Expertenmeinung:"Es geht um Erfahrungen"

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Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatik an der Technischen Universität München, erklärt seine Sicht auf die Ursachen und Therapieformen.

Werner Bartens

SZ: Wie entsteht eine Depression?

Peter Henningsen: "Verlusterlebnisse sind prägend." (Foto: Foto: Jörg Buschmann)

Peter Henningsen: Viele Ursachen spielen eine Rolle, natürlich auch genetische und neurobiologische. Die neuere Forschung im Bereich Neurobiologie und Genetik zeigt aber, wie wichtig frühkindliche und aktuell belastende Erfahrungen für die Entstehung der Depression sind. Diese Lebenserfahrungen wirken auch körperlich, etwa auf die Fähigkeit, Stress zu regulieren.

SZ: Was heißt das konkret?

Henningsen: Frühkindliche Traumen erhöhen die Anfälligkeit, später an einer Depression zu erkranken. Akut belastende Lebensumstände sind dann oft der Anlass für den Ausbruch des Leidens.

SZ: Sie reden von Überforderung.

Henningsen: Hier geht es weniger um Stress. Prägend sind Verlusterlebnisse.

SZ: Was steht bei der Behandlung der Depression im Vordergrund?

Henningsen: Bei leichter und mittlerer Depression sind Psychotherapie-Verfahren erste Wahl. Ihre Wirksamkeit ist belegt, und der Effekt hält länger an als bei Pharmaka, wenn beide abgesetzt werden. Bei schwerer Depression sind Medikamente von Anfang an empfehlenswert. Auch dann sollte die Therapie nie nur Psychopharmaka umfassen.

SZ: Wie wirksam sind Medikamente?

Henningsen: Die Diskussion wird seit Jahren heftig geführt. Bemerkenswert an der aktuellen Studie finde ich nicht nur, dass Medikamente bei leichten bis mittleren Depressionen kaum mehr wirken als Placebo - sondern dass die Placebowirkung so enorm groß ist.

Eigentlich müsste man in Studien mit Placebos arbeiten, bei denen Patienten Nebenwirkungen spüren. Dann wäre der Vorteil der Medikamente wohl noch geringer.

SZ: Kritiker bemängeln, dass zu viele Antidepressiva verschrieben werden.

Henningsen: Wie die Medikamente eingesetzt werden, hat zum großen Teil mit Marketing und weniger mit Wissenschaft zu tun - die Medizin und die Krankheitsbilder haben sich ja nicht so verändert, dass jetzt plötzlich viel mehr Menschen depressiv sind.

In den schwereren Fällen, in denen Pharmaka indiziert sind, sollten sie frühzeitig und konsequent eingesetzt werden, denn wir haben leider in der Praxis oft das Problem, dass zwar Medikamente verschrieben werden, aber zu kurz und zu gering dosiert.

© SZ vom 05.03.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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