Evolution:Affären mit den Affenahnen

Vermutlich paarten sich die Vorfahren von Mensch und Schimpanse, nachdem die Evolution sie schon getrennt hatte.

Wiebke Rögener

Die Vorfahren der heutigen Menschen und der Schimpansen waren einander offenbar sexuell nicht abgeneigt. Auch nach der ersten evolutionären Aufspaltung gab es noch manches Techtelmechtel zwischen unseren Ahnen und denen der Menschenaffen, ehe sich deren Wege endgültig trennten.

Schimpansen

Die X-Chromosomen von Mensch und Schimpanse gleichen sich stark - Liebschaften zwischen Vormenschen und Vorschimpansen sind daher wahrscheinlich.

(Foto: Foto: dpa)

Das schließen Forscher um David Reich vom Broad Institute in Cambridge aus genetischen Analysen (Nature online, 17.5.). Zudem haben sich die Vormenschen und Voraffen den Daten zufolge erst 1-2 Millionen Jahre später auseinander entwickelt, als bisher vermutet.

Reichs Team hat verschiedene Erbgutabschnitte des Menschen und seines nächsten Verwandten, des Schimpansen, miteinander verglichen. Normalerweise sind umso mehr Unterschiede im Erbgut zweier Arten zu erwarten, desto mehr Zeit verstrichen ist, seit sie sich in der Evolution auseinander entwickelt haben.

Anhand der Anzahl solcher Mutationen lässt sich also abschätzen, wie viel Zeit seit der Trennung zweier Arten vergangen ist. Demnach ist es höchstens 6,3 Millionen Jahre, wahrscheinlich aber weniger als 5,4Millionen Jahre her, dass die Vorfahren von Menschen und Schimpansen begannen, wirklich getrennte Wege zu gehen.

Immer wieder Gen-Austausch zwischen beiden Linien

Das Ergebnis ist nicht unproblematisch. Denn die genetischen Analysen widersprechen früheren Stammbäumen, die sich auf Knochenfunde gründen. So sollen die Überreste des Sahelanthropus tchadensis, welche französische Forscher vor fünf Jahren im Tschad ausgruben, rund sieben Millionen Jahre alt sein. Sahelanthropus gilt bereits als Vormensch, er soll also nach der Trennung in der Evolution entstanden sein.

Für den Widerspruch gibt es zwei mögliche Lösungen: Vielleicht wurden die Fossilien einfach nicht korrekt datiert. David Reich hält aber auch eine ungewöhnlichere Erklärung für denkbar. Es könne durchaus sein, dass es schon eine erste Spaltung in Menschen- und Schimpansenvorfahren gegeben hatte, bevor der Sahelanthropus erschien. Auf diese erste Trennung könnte dann eine lange Phase gefolgt sein, in der es zwischen beiden Linien immer wieder einmal einen Gen-Austausch gab - sprich: Sex.

Für den gelegentlichen Geschlechtsverkehr zwischen den Affen- und Menschenahnen spricht auch, dass sich einzelne Bereiche im heutigen Erbgut von Homo sapiens und Schimpanse sehr stark voneinander unterschieden, während andere einander recht ähnlich geblieben sind. So gleichen die X-Chromosomen von Mensch und Schimpanse einander weit stärker als die übrigen Chromosomen. Vor allem diese Besonderheit lässt Liebschaften zwischen den Vormenschen und Vorschimpansen wahrscheinlich erscheinen. Denn wenn die Unterschiede im X-Chromosom zweier Arten zu groß werden, sind die Nachfahren oft unfruchtbar.

"Vielleicht waren sie beides gleichzeitig, warum nicht?"

"Es ist durchaus möglich, dass die endgültige Aufspaltung zwischen den Vorfahren des heutigen Menschen und denen des heutigen Schimpansen jünger ist als angenommen", sagt der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk vom Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt. Er findet die Ergebnisse der Genforscher aus Cambridge interessant und einleuchtend.

"Die bisherige Annahme beruht ja vor allem auf der Datierung der ältesten Hominidenvorfahren wie Sahelanthropus, Ardipithecus und Orrorin. Sie alle experimentierten mit dem aufrechten Gang, der aber offensichtlich bei allen unterschiedlich entwickelt ist."

Schrenk schließt daraus, dass der "Missing Link", ein einziger gemeinsamer Vorfahr von Affen und Menschen, gar nicht existierte. Vielmehr habe es geographische Varianten von Menschenaffen gegeben, die den aufrechten Gang erprobten. Es sei müßig zu diskutieren, ob diese Wesen Menschen- oder Schimpansenvorfahren waren. "Vielleicht waren sie beides gleichzeitig, warum nicht?", sagt er und fügt lachend hinzu: "Wenn es die Schimpansen gewesen wären, die ein intelligentes Gehirn entwickelt hätten, und nicht wir Menschen, würden sie ohne Zweifel Sahelanthropus als Schimpansenvorfahren ansehen."

Der lange Gen-Austausch kann auch ein weiteres Rätsel lösen: Anthropologen fragen sich seit langem, weshalb immer wieder Überreste von so vielen verschiedenen Vormenschen gefunden wurden, aber keine von Vorschimpansen. Wenn sich die endgültige Trennung wegen der sexuellen Kontakte so lange hinzog, wären die Vormenschen zugleich auch Voraffen gewesen.

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