Evolution des Verhaltens:Der scheue Hirsch überlebt

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Der Umgang mit Risiken ist bei Wapiti-Hirschen eine Frage der Persönlichkeit: Einige Tiere setzen sich Gefahren aus und versuchen im Fall der Fälle zu fliehen. Andere vermeiden von vorn herein heikle Situationen. Seit der modernen Jagd sind die scheuen Typen gegenüber den Draufgängern offenbar im Vorteil, sagen kanadische Biologen.

Wer scheu ist, überlebt eher - das leuchtet ein. Was kanadische Biologen von der University of Alberta bei Wapiti-Hirschen beobachtet haben, geht allerdings weit über diese Erkenntnis hinaus. Ob diese Tiere Opfer der Jagd werden, hängt offenbar mit ihrer Persönlichkeit zusammen.

Zwei Typen unterschieden die Forscher: scheue Tiere und Draufgänger. Die scheuen Hirsche meiden von Menschen besuchte Zonen und erschließen selten neue Gebiete. Ihre wagemutigen Artgenossen dagegen risikieren mehr und setzen bei Gefahr auf eine schnelle Flucht.

Die Wissenschaftler um Simone Ciuti untersuchten nun, welcher Typ eher Opfer der Jagd wird. Dafür versahen sie 122 Wapiti-Hirsche in den Rocky Mountains mit Peilsendern und beobachteten sie von Januar 2007 bis Dezember 2011.

Wie sie im Fachmagazin Proceedings of the Royal Society berichten, war das Ergebnis für die 45 beobachteten männlichen Hirschen eindeutig: Die 15 Tiere, die während dieser Zeit erlegt wurden, gehörten vor allem zu dem draufgängerischen Typ, der sich mehr und über weitere Strecken bewegte sowie häufiger außerhalb der Deckung aufhielt als die Überlebenden.

Auch die weiblichen Tiere wurden eher gejagt, wenn sie zum Draufgänger-Typ gehörten. Die Persönlichkeitsmerkmale waren jedoch weniger offensichtlich. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Hirschkühe im Laufe ihres Lebens dazu gelernt haben könnten und zurückhaltender wurden.

"Das Überraschende war, dass die Unterschiede in der Wahl des Lebensraums und in der Bewegungsrate schon lange vor der Jagdsaison auftraten", sagt Ciuti. Das deute darauf hin, dass die Verhaltensweisen keine direkten Reaktionen auf die vermehrte Anwesenheit der Jäger waren, sondern die Persönlichkeit der Wapitis zeigen würden.

Die Fluchtstrategie stamme aus Zeiten, als Tiere noch mit Pfeil und Bogen verfolgt wurden, vermuten die Biologen. Damals überlebten viele Tiere Begegnungen mit Menschen, weil sie schnell davonrennen konnten. Heute können Jäger dank moderner Gewehre auch die schnellen Tiere töten - und beeinflussen möglicherweise auch dauerhaft das Verhalten der Hirsche. "Die Selektion auf Verhaltensweisen ist eine wichtige, aber häufig ignorierte Folge der Ausbeutung von Wildtieren durch den Menschen", schreiben die Wissenschaftler. Die Jagd könnte die Evolution auf eine Weise beeinflussen, die Anpassungen im Rahmen der natürlichen oder sexuellen Selektion entgegenwirken.

Welcher Persönlichkeitstyp eher von anderen Feinden wie Wölfen oder Bären getötet wird, will Ciutis Team als nächstes klären. "Mutige Tiere könnten Vorteile haben, wenn es darum geht, den natürlichen Feinden zu entkommen", sagt Ciuti. "Dadurch würde sich die Population auf Dauer wieder ausbalancieren."

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