Feinstaubbelastung:Dreck-Sensor im Eigenbau

Eine Stuttgarter Initiative hat ein Netz aus selbstgebastelten Feinstaub-Messgeräten aufgebaut, deren Daten im Internet abrufbar sind. So wollen die Aktivisten das Bewusstsein für Luftverschmutzung stärken.

Von Walther Weiss

Stuttgart ist die Feinstaub-Hauptstadt Deutschlands. Das Neckartor wurde in den vergangenen Jahren zum Symbol für Luftverschmutzung. Die Gegenmaßnahmen von Stadt- und Landesregierung setzen bislang auf freiwillige Mithilfe der Bürger, doch sie greifen nicht: Weniger als fünf Prozent der Autofahrer folgen der Aufforderung, an Tagen mit Feinstaub-Alarm ihr Fahrzeug stehen zu lassen. Vom nächsten Jahr an soll es deshalb Fahrverbote für einen Großteil der Dieselautos geben, so hat es die schwarz-grüne Landesregierung beschlossen.

"Die Grünen stellen sich hier in Stuttgart bei Umwelt- und Verkehrsthemen sehr ungeschickt an", klagt Jan Lutz. "Also wollte ich zeigen, wie man aus einem schwierigen Thema ganz viel positive Öffentlichkeit erzeugen kann." Der Kommunikationsdesigner und Leiter des OK Lab Stuttgart gründete Anfang 2015 das Projekt Luftdaten.info. Das Ziel ist, 300 kostengünstige, selbstgebaute Feinstaub-Sensoren in Stuttgart zu installieren, deren Messergebnisse im Internet abrufbar sind - open data, also für jedermann jederzeit zugänglich. Mit einem Zusatz: Luftdaten.info erhebt die Daten selbst, im Gegensatz zu den meisten Open-Data-Projekten, die bereits vorhandene Daten aufbereiten oder visualisieren.

Ein halbes Jahr lang recherchierten, experimentierten und programmierten eine Handvoll Helfer des OK Lab und bauten Prototypen. Im Sommer 2015 ging Sensor Nummer eins in Betrieb. Der Bausatz besteht neben dem eigentlichen Feinstaub-Sensor aus einem kleinen Prozessor mit WLAN-Chip, einer USB-Stromversorgung und zwei Plastik-Röhren aus dem Baumarkt als Wetterschutz. Rund 30 Euro kostet der Bausatz. Über eine Crowdfunding-Plattform sammelte das OK Lab 9000 Euro, genug für 300 Messstationen, die nun nach und nach ans Netz gehen. Am 4. März, zum offiziellen Projekt-Start, waren schon rund 260 Sensoren online.

Stuttgart ist Deutschlands Stau-Hauptstadt

Dritter Feinstaubalarm in Stuttgart.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Landkarte auf der Homepage des Projekts (deutschland.maps.luftdaten.info) wird täglich bunter. Farbige Waben zeigen die Sensoren, die mit Farben von grün über orange bis violett die örtliche Partikel-Belastung in Echtzeit signalisieren. Die interaktive Karte ist intuitiv bedienbar. Einzelne Messwerte lassen sich in der Randspalte ablesen. Neben den Daten findet sich auch eine Einkaufsliste für den Selbstbausensor sowie die Anleitung zum Zusammenbau. Der ist nicht ganz so einfach wie Lutz behauptet ("Das kriegt sogar mein 9-jähriger Sohn hin"), aber mit etwas Geduld durchaus zu schaffen. Beim Selbstversuch war der heikelste Punkt das Aufspielen einer vom OK Lab Stuttgart zur Verfügung gestellten Software auf den Mini-Computer. Wer nicht weiter kommt, kann sich jedoch an das OK Lab wenden. Die Aktion erreicht über regelmäßige Bastel-Workshops inzwischen auch Menschen, die mit Open Data- oder Hacker-Szene sonst nichts zu tun haben. In einer Email bedankte sich eine ältere Dame und berichtete, vor dem Lüften ihrer Wohnung nun stets im Internet nach den Messwerten ihres Sensors zu sehen.

Selbstredend ist von einer 30-Euro-Messstation nicht die gleiche Genauigkeit zu erwarten wie von einer amtlichen für 20 000 Euro. Zwar hat die Materialprüfungsanstalt der Uni Stuttgart der verwendeten Sensortechnik eine überraschend geringe Abweichung zu ihrem geeichten Gerät bescheinigt, doch es kommt auch Kritik. Axel Friedrich, Umweltberater und Feinstaub-Experte, hält manche Sensor-Einstellungen für zu stark vereinfachend. Die ermittelten Werte taugten daher nicht, um Grenzwertüberschreitungen nachzuweisen. Zudem bestehe der Abgas-Feinstaub von Benzinmotoren heutzutage überwiegend aus Nanopartikeln, die die OK-Lab-Technik nicht erfasse. Jan Lutz sieht das nicht als Problem. Er möchte vor allem erreichen, dass betroffene Bürger durch Eigeninitiative ihr Verhalten ändern: "Aufklärung und Sichtbarmachen führen zu Handlungsdruck". Dann falle es leichter, das Auto mal stehen zu lassen oder den Kaminofen nicht anzuheizen, wenn die Schadstoffbelastung hoch sei.

Dass sich Menschen mehr mit Luftschadstoffen beschäftigen, sieht auch Marion Wichmann-Fiebig grundsätzlich positiv. Als Abteilungsleiterin Luft im Umweltbundesamt wird sie seit einigen Jahren immer wieder mit den Messungen von Billig-Sensoren konfrontiert. Die gemessenen Werte seien allerdings oft mit Vorsicht zu genießen, "da kommen Leute zu uns und sagen, sie hätten vor einer Schule gemessen und die Stickstoffdioxid-Grenzwerte würden überschritten. Dabei ist der Grenzwert ein Jahresmittelwert." Andererseits verfügten Open Data-Projekte oft über eine gewisse Schwarm-Intelligenz. Daher sei nicht ausgeschlossen, so Wichmann-Fiebig, dass das Umweltbundesamt künftig die Möglichkeit eröffnen werde, solche Messungen auf einer Internetseite des UBA einzustellen. Zurzeit liege der Fokus aber auf einer eigenen App, die amtliche Messwerte von Feinstaub, Stickoxiden und Ozon auf dem Smartphone visualisiert und im Herbst 2017 präsentiert werden soll.

Was sind OK Labs?

"OK" steht für Open Knowledge, also offenes Wissen. Die 2004 gegründete Organisation Open Knowledge International setzt sich laut Selbstdarstellung für "offenes Wissen, offene Daten, Transparenz und Beteiligung" ein. Eine Hauptforderung von Open Knowledge ist Informationsfreiheit, also beispielsweise der freie Zugang zu Verwaltungsdaten von Behörden. Die 26 deutschen OK Labs sind die Treffpunkte des deutschen Ablegers Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. (www.okfn.de). Hier entwickeln Programmierer, Designer, Journalisten und sonstige Interessierte ehrenamtlich Projekte. Beispiele sind die Webseiten fragdenstaat.de oder offenerhaushalt.de, die eine Schnittstelle zu Behörden bieten oder staatliche Haushaltsdaten visualisieren.

Der Grad der Informationsfreiheit ist Ländersache. Ziemlich fortschrittlich ist Hamburg: Dort gibt es eine Veröffentlichungspflicht für alle Informationen von öffentlichem Interesse, Bürger können sie in normalerweise kostenfrei erhalten. In anderen Bundesländern wie etwa Baden-Württemberg sind die Gesetze restriktiver. Anfragen an die Verwaltung sind hier regelmäßig mit abschreckenden Kosten verbunden.

Die OK Labs arbeiten also je nach Bundesland unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. OK Labs sind offen, jeder Interessierte ist willkommen. Am 4. März findet weltweit der International Open Data Day statt. Auch die deutschen Labs organisieren zahlreiche Veranstaltungen (u.a. zu finden unter dem Hashtag #ODD17 auf Twitter).

Als Nächstes soll das Messnetz um Stickoxid-Sensoren erweitert werden - aber die sind teuer

Eine der Maximen der Open Data-Bewegung ist Vernetzung. Somit liegt es nahe, dass Luftdaten.info längst über die Stuttgarter Stadtgrenzen hinausgewachsen ist. Zwar sind dort nach wie vor die meisten Sensoren aktiv, andere Regionen holen jedoch auf. So finden sich mittlerweile im Rhein-Ruhr-Gebiet 19, in Hamburg acht und in München fünf Stationen, Tendenz steigend. Auch dort kümmern sich die örtlichen OK Labs um bastelwillige Bürger, die ihre eigenen Sensoren bauen wollen.

Wie geht es weiter, wenn das Ziel der 300 Sensoren erreicht ist? Jan Lutz hat bereits Pläne: "Der Name Feinstaub-Alarm geht am Thema vorbei, weil es eigentlich Stickoxid-Alarm heißen müsste", sagt er. Das ist das nächste Projekt: Ins Messnetz sollen auch Sensoren eingebunden werden, die Stickoxide messen. Eine kostspieligere Angelegenheit, denn Stickoxid-Sensoren sind mit etwa 200 Euro pro Stück deutlich teurer. Deshalb will Lutz zunächst zehn solcher Sensoren über Crowdfunding finanzieren und im Stadtgebiet verteilen. Mit etwas Glück können Stuttgarter also von 2018 an unter Luftdaten.info in Echtzeit die Auswirkungen des Diesel-Fahrverbots auf Feinstaub- und Stickoxidwerte ablesen.

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