Fischfang:Müllkippe auf hoher See

Europas Fangquoten zwingen die Fischer, Tiere wegzuwerfen - auf Druck Norwegens soll das jetzt verboten werden.

Cornelia Bolesch und Gunnar Herrmann

Erst schießt ein Schwall toter Fische aus einer Luke in der Bugwand. Dann hieven die Männer auf dem britischen Trawler Prolific mit einem Kran Dutzende Kisten mit Dorsch und Seelachs aus dem Laderaum und kippen den Inhalt über die Reeling. In wenigen Minuten vernichten sie etwa fünf Tonnen Speisefisch. Das Video der norwegischen Küstenwache sorgte im August für wütende Reaktionen. Denn die dort gezeigte Verschwendung ist kein Einzelfall: Sie ist in der EU üblich - und teilweise sogar vorgeschrieben.

Fischfang: Die verordnete Vernichtung von Speisefischen freut nur die Seevögel.

Die verordnete Vernichtung von Speisefischen freut nur die Seevögel.

(Foto: Foto: dpa)

Fischer in der Europäischen Union dürfen nur Tiere vermarkten, für die sie eine Quote haben. Umweltschützer schätzen, dass allein in der Nordsee ein Drittel der gesamten Fangmenge vernichtet wird. Doch auf Druck der Norweger wollen die EU-Minister jetzt Maßnahmen beschließen, die den Rückwurf von Fischen verringern. Im Osloer Fischereiministerium bezeichnet man das neue Abkommen mit der EU als "Durchbruch", weil damit das Problem des sogenannten "Beifangs" endlich auf die europäische Tagesordnung komme.

Es ist das übliche Ritual vor Weihnachten: Im nüchternen Konferenzgebäude des EU-Ministerrats in Brüssel treffen sich an diesem Donnerstag die zuständigen Minister der 27 Mitgliedsländer. Es geht um "Total Catch Allowances" (TAC), also die Gesamtfangmengen einzelner Fischarten, und um die Quoten für die einzelnen Staaten. Diesmal sind die Nordsee und der Atlantik dran. Für Ostsee und Tiefsee ist das große Feilschen um den Fisch bereits abgeschlossen. "Das ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung", sagt einer der Teilnehmer. "Es geht um harte Interessen".

Ein Hering kennt keine Grenze

Der Interessenausgleich zwischen der EU und dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen in der Fischerei begann schon in den sechziger Jahren. Fische halten sich schließlich nicht an Landesgrenzen. Deshalb verwalten Beamte in Oslo und Brüssel mehrere Fischbestände in der Nordsee gemeinsam. Das bedeutet: Beide Partner einigen sich jedes Jahr auf Fangquoten, die dann unter den Fischern aus der EU und Norwegen aufgeteilt werden. Diese langjährige Kooperation könnte jetzt ein zusätzlicher Hebel werden für eine radikale Reform der EU-Fischerei.

Müllkippe auf hoher See

Oslo wirft den Europäern vor, sich mehr zu nehmen, als ihnen zusteht. Denn die Fische, die EU-Boote fangen und als Abfall wieder über Bord werfen, werden auf die Quote nicht angerechnet. Norwegens Fangflotte ist dagegen gezwungen, alles was sie an Bord holt, auch in den Hafen zu bringen. Seit Jahren versucht Oslo die Brüsseler Kommission davon zu überzeugen, dass sie dem norwegischen Beispiel folgen und die Verschwendung der gemeinsamen Ressourcen stoppen soll. Denn solange der Rückwurf in der EU gestattet ist, hat das norwegische Verbot Lücken. Die Prolific etwa holte ihren Fang aus norwegischen Gewässern. Dann fuhr sie einige hundert Meter hinüber ins EU-Gebiet, wo sie straffrei einen Teil der Fische entsorgte.

Kleine Fische erzielen am Markt niedrigere Preise, deswegen sortieren manche Fischer sie aus um ihren Laderaum möglichst nur mit teuren, großen Fischen zu füllen. Wahrscheinlich war dieses Gewinnstreben auch der Grund für die Wegwerfaktion auf der Prolific. Zumindest das Vernichten von Tieren, den die Fischer ohne Problem vermarkten könnten, soll nun vom 1. Januar 2009 an auch in der EU verboten werden. Das sieht Abschnitt 12 des neuen Abkommens zwischen der EU und Norwegen vor. Allerdings ist es nur ein "erster Schritt" einer umfassenden Lösung.

"Wir machen uns lächerlich"

Die EU verpflichtet sich jedoch, ein komplettes Rückwurfverbot für die Zukunft "zu prüfen". Deutsche Politiker gehen noch ein Stückchen weiter. Agrar-Staatssekretär Gert Lindemann sagt schon jetzt: "Wir wollen mittelfristig ein Verbot von Beifang". Allen Beteiligten ist klar, dass dieses Versprechen nur eingelöst werden kann, wenn die EU ihre Kontrollen drastisch verschärft. Denn was Fischer auf hoher See über Bord gehen lassen, bleibt in der Regel unbemerkt. Neben neuen Auflagen für die Fanggeräte diskutiert man auch über akustische Warnmelder, die unerwünschte Fische abschrecken sollen, und über die elektronische Überwachung von Fischerbooten. Bis 2012 will EU-Fischereikommissar Joe Borg radikale Vorschläge durchsetzen. Der Kommissar aus Malta fand harte Worte für die bisherige EU-Fischereipolitik. "Wir machen uns lächerlich", sagte er und sprach von "kollektivem Versagen".

Umweltgruppen werden am Donnerstag einen großen Müllwagen vor den Ministerrat schieben. Aus dem Lkw soll ein überdimensionaler Fischschwanz ragen. Auf den Seiten des Wagens wird die Aufschrift stehen: "Meerestiere sind kein Müll. Stoppt Beifang!".

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