Frage der Woche:Können Parasiten heilen?

Unter den Schlagworten "Natur" und "Bio" werden verstärkt Blutegel, Maden und Wurmeier an und in den Kranken gebracht. Was erwartet den Patienten dabei?

Berit Uhlmann

Mit Saugnapf und Dutzenden spitzen Zähnen hängt sich der Blutegel an den Menschen, um zu schmarotzen, was dessen Adern hergeben. Dass er dabei auf die Gesundheit seines Wirtes spuckt, ist durchaus wörtlich zu nehmen: Nicht aus Nächstenliebe, sondern um seinen Nahrungsgeber möglichst lange und effektiv aussaugen zu können, tränkt er die Wunde mit seinem Speichel, der dem Anschein nach schmerzlindernd und entzündungshemmend wirkt.

Heilen mit Parasiten, Oval Gmbh

Schon lange werden Tiere zur Heilung eingesetzt. Das wisschenschaftliche Fundament ist bis heute wackelig.

(Foto: Foto: oval Gmbh, www.oval-film.com)

Der Effekt hält offenbar auch dann noch an, wenn der Hirudo medicinalis genannte Egel längst vollgesoffen von seinem Wirt ablässt. Warum das so ist, können Mediziner nicht mit Sicherheit sagen. Dennoch nutzen einige von ihnen die Jahrtausende alte Methode seit ein paar Jahren wieder - vor allem um Gelenkbeschwerden zu lindern.

Die Studienlage ist indes unklar. Untersucht wurde bislang besonders die Wirkung der Blutsauger bei Kniearthrosen. In einer Studie der RWTH Aachen beispielsweise mit insgesamt 113 Patienten wurden den Probanden entweder verdeckt vier Blutegel aufs Knie gesetzt, oder die Therapie wurde mithilfe von Nadelstichen und feuchten Auflagen simuliert. Die Beschwerden der Egel-Gruppe besserten sich deutlich. Aber auch in der Placebo-Gruppe berichteten Patienten von subjektiv empfundener Besserung - allerdings weniger stark als in der anderen Gruppe.

Da aber ein recht großer Teil der Patienten die simulierte Behandlung als solche erkannte, andererseits einige der mit Egeln behandelten Patienten sich in der Placebo-Gruppe glaubten, sahen sich die Forscher außerstande zu erklären, ob nun die Parasiten-Behandlung oder der Placebo-Effekt die Linderung hervorgerufen hatte. Sie erklärten dennoch, dass das Egel-Anlegen als eine zusätzliche Therapie bei Kniearthrosen eine Überlegung wert sein könnte.

Derartige Äußerungen von Fachleuten fachen den Handel mit Blutegeln an. Hinzu kommt, das alles, was nach "Bio", "Natur" und "Jahrhunderte altem Heilerwissen" klingt, vielen Menschen vertrauenswürdig und risikoarm erscheint. Doch ganz so harmlos ist die Therapie beileibe nicht.

Andreas Michalsen, Professor für Naturheilkunde an der Berliner Charité, sagt, zwar seien Blutegel mittlerweile als Arzneimittel eingestuft und hygienisch weitgehend unbedenklich. Dennoch warnt er ausdrücklich vor einer Eigenbehandlung.

Zum einen sei die Behandlung nicht für jeden geeignet: Wer beispielsweise gerinnungshemmende Medikamente einnimmt, könne Schwierigkeiten haben, die von den Egeln hervorgerufene Blutung zu stillen. Zum zweiten erfordern die Blutsauger vor dem Anlegen eine Behandlung, die Michalsen "zart und feinfühlend" nennt. Denn geraten die Tiere unter Stress, könnten sie sich in die Wunde erbrechen und so Entzündungen hervorrufen.

Fliegenlarven als Biochirurgen

Als "Biochirurg" geistert seit einiger Zeit die Lucilia sericata durch die Medien. Hinter der anmutigen Bezeichnung verbirgt sich eine Schmeißfliege, deren Maden nichts lieber tun, als schwärendes Fleisch zu fressen - auch an Wunden von Menschen. Dass dies nicht zum Nachteil des Verwundeten sein muss, beobachteten Ärzte schon vor Jahrhunderten.

Vor einigen Jahren haben Mediziner begonnen, die Maden kontrolliert zur Behandlung chronischer Wunden einzusetzen, wie sie vor allem an den Füßen von Diabetikern vorkommen. Aussichtsreich erschien vor allem das Tempo, mit dem die Maden abgestorbenes Gewebe wegfraßen. So spezialisierten sich bereits Unternehmen auf die Madenproduktion.

Doch die erste größere Studie dürfte den Optimismus dämpfen. Wissenschaftler aus New York hatten auf die Fußwunden von 276 Patienten entweder Larven oder ein herkömmliches spezielles Hydrogel aufgelegt. Die Maden hatten Belege aus abgestorbenen Gewebe am schnellsten beseitigt: Sie brauchten nur 14 Tage, das Gel dagegen 72 Tage. Doch bis die Wunde endgültig verheilt war, verging bei beiden Behandlungen etwa gleich viel Zeit: 236 Tage bei Maden, 245 Tage mit herkömmlicher Therapie.

Negativ ins Gewicht fiel bei der Madenbehandlung, dass sie in den ersten 24 Stunden stärkere Schmerzen verursachte und etwas teurer war. Die Forscher sahen insgesamt beide Methoden als gleichwertig an und empfahlen, die Patienten selbst entscheiden zu lassen, welche Behandlung sie bevorzugten.

Schweine-Würmer im Menschen

Eine weitere Bio-Therapie erlebte ihre Geburtsstunde, als Forscher aus Iowa entdeckten, dass Autoimmunerkrankungen wie das Darmleiden Morbus Crohn vor allem in Gebieten mit hohen Hygienestandards auftreten - eben da, wo die Menschen kaum mehr Darmparasiten haben. Diese Beobachtung brachte sie auf die Idee gezielter Wurmkuren.

Die Wahl der Wissenschaftler fiel auf die Eier des Schweine-Peitschenwurms (Trichuris suis). Dieser Parasit befällt auf natürlichem Weg hauptsächlich Schweine, im Menschendarm können seine Eier normalerweise nicht zum Wurm heranwachsen, sondern verlassen ihn nach rund zwei Wochen von allein. Diese Zeit sollte nach Ansicht der Forscher reichen, um das Immunsystem so zu stimulieren, dass die Darmerkrankung gelindert wird.

Erste kleinere Studien waren Erfolg versprechend. Von 54 Patienten, denen die Forscher aus Iowa entweder Wurmeier oder ein Placebo verabreichten, verspürte fast die Hälfte der Wurmpatienten eine Besserungen ihrer Beschwerden. In der Placebo-Gruppe waren es nur 17 Prozent.

Die Idee vom Training des Immunsystems klingt so plausibel, dass bereits Eier produziert werden und die Zulassung als Arzneimittel beantragt wurde.

Noch aber ist die Wirkung nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Unklar ist auch, wie Patienten mit geschwächtem Immunsystem auf die Wurmeier reagieren. Zudem gibt es Befürchtungen, die Würmer könnten sich an den Mensch als Wirt gewöhnen und ihn dann nicht verlassen. Zumindest in einem Fall ist bereits ein voll ausgewachsener Schweine-Peitschenwurm im Darm eines mit Wurmeiern behandelten Patienten gefunden worden.

Fazit: Da die Studienlage nicht ausreichend ist, und mögliche Risiken nicht ausgeschlossen werden können, ist Skepsis gegenüber den Parasiten-Therapien angebracht.

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