Evolution:Grüße vom Urahn

Ein Delphin mit Extraflossen könnte lebender Beweis für die Abstammung von Landsäugern sein.

Christina Hucklenbroich

"Ein noch nie dagewesener Fund", sagt Seiji Osumi vom Institut für Walforschung in Tokio über den etwa fünf Jahre alten Delphin, der japanischen Fischern Ende Oktober ins Netz ging.

Das Tier besitzt nicht nur ein Paar Brustflossen und eine Rücken- und eine Schwanzflosse wie seine Artgenossen, sondern zusätzlich zwei Hinterflossen in der Größe menschlicher Hände. Dies könnte ein weiterer Beweis dafür sein, dass Delphine von vierbeinigen Säugern abstammen, die vor mehr als 50 Millionen Jahren an Land lebten.

Schon länger wissen Evolutionsbiologen, dass Delphine und Wale gemeinsame Vorfahren mit Arten haben, die noch heute Wälder, Wüsten und Steppen besiedeln, zum Beispiel mit Flusspferden, Kamelen und Rehen.

In einem 15 Millionen Jahre währenden Prozess wechselten die Urahnen der heutigen Meeresbewohner das Element: Seitdem leben sie im Wasser. Die aquatische Lebensweise machte ihre Hintergliedmaßen überflüssig, die daraufhin im Laufe der Evolution verschwanden.

Merkwürdig geformte Wulste

Ganz verleugnen können die Meeressäuger ihre Stammesgeschichte jedoch nicht. Immer wieder wurden Delphine und Wale gefangen, die merkwürdig geformte Wülste am hinteren Teil ihres Körpers aufwiesen.

Wissenschaftler rätselten, ob diese stummelförmigen Körperanhänge ein stammesgeschichtliches Überbleibsel aus der Zeit des Landlebens der Säuger sind - ein sogenannter Atavismus. Als Atavismus bezeichnet man das Auftreten von anatomischen Merkmalen, die eigentlich für die Ahnen der betroffenen Lebewesen typisch waren.

Auch Menschen kommen in seltenen Fällen mit Atavismen wie zum Beispiel einer schwanzartigen Verlängerung der Wirbelsäule zur Welt. Verantwortlich sind Mutationen oder die Reaktivierung von Genen, die stumm im Erbgut überdauert haben.

Der Fall des Delphins aus Japan ist von besonderem Interesse für Evolutionsforscher, weil seine Hinterflossen außergewöhnlich gut ausgebildet sind. Röntgenaufnahmen sollen jetzt einen Blick auf den knöchernen Aufbau der Zusatzflossen erlauben.

"Nicht zwingend ein Atavismus"

Die Hinterflossen müssen im vorliegenden Fall nicht zwingend einen Atavismus darstellen", sagt Nico Michiels vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen. Es könne sich auch um eine Fehlbildung handeln, so der Evolutionsbiologe.

"Das genetische Programm für Brustflossen könnte durch ein Fehlsignal in der individuellen Embryonalentwicklung des Delphins auch einfach noch einmal ausgeführt worden sein - diesmal am hinteren Körperende." Ähnliche Fehlbildungen kommen bei anderen Säugetieren vor; so werden beispielsweise gelegentlich Kälber mit sechs Beinen geboren.

Der in Japan gefangene Delphin, der zur Art "Großer Tümmler" gehört, wurde zunächst in einem Walmuseum untergebracht. Hier soll sein Erbgut genauer untersucht werden.

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