Evolution von Homo erectus und Co.:Große Artenvielfalt des Menschen in der Steinzeit

Der Stammbaum des Menschen verwandelt sich zunehmend in einen Stammbusch, an dem Wissenschaftler immer neue Seitenzweige entdecken. So deuten Fossilfunde darauf hin, dass vor etwa zwei Millionen Jahren neben dem "Homo erectus" mindestens zwei weitere Menschenarten existierten.

Die Zahl der Menschen-Arten, die in der Vergangenheit neben unseren direkten Vorfahren existierten, ist offenbar noch größer als bislang schon klar war.

So lebten vor etwa zwei Millionen Jahren neben dem Homo erectus, aus dem vermutlich der Homo sapiens hervorgegangen ist, noch mindestens zwei weitere Vertreter der Gattung Homo in Ostafrika.

Das berichten die Paläoanthropologen Maeve Leakey und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift Nature. Der Stammbaum des Menschen, von dem gemeinhin gesprochen wird, ist demnach eher ein Stammbusch, dem die Wissenschaftler immer weitere Zweige hinzufügen.

Die Forscher haben in Koobi Fora am Turkana-See in Kenia zwischen 2007 und 2009 einen Teil eines Gesichtsschädels inklusive einiger Zähne im Oberkiefer, einen praktisch vollständig erhaltenen Unterkiefer und ein weiteres Unterkieferfragment entdeckt.

Die Fossilien sind zwischen 1,78 und 1,95 Millionen Jahre alt. Das Besondere an den Knochen: Sie ähneln dem Gesichtsschädel KNM-ER 1470, den Meave Leakeys Ehemann Richard 1972 ebenfalls in Koobi Fora entdeckt hatte.

Zweifelsfrei Homo - aber welcher?

1470 wurde zweifelsfrei der Gattung Homo zugeordnet, unterschied sich jedoch deutlich von Homo erectus und dem älteren Frühmenschen Homo habilis, der damals ebenfalls noch existierte.

Mit Hilfe eines Computers haben Wissenschaftler einen jetzt vorgestellten Unterkiefer und den Schädel KNM-ER 1470 verbunden. Offenbar gehören beide Fossilien zur selben Menschenart - vermutlich dem "H

Mit Hilfe eines Computers haben Wissenschaftler einen jetzt vorgestellten Unterkiefer und den Schädel KNM-ER 1470 verbunden. Offenbar gehören beide Fossilien zur selben Menschenart - vermutlich dem Homo rudolfensis. Demnach lebten vor knapp zwei Millionen Jahren mindestens drei verschiedene Arten von Frühmenschen in Ostafrika.

(Foto: AP/Fred Spoor)

Trotz deutlicher Unterschiede war unklar, ob es sich bei 1470 um ein sogenanntes Typusexemplar einer dritten Art handelte - für die die Bezeichnung Homo rudolfensis vorgeschlagen wurde - oder lediglich um eine ungewöhnliche Variation eines der bereits bekannten Frühmenschen.

Die jetzt von den Wissenschaftlern des Turkana Basin Institute in Nairobi, Kenia, und ihren Kollegen - darunter Fred Spoor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, vorgestellten Fossilien geben hierzu deutliche Hinweise:

Der Gesichtsschädel ist zwar kleiner als 1470, stammt also vermutlich von einem jugendlichen Individuum, weist aber den gleichen flachen, geraden Gesichtsschnitt auf.

Die beiden Unterkiefer passen exakt dazu, wie die Wissenschaftler dank Digitalisierung feststellen konnten: Sie sind ziemlich kurz und weisen eine kantige U-Form auf, bei der die ungewöhnlich kleinen Schneidezähne in einer Reihe mit den ebenfalls wenig hervortretenden Eckzähnen stehen.

Die drei neuen Funde können also eindeutig der 1470er-Gruppe zugeordnet werden, sagen die Forscher. Damit handelte es sich bei KNM-ER 1470 offenbar nicht um eine Missbildung, sondern wohl tatsächlich um eine eigene Art.

Folglich müssen zur Zeit des ersten Auftauchens von Homo erectus mindestens zwei weitere Homo-Vertreter in Ostafrika gelebt haben - die 1470er-Gruppe und jene Menschen, die dem Homo habilis zugeordnet werden.

Entwickelt wie andere Arten

Neue Erkenntnisse über Fossilien-Fund in Kenia

Die Paläontologen Meave Leakey vom Turkana Basin Institute in Nairobi und Fred Spoor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sammeln Fossilien in Kenia.

(Foto: dpa/Mike Hettwer www.hewter.com/National Geographic)

Während Leakey und ihre Kollegen darauf verzichten, die beiden Gruppen klar zu benennen, geht Bernard Wood von der George Washington University in Washington, D.C., davon aus, dass 1470 tatsächlich ein Vertreter der Homo-Art Homo rudolfensis ist. Timothy White von der University of California in Berkeley dagegen ist Science Now zufolge nicht überzeugt, dass die neuen Fossilien und 1470 alle nicht doch zum Homo habilis gehören könnten.

Sollten tatsächlich drei oder mehr Frühmenschen-Arten in der gleichen Region gelebt haben, besetzten sie vermutlich unterschiedliche ökologische Nischen und ernährten sich unterschiedlich.

Die Vielfalt unterschiedlicher Arten des Menschen, die in der Vergangenheit existierten, belegen Meave Leakey zufolge, "dass unsere Art sich genauso im Rahmen der Evolution entwickelt hat wie andere Tierarten". Menschen seien nicht einzigartig gewesen, bis sie begannen, anspruchsvolle Steinwerkzeuge herzustellen, sagte sie dem britischen Sender BBC. Die Evolution "führt zu überraschenden Anpassungen und überraschenden Arten - und wir sind eine davon".

Ihre Entdeckung nutzt die Forscherin zu einem Appell zum Umweltschutz: "Die Menschen verstehen sich als etwas Besonderes, und vielleicht verhalten wir uns deshalb so mies. Wir zerstören die Ozeane, die Luft, die wir atmen, und unsere Nahrungsquellen", warnte Leakey der Nachrichtenagentur dpa zufolge.

"Die ersten Hominiden bevölkerten unseren Planeten vor sechs Millionen Jahren, und in dieser Woche haben wir ein Fahrzeug auf den Mars gesetzt", sagte Leakey. "Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in geologischer Zeitrechnung erst seit einem winzigen Moment auf der Erde sind. Und wenn wir unsere Ressourcen weiter so vergeuden wie bisher, sind wir wahrscheinlich nicht mehr sehr lange hier."

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