Forschungspolitik:Das Quanten-Manifest

Die EU-Kommission will ein teures Großprojekt zur Quantentechnologie fördern. Erstaunlich sind allerdings die Umstände, unter denen die Zusage bekannt gegeben wird: Sie steht recht beiläufig in einem EU-Dokument.

Von Kai Kupferschmidt

Bei Tommaso Calarco steht das Telefon nicht mehr still. "Hier ist die Hölle los", sagt der Quantenphysiker von der Universität Ulm. "Aber ich kann mich natürlich nicht beklagen." Schließlich ist der Grund für all die Aufmerksamkeit die Ankündigung der EU-Kommission, ein eine Milliarde Euro teures Forschungsprojekt zu unterstützen. Calarco hat dafür mit anderen Forschern die Blaupause geschrieben.

Die sogenannte Flaggschiff-Initiative soll Europa an die vorderste Front der "zweiten Quantenrevolution" bringen, heißt es aus der EU-Kommission. Als "erste Quantenrevolution" bezeichnen Forscher die Entdeckung der seltsamen Regeln, die auf der Ebene der Elementarteilchen gelten, etwa dass Lichtwellen sich mitunter wie Teilchen verhalten und Teilchen wie Wellen. Diese Erkenntnis machte die Entstehung von Laser, Transistor und Magnetresonanztomograph möglich. "Ohne diese Entdeckung hätten wir heute kein Facebook, kein Internet", sagt Calarco. Bei der zweiten Quantenrevolution gehe es nun darum, gezielt einzelne Quantensysteme, etwa ein einzelnes Photon oder Atom, zu manipulieren. Das könnte etwa zu genaueren Uhren, ultrasensiblen Sensoren und sicher verschlüsselten Nachrichten führen. Außerdem wollen Forscher die Interaktionen der winzigen Teilchen besser simulieren, um so etwa die Eigenschaften neuer Materialien vorhersagen zu können.

Die beiden anderen Flaggschiff-Projekte wurden mit viel Wirbel bekanntgegeben

Wie genau dieses dritte Flaggschiffprojekt der EU aussehen soll, ist noch unklar. Die Europäische Kommission bereite die Initiative zurzeit vor. Man plane einen Start 2018, sagt eine Sprecherin. Ein Teil des Geldes wird voraussichtlich von der EU-Kommission kommen, ein Teil von Mitgliedsländern und Industriepartnern.

Erstaunlich ist allerdings die Art und Weise, wie das Mammut-Forschungsprojekt angekündigt wurde. Die Mitteilung tauchte in einem Nebensatz in einem EU-Dokument auf, ein krasser Kontrast zum Start der ersten beiden EU-Flaggschiffprojekte. Diese waren 2014 nach einem riesigen Wettbewerb bekannt gegeben worden. Eines davon erforscht das erst 2004 entdeckte Material Graphen, das aus einer einzigen Lage von Kohlenstoffatomen besteht und etwa als Energiespeicher oder im Flugzeugbau Anwendung finden könnte. Das zweite ist das Human Brain Project, das auf eine Computersimulation des gesamten menschlichen Gehirns abzielt. Dieses Projekt wurde zwischenzeitlich massiv kritisiert: Die Ziele seien unrealistisch, das Management undurchsichtig. Nachdem Hunderte Forscher mit einem Boykott gedroht hatten, wurde das Projekt im vergangenen Jahr umgebaut, der Hirnforscher Henry Markram, der als Visionär hinter dem Projekt galt, wurde entmachtet.

Aus diesen Fehlern habe man gelernt, sagt Calarco: "Wir wollten nicht so starten, wie die gestartet sind." Stattdessen haben Calarco und andere in den vergangenen Monaten gemeinsam ein "Quanten-Manifest" verfasst. In Abstimmung mit Hunderten anderen Forschern fordern sie darin eine Milliardeninvestition der EU und entwerfen einen Fahrplan für ein solches Projekt. Entstanden mit Unterstützung der niederländischen Regierung, die zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, soll das Dokument am 17. Mai in Amsterdam vorgestellt werden.

Erstaunlich war die Form der Bekanntgabe in einem Nebensatz

Dass die EU das Projekt nun verwirklichen will, ist ein Erfolg für die Forscher. Calarco und andere hatten sich ursprünglich auch mit einem Entwurf für den Flaggschiff-Wettbewerb 2014 beworben, waren aber nicht in die engere Auswahl gekommen. "Die Zeit war damals noch nicht reif", sagt Calarco. Der NSA-Überwachungsskandal, ausgelöst durch Edward Snowdens Enthüllungen, und die viel beachteten Investitionen von Unternehmen wie Google, Microsoft und Intel in die Quantentechnologie hätten das geändert.

Der deutsche Genetiker Hans Lehrach findet das Vorgehen der EU-Kommission allerdings "recht erstaunlich". Schon die erste Wettbewerbsrunde sei stark von der Politik geprägt gewesen, sagt Lehrach, dessen Projekt damals unter die ersten sechs kam, aber am Ende scheiterte. "Jetzt wird ein Projekt, dessen Vorgänger in der ersten Ausschreibung nicht einmal in die Endrunde gekommen ist, völlig freihändig gefördert."

Das Milliarden-Euro-Projekt der EU sei notwendig, um im Vergleich zu China und den USA wettbewerbsfähig zu bleiben, meint auch der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger. In der Grundlagenforschung sei Europa an der Weltspitze, sagt er. "Wenn wir auch in der Nutzung Spitze sein wollen, dann müssen wir jetzt investieren. Sonst werden die Ideen wieder hier entstehen und die Produkte dann woanders."

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