Flugtechnik:"Wir werden die Luftfahrt verändern"

Lesezeit: 6 min

350 PS und der Motor wiegt nur 50 Kilogramm. Doch dann gibt es da noch die Batterien: die "Extra 330LE". (Foto: Siemens)

Ingenieure entwickeln erste Flugzeuge mit Elektromotoren: Sportflieger zum Beispiel und E-Taxis mit Brennstoffzellen.

Von Alexander Stirn

Irgendetwas fehlt. Irgendwas stimmt nicht. Es ist zu ruhig. Klar, die Propellerblätter, die das kleine Kunstflugzeug mit seinen grünblauen Rallyestreifen zu Loopings antreiben, machen Lärm. Klar, die Luft streift bei 330 Kilometern pro Stunde deutlich hörbar über die Tragflächen. Doch das Brummen, das stakkatoartige Trommeln eines Motors - es ist nicht zu hören.

Der Kunstflieger, der an diesem Morgen unweit von Dinslaken seine Pirouetten dreht, verbrennt weder Benzin noch Kerosin. Er fliegt mit elektrischem Strom. Siemens-Ingenieure haben ihm einen, wie sie sagen, "Weltrekord-Elektromotor" spendiert: 260 Kilowatt Leistung bei nur 50 Kilogramm Gewicht. "Wir werden die Luftfahrt verändern", sagt Frank Anton, Abteilungsleiter E-Aircraft bei Siemens.

Lange galt elektrisches Fliegen als Kuriosum, als Nische für Kleinstflugzeuge, als ökologisches Feigenblatt auf Luftfahrtmessen. Doch langsam reift die Idee vom leisen, emissionsarmen E-Antrieb. Statt weiter bunte Konzeptideen zu produzieren, wollen Ingenieure nun die Machbarkeit erforschen - angefangen bei Maschinen für Flugschulen über fliegende E-Taxis bis zum Regionaljet für hundert Passagiere.

Statt auf Hochglanzvisionen konzentrieren sich die Entwickler endlich auf die Grundlagen

Die Luftfahrtindustrie hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2050 ihren Schadstoffausstoß zu reduzieren. So sollen die Emissionen des Klimagases Kohlendioxid um 75 Prozent verringert werden - verglichen mit den Werten des Jahres 2000. Die Lärmbelastung soll um 60 Prozent sinken, bei Stickoxiden ist sogar eine Reduktion um 90 Prozent geplant. "Mit einer schrittweisen Verbesserung der heutigen Technologie werden wir das bei Weitem nicht erreichen", sagt Martin Nüsseler, Leiter des E-Aircraft-Systemprogramms bei der Airbus Group in Ottobrunn.

Zwar ist zu erwarten, dass sich die Technik der Strahltriebwerke, wie sie heute die meisten Passagierflugzeuge antreiben, weiter verbessern wird. Das wird allerdings ein starker Anstieg des Flugverkehrs konterkarieren. Die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung Iata schätzt, dass sich die Zahl der Passagiere von 3,5 Milliarden im Jahr 2015 auf sieben Milliarden im Jahr 2034 verdoppeln wird. 36 000 neue Flugzeuge sollen bis dahin in Dienst gehen.

Drohnen-Testgelände
:Wie Flugzeuge autonom werden sollen

Im Allgäu können Drohnen-Entwickler erstmals unbemannte Fluggeräte ohne spezielle Genehmigungen erproben. Das könnte der Einstieg in die autonome Fliegerei sein.

Von Christoph Behrens

Hinzu kommt die Wirtschaftlichkeit: Airlines müssen schon heute bis zu einem Drittel ihrer Betriebskosten für Kerosin aufwenden. Sollte Öl in den kommenden Jahrzehnten teurer werden, könnte dieser Anteil steigen. "So lange können wir nicht warten", sagt Nüsseler. "Wir müssen jetzt anfangen, technologische Alternativen zu erforschen und zu entwickeln."

Genau deshalb zaubert die Extra 330LE erste Loopings in den Himmel über Dinslaken. Hier, am Flugplatz Schwarze Heide, zwischen Maisfeldern und Pferdekoppeln, will Siemens der Zukunft näherkommen. "Wenn wir unseren Motor unter hohen Belastungen testen wollen, ist ein Kunstflugzeug genau das richtige", sagt Frank Anton. Im großen Bug des Fliegers wirkt der nur 15 Zentimeter lange E-Motor allerdings ziemlich verloren. Mithilfe numerischer Simulationen haben die Siemens-Ingenieure alle entbehrlichen Teile identifiziert und anschließend weggefräst. Übrig geblieben ist ein Leichtgewicht. Anton ist überzeugt, dass sich mit derselben Technik auch drei- oder viermal so starke Motoren bauen lassen. "Dann kämen wir in den Megawatt-Bereich, und damit ließen sich auch Flugzeuge mit bis zu 19 Passagieren antreiben", sagt der Siemens-Ingenieur.

Allein mit Akkus wird das nicht klappen. Bereits in der Extra nehmen die Batteriepacks den restlichen Motorraum und den zweiten Sitzplatz im Cockpit ein. In künftigen E-Flugzeugen sollen daher Hybrid-Systeme zum Einsatz kommen, bei denen ein Generator, angetrieben von einer Gasturbine, die Batterien unterstützt.

Nach anfänglicher Elektro-Euphorie sind die Erwartungen inzwischen realistischer geworden, vorsichtiger, vielleicht auch erwachsener. Jahrelang tourte Airbus mit dem E-Fan über Luftfahrtmessen, einem rein elektrischen Einsitzer. Vergangenen Sommer flog der Elektroflieger, ein Prestigeprojekt des früheren Forschungsvorstands Jean Botti, öffentlichkeitswirksam über den Ärmelkanal. Er sollte Grundlage eines zweisitzigen Trainingsflugzeugs für Flugschulen werden, die weder große Reichweiten noch lange Einsatzzeiten brauchen. Pläne für die Serienfertigung des 600 Kilogramm schweren E-Fans und einen Verkaufsstart Ende 2017 wurden geschmiedet. Sogar an einen Viersitzer war gedacht worden.

Inzwischen klingt das anders: "Der E-Fan war ein erster Schritt, um die Machbarkeit im Kleinen zu zeigen - aber auch, um Werbung für das Thema zu machen", sagt Nüsseler. "Wir haben viel gelernt." Strategisch passe er aber nicht mehr ins neue Technologiekonzept. Gebaut werde das Mini-Flugzeug allenfalls mit einem Partner. Oder gar nicht. Auch E-Thrust, eine gemeinsam mit dem Triebwerkshersteller Rolls-Royce entwickelte Vision, die im vergangenen Jahr auf der Pariser Luftfahrtmesse in Le Bourget präsentiert wurde, ist schon wieder obsolet. Das futuristische Konzeptflugzeug für 90 Passagiere sollte von sechs elektrischen Mantelpropellern im Heck angetrieben werden.

"Power to Gas"
:So kann Wind gespeichert werden

Aus dem Strom erneuerbarer Energien lässt sich Wasserstoff, Methan und Benzin erzeugen. Wie gut ist die "Power to Gas"-Technik?

Von Benjamin von Brackel

Statt auf Hochglanzvisionen konzentrieren sich die Airbus-Ingenieure - so scheint es - wieder auf die Grundlagen. In den kommenden vier Jahren will der Konzern das Thema Elektrofliegen gemeinsam mit Siemens neu aufrollen. Einen dreistelligen Millionenbetrag lassen sich die Partner das Engagement nach eigenen Angaben kosten. Es gehe darum, sagt Nüsseler, die Machbarkeit unterschiedlicher Elektro-Ansätze in der Luftfahrt zu zeigen - vom Kleinflugzeug bis zum Regionaljet. 2020 soll dann die Entscheidung fallen, ob und wie es weitergeht.

Gerade bei größeren Flugzeugen herrscht noch viel Unsicherheit. "Eine der großen Herausforderungen für hybrid-elektrische Antriebe in der Luftfahrt ist das Gewicht", sagt Nüsseler. Generatoren, Batterien, Kabel und Elektromotoren sind zusammen deutlich schwerer als ein klassisches Triebwerk. Erst langsam, so wie beim Elektromotor der Extra, werden die Aggregate für die Luftfahrt optimiert. Die elektrische Energie, die für ein großes Flugzeug mit bis zu 100 Sitzen benötigt wird, lässt sich zudem nur mit hoher Spannung an die Elektromotoren übertragen. Andernfalls wären die Verluste zu groß. "Hochspannungsnetze in der Luftfahrt sind aber etwas völlig Neues, das müssen wir erst lernen", sagt Nüsseler.

In einem großen Hybridflugzeug soll eine zentrale Turbine den Strom für die Elektromotoren erzeugen. Sie lässt sich tief im Rumpf unterbringen, wo sie - anders als heutige Triebwerksgondeln unter den Flügeln - die Aerodynamik nicht stört. Sie kann zudem in einem optimalen Drehzahlbereich betrieben werden und müsste anders als Strahltriebwerke keinen großen Leistungsbereich abdecken, was auf Kosten der Effizienz und des Verbrauchs geht.

Beim Start, wenn am meisten Schub benötigt wird, könnte eine Batterie nachhelfen, die sich schnell entlädt. Andere, auf Ausdauer getrimmte Akkus können während des Reiseflugs einen Teil der Arbeit übernehmen. Beim Sinkflug ist es sogar denkbar, die Batterien wieder zu laden. "All das lässt sich aber nur in einem Gesamtkonzept für ein konkretes, neues Flugzeug realisieren", sagt Nüsseler. "Sämtliche Versuche, einen bestehenden Flieger zu hybridisieren, werden scheitern." Die Nasa experimentiert zurzeit mit einer langen Tragfläche, an deren Vorderkante zwölf kleine Elektropropeller verteilt sind. Sie werden nur bei Start und Landung aktiv, lassen Luft schneller über die Tragfläche strömen. Das verstärkt den Auftrieb und erlaubt langsamere Landegeschwindigkeiten. Den Vortrieb übernehmen zwei größere Propeller an den Flügelenden.

Auch abgasfreie Varianten sind denkbar. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht mit Brennstoffzellen, die Wasserstoff elektrochemisch in Strom verwandeln. Bereits 2009 hob Antares ab, ein 460 Kilogramm schwerer Motorsegler, das erste bemannte Brennstoffzellenflugzeug. Nun soll ein Viersitzer folgen: Der offizielle Erstflug von HY4, einem 24 Meter breiten Flügel, unter dem zwei Rumpfsegmente für jeweils zwei Passagiere hängen, ist für Ende September geplant.

"Brennstoffzellen arbeiten sehr effizient und liefern eine hohe Energieausbeute", sagt Josef Kallo, Koordinator für das elektrische Fliegen beim DLR. Zudem funktionieren sie ähnlich wie Batterien und lassen sich somit leicht mit einem Akku zusammenschalten. Bis zu 1,5 Tonnen darf HY4 wiegen, etwa 400 Kilogramm entfallen dabei auf das Antriebsmodul samt Wasserstofftank. Der ist - einschließlich einer Hochleistungsbatterie - groß genug, um einen knapp 110 PS starken Elektromotor anzutreiben und eine Reichweite von bis zu 1500 Kilometern zu garantieren.

Zunächst vier, dann acht, irgendwann vielleicht sogar 40 Menschen sollen darin Platz finden: Kallo träumt von fliegenden Taxis mit Hybridantrieb, die ohne Abgase und mit wenig Lärm zwischen kleineren Städten pendeln. "So ein Flug-Taxi ist in den nächsten drei bis fünf Jahren technologisch definitiv machbar", sagt der Elektroingenieur. Er habe da keine Bedenken, erst recht nicht, seitdem er im Labor die Leistungswerte von Brennstoffzellen und Batterien gesehen habe. "Das ist nur noch eine Sache von Fleißarbeit."

Beim 40-Sitzer, der mit 450 Kilometer pro Stunde unterwegs sein wird, ist die Aufgabe schwerer. Hier konnten die DLR-Forscher immerhin zeigen, dass mit Brennstoffzellen Reichweiten von 1000 Kilometern möglich sind. Bei Regionaljets mit hundert oder mehr Sitzen und Reichweiten von bis zu 2000 Kilometern liegen Hybridantriebe mit Gasturbinen vorne.

"Theoretisch wären in den oberen Leistungsklassen auch reine Elektroflugzeuge möglich", sagt Nüsseler. Dann bliebe aber wenig Raum für Passagiere - zumindest mit der heutigen, platzraubenden Batterietechnologie: Derzeit bieten handelsübliche Akkus Energiedichten von etwa 100 Wattstunden pro Kilogramm. Im Labor sind bereits 350 Wattstunden und mehr möglich. Bei 600 bis 1000 Wattstunden würde es interessant. "Dann ist vieles denkbar, was wir heute noch nicht sehen. Das ist alles eine Frage der Zeit", sagt Nüsseler.

Nach 13 Minuten Kunstflug ist auch die Extra 330LE wieder gelandet - und mit ihr die Daten des offiziellen Jungfernflugs. Fast lautlos rollt der Flieger zurück zum Hangar; übermäßig viele Pirouetten hat er heute nicht gedreht. "Wir sind aus dem Showbereich raus", sagt Frank Anton, "jetzt steht die Forschung im Mittelpunkt."

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLilienthal-Flugzeug
:Eine Legende im Windkanal

Aerodynamiker bauen den Gleiter nach, mit dem Otto Lilienthal einst die Lüfte eroberte. Im Labor soll die präzise Kopie des Fluggeräts seine Geheimnisse offenbaren.

Von Alexander Stirn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: