Folgen des Klimawandels:Wie Leben und Tod verteilt werden

People from a nearby village carry their belongings through floodwaters at Ganjam district in Odisha

Menschen aus einem Dorf im indischen Distrikt Ganjam retten im Oktober 2013 Teile ihres Besitzes vor einem Hochwasser

(Foto: REUTERS)

Steht die Menschheit vor einer Zukunft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer wird, auf einem Planeten, der unter unseren Füßen dahinsiecht? Es gibt eine andere Zukunftsvision - und sie ist keineswegs utopisch.

Von Anna Grear

Die Klimakonferenz in Warschau hat die vorhersehbaren entmutigenden Signale gesendet: Japan ist von der geplanten 25-prozentigen Reduzierung seiner CO2-Emissionen abgerückt, Forderungen nach Entschädigungen für arme, vom Klimawandel verwüstete Länder sind auf taube Ohren gestoßen, das Gastgeberland Polen bot parallel zur Klimakonferenz der weltweiten Kohleindustrie zwei Tage lang eine Bühne.

Auch hört man, dass Kanada sich nun wie auch Australien bemüht, andere Industrieländer von der Einhaltung der Klimaziele abzubringen.

Die Bilder der Verwüstung, die der Taifun Haiyan über die Philippinen gebracht hat, lassen ahnen, was der Menschheit möglicherweise bevorsteht. Es ist eine Schreckensvision: zerstörte Häuser, Tote am Straßenrand, Menschenmassen, die auf der Flucht vor Dürre, Hochwasser und anderen Klimakatastrophen an Staatsgrenzen Einlass fordern.

Es ist die Schreckensvision von einer Zukunft der Kriege um das Lebensnotwendige, der zunehmenden Sicherheitsvorkehrungen, der tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich und eines Planeten, der unter unseren Füßen dahinsiecht. Wir wissen, dass in manchen Ländern schon heute an Notfallplänen gearbeitet wird, wie die Bevölkerung in Schach zu halten ist im Falle von Unruhen, die der Klimawandel auslösen könnte.

Eine andere Zukunftsvision ist weitaus humaner, und sie ist keineswegs utopisch. Es ist eine Vision, in der die Klimagerechtigkeit auf der internationalen Agenda nach oben rückt und die bindende Verpflichtung mit sich bringt, unter Berufung auf die Menschenrechte und universale Rechtsgrundsätze eine gerechte und nachhaltige Zukunft zu sichern. Die Idee der Klimagerechtigkeit setzt darauf, dass die Schreckensszenarien verhindert werden können, wenn jetzt schnell und konsequent gehandelt wird.

Den ethischen Horizont erweitern

Dies verlangt, dass wir unseren ethischen Horizont erweitern. Die Bilder des Taifuns zeugen nicht nur von den verheerenden Wirkungen der Naturgewalten, sondern auch von den der Klima-Ungerechtigkeit zugrunde liegenden Mustern: Die schlimmsten Folgen des Klimawandels treffen ausgerechnet jene, die am wenigsten dazu beigetragen haben und über die geringsten Mittel verfügen, sich dagegen zu wappnen. Die Opfer der Klima-Ungerechtigkeit sind also vorhersehbar. Es sind die "Armen" - wo immer sie auch sind. In unserer Gegenwart sind sie vor allem auf der südlichen Hemisphäre.

Sozioökonomische Benachteiligung ist weder neutral noch zufällig. Die Verteilung von Privilegien und relativer Schwäche folgt gesellschaftlichen und historischen Mustern, auch bei der Klima-Ungerechtigkeit. Diese in der ganzen Welt verbreiteten Muster treten in den UN-Statistiken über Armut und Benachteiligung deutlich zu Tage. Es sind "eingespielte Verteilungen von Leben und Tod", wie die Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway sie nennt. Nach den Worten des Soziologen David Nibert entstehen daraus "Unterdrückungsgeflechte", die einen Teil der Menschheit ebenso betreffen wie Tiere und Ökosysteme.

Ein ähnliches, weniger augenfälliges Muster prägt auch unser Rechtsverständnis. Wie die Wirtschaftswissenschaften kennt auch das Recht einen idealen Akteur, einen dubiosen Archetypus: den autonomen, eigenständigen, rationalen Menschen als Rechtsperson. Dieses Konstrukt beinhaltet zwangsläufig "Andere" als Gegenstück. Diese "Anderen" sind die altbekannten historischen Opfer politischer, wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Diskriminierung: Besitzlose, Frauen, nichtweiße Menschen, Nomaden und indigene Völker, ebenso Tiere und Ökosysteme.

Bekannte Muster der Ungerechtigkeit

Die Muster der Klima-Ungerechtigkeit sind den Vereinten Nationen und anderen Beteiligten empirisch klar. Sie bilden exakt die bekannten Muster sozialer, ökonomischer, politischer und rechtlicher Benachteiligung ab, die die "Anderen" als Gegenstück zum archetypischen "menschlichen" Akteur kennzeichnen. Dieser archetypische Akteur ist selbst dann gewissermaßen körperlos, wenn es sich um eine natürliche Person handelt. Denn er ist radikal aus seinem Kontext gelöst, wie der Rechtstheoretiker Pierre Schlag darlegt: Er ist viel zu abstrakt und eng gefasst, als dass er dem komplexen, körperlichen Menschen gerecht werden könnte.

Diesem archetypischen Akteur entsprechen Körperschaften dagegen nahezu perfekt, da sie als juristische Person quasi unabhängig von ihren natürlichen Vertretern existieren. Als Rechtsform von Kapitalgesellschaften sind sie zugleich die Personifizierung des Kapitals. Dank ihrer Körperlosigkeit können sie zum Beispiel über rechtliche Zuständigkeitsgrenzen hinweg ihre Gestalt ändern, um sich der Verantwortung für ihr Handeln auf eine Weise zu entziehen, wie es keinem Menschen möglich ist. Das macht es zu einem echten Problem, Kapitalgesellschaften zur Verantwortung zu ziehen. Die erscheint umso empörender, als dass diese Form die gesamte weltweite Rechtsordnung dominiert: das internationale Handelsrecht, das internationale Umweltrecht und auch die weltweite Menschenrechtsgesetzgebung.

In seinem Buch über das globale Umweltrecht von 2013 argumentiert Stephen Turner von der Kingston Law School in London: "Die grundlegende Ausgestaltung des Rechts selbst tendiert zur zunehmenden Schädigung der Umwelt und ist Teil einer nicht funktionierenden globalen Rechtsarchitektur, die Nachhaltigkeit im Umgang mit der Umwelt nicht erreichen kann." In der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung hat die Kolonisierung der Menschenrechte durch Kapitalgesellschaften eine zutiefst zerstörerische Wirkung auf die Rechte von Menschen. Rechtswissenschaftliche Forschungen offenbaren eine radikale Schieflage der Weltordnung, in der Unternehmensinteressen die internationale Handelsagenda diktieren.

Die Muster der Klima-Ungerechtigkeit zeigen, dass die Klimakrise auch eine Krise menschlicher Hierarchie ist. Wenn wir etwas gegen den Klimawandel unternehmen wollen, müssen wir etwas gegen sozioökonomische Ungerechtigkeit tun. Damit das gelingt, müssen wir uns die im System angelegte rechtliche Bevorzugung der Kapitalgesellschaften vornehmen. Wenn sich die Zukunft nicht in eine Schreckensvision verwandeln soll, muss das Recht in seinen tiefsten und verborgenen Grundannahmen verändert werden.

Um der Klima-Ungerechtigkeit zu begegnen, brauchen wir neue rechtliche Verfahren. Wir brauchen etwa neue Anhörungsformen, in denen sich die in vielfältiger Weise betroffenen Gemeinschaften Gehör verschaffen können. Das Geschäft darf nicht mehr wie gewohnt weitergehen.

Rechtswissenschaftlerin Anna Grear, 54, lehrt in Cardiff, sie ist Dahrendorf Visiting Fellow an der London School of Economics und Direktorin des Global Network for the Study of Human Rights and the Environment.

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