Farbpsychologie:Vorteil für Rot

Farben verdrehen Menschen in allen Lebenslagen den Kopf - ob sie einkaufen, einen neuen Partner suchen oder an Wettkämpfen teilnehmen. Die Wirkung von Rot und Blau lässt sich vorhersagen.

Katrin Blawat

Besonders attraktiv sah die Frau nicht aus. Mitte 20, braunes, halblanges Haar, neutraler Gesichtsausdruck, dazu trug sie ein wenig aufregendes blaues Oberteil - ein Durchschnittstyp, urteilte eine Gruppe männlicher Probanden, als die Frau am Computerbildschirm auftauchte.

Farbpsychologie: Im Vorteil: Die Leistung rotgekleideter Taekwondo-Kämpfer wird besser eingeschätzt als die ihrer farblich unauffälligeren Kontrahenten.

Im Vorteil: Die Leistung rotgekleideter Taekwondo-Kämpfer wird besser eingeschätzt als die ihrer farblich unauffälligeren Kontrahenten.

(Foto: Foto: AP)

Dann änderten die Psychologen um Andrew Elliot von der Universität Rochester die Farbe des Pullovers in ein feuriges Rot. Das weckte bei einer Vergleichsgruppe von Männern plötzlich großes Interesse.

Die Frau in Rot erzeugte eine fast doppelt so hohe Bereitschaft für ein Treffen und sogar 100 Dollar für einen gemeinsamen Restaurantbesuch auszugeben. Dass sie von der Farbe des Pullovers gelenkt wurden, kam keinem der Männer in den Sinn.

Mit ihrem Verhalten hatten die Probanden die Ansichten einer zunehmenden Zahl von Psychologen gestärkt: "Farbe ist nicht nur Ästhetik, Farbe hat eine Funktion", sagt Elliot.

Farben wirken im Unbewussten, und dort verdrehen sie Menschen in allen Lebenslagen den Kopf: bei der Partnerwahl, während der Arbeit, beim Einkaufen und bei der Entscheidung für ein Getränk. "Es reicht, eine Farbe nur einen Moment lang wahrzunehmen, damit sie ein vorhersagbares Verhalten auslöst", sagt Elliot.

Wie das funktioniert, haben Wissenschaftler vor allem am Beispiel Rot untersucht - der Farbe, bei der sich Forscher einig sind, dass sie neben erlernten auch angeborene Reaktionen bei Mensch und Tier hervorruft. In Befragungen verbinden Menschen Rot übereinstimmend mit Begriffen wie Liebe, Lust, Erotik.

Aggressives Rot

Die biologischen Grundlagen für diese Assoziation kann man bei jedem Zoobesuch nachvollziehen: Schimpansen- oder Makakenweibchen stolzieren dort mit flammend roten Genitalien umher, um ihre Paarungsbereitschaft zu signalisieren. Ursache ist das Hormon Östrogen, das der Körper zum Zeitpunkt des Eisprungs vermehrt ausschüttet und damit den Blutfluss in einigen Körperregionen verstärkt.

Auch erröten Frauen in der Mitte des Zyklus leichter. Wie sich die biologischen Signale verstärken lassen, erkannten Frauen schon im alten Ägypten: mit Lippenstift und Rouge, hergestellt aus rotem Ocker.

"Wir kommunizieren mit Farben wie mit einer allgemein verständlichen Sprache", sagt der Psychologe Elliot. Wie in jeder Sprache kann dabei dasselbe Symbol verschiedene Bedeutungen haben. Rot wirkt nicht nur anziehend, es weckt auch Misstrauen und Wachsamkeit, hält auf Abstand und schüchtert ein.

Die Verhaltensbiologin Sarah Pryke von der Macquarie University in Sydney züchtete verschiedene Linien von Prachtfinken, die entweder rote, schwarze oder blaue Schopffedern besaßen. Dann setzte sie jeweils einen roten Finken zusammen mit einem schwarzen oder blauen in einen Käfig mit einem Futterautomaten. Die hungrigen Vögel, so hatte es die Biologin geplant, würden sich darum streiten, an die Körner heranzukommen.

Doch die Vögel lösten den Konflikt ohne Zank. "Die Finken mit rotem Schopf gewannen jedes Mal, weil Vögel mit schwarzen oder blauen Federn sie gar nicht erst herausforderten", berichtet Pryke. Selbst Finken, die noch nie im Leben einen rotbeschopften Artgenossen gesehen hatten, gaben von Anfang an klein bei. Sie hatten zudem eine um 58 Prozent höhere Konzentration des Stresshormons Corticosteron im Blut. "Die Vögel haben eine angeborene Angst vor Rot", sagt Pryke.

Das gilt nicht nur für Vögel. Die britischen Anthropologen Russell Hill und Robert Barton stellten fest, dass bei den Olympischen Spielen in Athen vor fünf Jahren rotgekleidete Boxer und Ringer häufiger gewannen als ihre Konkurrenten im blauen Dress. "Natürlich entscheiden vor allem Kraft und Geschick darüber, wer den Kampf gewinnt", sagt Barton. "Aber wenn die Gegner ebenbürtig sind, kann die Kleidungsfarbe wohl den Ausschlag geben."

Farben - eine Orientierungshilfe

Doch ihre Siege verdanken die Roten nicht nur der Angst, die ihre Kleidung dem Gegner einflößt. Auch die Schiedsrichter bevorzugen unbewusst rotgekleidete Sportler, vermutet der Münsteraner Sportpsychologe Norbert Hagemann.

Um seine Theorie zu prüfen, zeigte Hagemann erfahrenen Taekwondo-Richtern Videoclips mit Wettkampfszenen und bat sie, Punkte zu vergeben. Dann zeigte der Psychologe dieselben Kampfszenen ein zweites Mal, wobei er die Farben der Sportler virtuell vertauschte. Wer vorher in Rot gekämpft hatte, trug jetzt Blau und umgekehrt.

Prompt änderten auch die Schiedsrichter ihre Punkteverteilung - jedes Mal zugunsten der Rotgekleideten. "Beim Taekwondo müssen die Schiedsrichter extrem schnell entscheiden", sagt Hagemann. "Deshalb greifen sie unbewusst auf Dinge zurück, die nichts mit dem eigentlichen Kampfgeschehen zu tun haben. Je unsicherer die objektiven Informationen sind, umso empfänglicher sind Schiedsrichter für solche Verzerrungen." Man müsse erwägen, rote Kleidung in den Kampfsportarten zu verbieten, folgert Hagemann.

"Das Farbsehen dient dazu, Formen voneinander abzugrenzen", sagt Axel Venn von der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Hildesheim. Das gilt im Kampfsport, wenn es darum geht, herumwirbelnde Arme und Beine den richtigen Personen zuzuordnen, ebenso wie in der Natur, wo derjenige einen klaren Überlebensvorteil hat, der rote, süße Früchte von den ungenießbaren grünen Stängeln unterscheiden kann. Farben liefern Unterscheidungsmerkmale und damit auch eine Hilfe, sich deutlicher und schneller an Erlebtes oder Gesehenes zu erinnern.

Welche Farben welche Form von Denkprozessen anregen, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Farben fürs Gehirn

Der Gießener Psychologe Karl Gegenfurtner zeigte seinen Studenten für nur 16 Millisekunden Landschaftsaufnahmen, entweder in schwarz-weiß oder bunt. Danach sollten die Probanden unter einander ähnlichen Bildern dasjenige heraussuchen, das sie kurz zuvor gesehen hatten.

Sie lösten die Aufgabe deutlich besser, wenn das gesuchte Bild farbig war. Allerdings musste die Farbe den Erfahrungen der Versuchspersonen entsprechen. Blaue Bäume oder gelbe Felsen blieben genauso schlecht im Gedächtnis wie die entsprechenden Schwarz-Weiß-Bilder - so sehr achtet das Gedächtnis auf Farben, dass es sich von einer Fehlinformation erheblich irritieren lässt.

Geschickt eingesetzt, können Farben die Leistungen des Gehirns aber deutlich verbessern. Man müsse nur die richtige Tönung passend zur jeweiligen Aufgabe aussuchen, behauptet Juliet Zhu von der Universität in British Columbia. Sie setzte Probanden vor blaue Computerbildschirme und andere Versuchsteilnehmer vor rote.

Alle Testpersonen sollten Aufgaben lösen, die entweder viel Kreativität oder eine hohe Aufmerksamkeit für Details erforderten. Dabei schnitten in jedem von insgesamt sechs Experimenten bei den Kreativaufgaben die Versuchspersonen an den blauen Bildschirmen besser ab, bei den Detailaufgaben die Probanden vor roten Bildschirmen.

Zhu leitet daraus eine Faustregel für die Praxis ab: Kreative Tätigkeiten, etwa einen Text schreiben oder ein Spielzeug entwickeln, sollte man in blauer Umgebung verrichten; Mathematikaufgaben oder die Steuererklärung - also Aufgaben, die Konzentration und hohe Aufmerksamkeit für Details fordern - ließen sich besser in einer roten Umgebung bearbeiten.

Das AOK-Logo - kein Zufall

"Weil wir Rot mit Warnungen und Fehlern verbinden, werden wir aufmerksam. Blau assoziieren viele Menschen mit der Weite des Himmels und des Meeres, das vermittelt Frieden und Ruhe", sagt die Psychologin. "Man traut sich dann eher, den Gedanken freien Lauf zu lassen."

Derartige Zusammenhänge haben Forscher inzwischen für die meisten Farben untersucht. Beispielsweise werde das Zusammentreffen von Rot und Schwarz oft als laut und chaotisch empfunden, sagt Farbforscher Axel Venn. Die Kombination von Grün und Weiß verbinden Menschen mit dem Begriff "gesund" - es dürfte also kein Zufall sein, dass eine Krankenkasse wie die AOK mit diesen Farben ihr Logo gestaltet.

"Die Botschaft einer Farbe ist wichtiger als die Farbe selbst", sagt Venn und nennt das Beispiel Purpur: Weil man weiß, dass diese Farbe früher nur schwer herzustellen war, verbinden Menschen sie noch heute mit Kostbarkeiten und denken dabei an schweren, samtigen Stoff.

"Grau" hingegen klingt nach etwas Hartem, Abstoßendem: "Weil wir dabei an 'steingrau' denken", erklärt Venn. "Man erstellt automatisch eine Beziehung zwischen Farbe und Material. In diesem Sinn ist jeder Mensch ein Synästhetiker."

Je intensiver Wissenschaftler die Reaktionen auf einzelne Farben untersuchen, umso deutlicher wird: Farben haben Macht. Sie lenken Gefühle, Entscheidungen - und das Geschmacksempfinden, wie die Marketingexpertin JoAndrea Hoegg von der Universität in British Columbia gezeigt hat.

Hoegg füllte mehrere Gläser mit Orangensaft. Einige Portionen färbte sie mit Lebensmittelfarbe etwas dunkler und fragte die Probanden, ob sie irgendwelche Geschmacksunterschiede feststellen könnten. Obwohl das Getränk in allen Gläsern aus derselben Packung stammte, waren die Versuchsteilnehmer sicher, dass der dunkle Saft anders schmeckte als der ungefärbte.

Umgekehrt wollen die Probanden bei gleichfarbigen Saftportionen keinen Unterschied bemerken, auch wenn in einem Fall frisch gepresster Packungssaft gereicht wurde und im anderen ein aus Konzentrat hergestelltes Gemisch. Mit einem so klaren Ergebnis hatte auch Hoegg nicht gerechnet: "Es ist erstaunlich, aber eindeutig: Farbe dominiert einfach alles."

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