. Bewusstes Verhalten ist solche Mimikry aber nicht.

Frage der Woche: Trau schau wem: Manche Paviane können ihre Artgenossen gehörig hereinlegen.

Trau schau wem: Manche Paviane können ihre Artgenossen gehörig hereinlegen.

(Foto: Foto: dpa)

Doch bei einigen Tierarten scheint das anders auszusehen. So berichten Verhaltensforscher immer wieder von Vögeln und Säugetieren - insbesondere Affen - die offenbar gezielt Artgenossen oder Feinde in die Irre führen.

Bekannt sind etwa Geschichten von Vogelweibchen, die einen gebrochenen Flügel vortäuschen, um Räuber von Nest abzulenken. Ebenfalls von Vögeln ist bekannt, dass manche ihre Artgenossen mit einem Warnruf vor einem nicht existenten Räuber in Deckung scheuchen, während sie sich selbst in Ruhe über gerade entdeckte Leckereien hermachen.

Das könnte natürlich ein Verhalten sein, das im angeborenen Verhaltensrepertoire der Tiere enthalten ist. Doch manche Lügengeschichten deuten so stark auf ein überlegtes Täuschungsverhalten hin, dass Wissenschaftler darüber streiten, ob Tiere nicht doch tatsächlich bewusst Lügen können.

Eines der beeindruckendsten und bekanntesten Beispiele für eine tierische Lüge war Paul, ein geradezu krimineller jugendlicher Pavian aus den südafrikanischen Drakensbergen.

Richard Byrne von der Universität Saint Andrews in Schottland hatte den jungen Affen dabei beobachtet, wie dieser auf eindeutig unredliche Weise an leckere Knollen kam:

Paul hatte beobachtet, wie ein weiblicher Pavian das begehrte Nahrungsmittel freigelegt hatte. Mit einem Blick in die Runde versicherte sich der kleine Lump, dass er unbeobachtet war. Dann begann er zu schreien, als wäre er in Gefahr. Seine Mutter tat, was alle Mütter in dieser Situation tun. Sie kam angerannt, stellte fest, dass die einzige mögliche Bedrohung das arglose Weibchen mit den Knollen war - und ging auf diese los. Paul konnte sich in Ruhe über die Knollen hermachen.

Doch war das vielleicht nur Zufall gewesen? Hatte Byrne eine Bedrohung, die Paul hatte schreien lassen, übersehen? Er erzählte seinem Kollege Andy Whiten von seiner Beobachtung. Whiten aber hatte den kleinen Pavian ebenfalls dabei ertappt, wie er ein anderes Tier auf die gleiche Weise um den Lohn der eigenen Arbeit gebracht hatte.

Offenbar hatte Paul tatsächlich eine eigene Strategie entwickelt, die auf einer Lüge basierte. Und dafür musste er wissen, wie seine Mutter auf seinen Schrei reagieren würde. Zielgerichtet missbrauchte er den Hilferuf.

Ein weiteres spektakuläres Beispiel lieferte der Schimpanse Yeroen im Zoo der niederländischen Stadt Arnhem. Nach einem verlorenen Kampf gegen das neue Alphamännchen humpelte der abgesetzte, offenbar schwerverletzte Chef davon. Kaum war er allerdings aus dem Blickfeld des Siegers verschwunden, konnte Yeroen wieder völlig normal gehen, berichtete der Verhaltensbiologe Frans de Waal.

Hunderte Beispiele von Primaten

Hunderte ähnliche Beobachtungen anderer Verhaltensbiologen sammelten Byrne und Whiten - ein wahrer Lügen-Katalog, so hat man den Eindruck. Und immer wieder stellen die Forscher fest, dass es sich um die individuellen Strategien einzelner Tiere handelte und nicht etwa um Verhaltensweisen aus dem allgemeinen Repertoire ihrer Art.

Haben alle diese Tiere bewusst getäuscht? Haben sie sich in andere Tiere hineinversetzt und überlegt, wie diese auf ihr Verhalten reagieren würden - und wie man sie demnach hereinlegen kann?

Lügen Tiere?

Dazu bräuchten sie ein "Selbstbewusstsein". Das aber ist eine kognitive Leistung, die Verhaltensbiologen selbst Menschenaffen nur mit großer Vorsicht unterstellen wollen.

Tatsächlich gibt es Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass manche Affen in einem gewissen Rahmen in der Lage sind, zu begreifen, was in anderen vorgeht. So haben etwa Forscher der Harvard University in Cambridge, USA, ihre Tamarin-Affen einem Test unterzogen, der normalerweise bei Menschenkindern angewandt wird.

Dabei wird vor den Augen der Kinder gezeigt, dass jemand einen Gegenstand unter einer von mehreren Boxen versteckt und dann den Raum verlässt. Wird der Gegenstand danach unter eine andere Box gelegt, so geben Kinder erst ab dem vierten Lebensjahr an, dass der Besitzer nach seiner Rückkehr unter der ursprünglichen, jetzt falschen Box nach dem Gegenstand suchen wird. Sie begreifen in diesem Alter, dass jemand anderer etwas nicht weiß beziehungsweise einem Irrglauben unterliegt.

Zum Lügen gehört Selbstbewusstsein

Zu begreifen, dass ein anderer von falschen Annahmen ausgehen kann, ist eine Voraussetzung für die Möglichkeit, bewusst zu lügen. Genau dieses Wissen über das Nichtwissen des anderen aber wollen die Harvard-Wissenschaftler bei ihren Äffchen ebenfalls beobachtet haben.

Andere Versuche allerdings deuten darauf hin, dass erst eine Reihe von Erfahrungen selbst Menschenaffen dazu bringen, zu täuschen. Das Lügen müsste demnach durch Versuch und Irrtum gelernt werden. Diesen Prozess vermuten Forscher zum Beispiel auch hinter dem Verhalten des berühmten Hundes, der sein Herrchen vom Sofa lockt, in dem er die Tür anbellt. Herrchen steht in der Annahme auf, er bekommt Besuch - und der perfide Köter nimmt den bequemen Platz auf der Couch ein.

Wie auch immer Pavian Paul auf sein Täuschungsmanöver gekommen sein mag - er tätigte eine eindeutig falsche Aussage ("Ich bin in Gefahr"), um damit egoistisch und rücksichtslos jemand anderen um die Früchte - beziehungsweise Knollen - seiner ehrlichen Arbeit zu bringen.

Mögen Wissenschaftler darüber streiten, ob Paul seine Strategie bewusst oder unbewusst entwickelt hat - gelogen hat er allemal.

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