EU-Lebensmittelsicherheit:Der lange Arm des Geldes

Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) entscheidet regelmäßig im Sinne der Industrie. Hängt das mit den engen Kontakten zur Nahrungs- und Gentech-Industrie zusammen?

Wiebke Rögener

Die Unabhängigkeit von Europas obersten Lebensmittelwächtern gerät erneut in Zweifel. Zwischen der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und dem von Nahrungsmittel- und Gentechnik-Konzernen bezahlten International Life Science Institute (Ilsi) bestehen offenbar weit engere Beziehungen, als bisher bekannt war.

Mehr Kontrollen bei Lebensmitteln

Mehrere Experten der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), die über Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen befinden, sind offenbar gleichzeitig für das International Life Science Institute (Ilsi) tätig. Das Institut wird von Nahrungsmittel- und Gentechnik-Konzernen bezahlt.

(Foto: ddp)

Mehrere Efsa-Experten, die über Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen befinden, sind gleichzeitig für das Ilsi tätig, berichtet der Gentechnik-kritische Verein Testbiotech. Erst im Oktober hatte Efsa-Leiterin Diana Banati unter öffentlichem Druck ihre Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Ilsi niedergelegt.

Ob es um bedenkliche Chemikalien wie den Plastikgrundstoff Bisphenol A (BPA) geht, um Fleisch von geklonten Tieren oder um die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen - die Efsa im italienischen Parma hegt kaum je Bedenken.

Regelmäßig entschied sie bisher im Sinne der Industrie, beispielsweise als sie den Grenzwert für BPA heraufsetzte, während andere Länder Verbote aussprachen. Dass BPA künftig in der EU zumindest aus Babyfläschchen verbannt wird, entschied die Europäische Kommission gegen das Votum der Efsa. Bei Stellungnahmen zu Gentech-Pflanzen urteilt die zuständige Efsa-Expertengruppe stets, negative Effekte auf Mensch, Tier und Umwelt seien nicht zu erwarten. So auch im Herbst beim Gentech-Mais "SmartStax", einer Kreuzung aus mehreren gentechnisch veränderten Maissorten.

Geleitet wird die Gentech-Expertengruppe der Efsa von dem niederländischen Biochemiker Harry Kuiper, der seit zehn Jahren auch für das Ilsi tätig ist. Das könnte zu der Gentechnik-freundlichen Tendenz der Efsa beigetragen haben, vermutet Christoph Then von Testbiotech. "Harry Kuiper war maßgeblich daran beteiligt, das Konzept des sogenannten Comparative Assessment zu entwickeln, auf dessen Basis die Efsa Gentech-Pflanzen beurteilt", sagt Then.

Gemäß dem Konzept werden manipulierte Pflanzen mit konventionellen Sorten verglichen - anhand einer Datenbank des Ilsi. Wenn sich keine deutlichen Unterschiede in der Zusammensetzung feststellen lassen, werden beispielsweise keine Fütterungsversuche verlangt.

Das Konzept der sogenannten Vergleichenden Prüfung wurde schon früh von kritischen Wissenschaftlern als unzureichend bemängelt, von der Industrie aber favorisiert. "Dabei handelt sich um ein relativ einfaches und schnelles Verfahren, das aber viele Risiken nicht berücksichtigt", erklärt Then.

Aus Sicht der Gentechnik-Kritiker müsste zum Beispiel zusätzlich untersucht werden, wie sich die eingebauten Gene bei Stress durch Kälte oder Trockenheit auf den Stoffwechsel der Pflanzen auswirken. Feldversuche Schweizer Forscher ergaben kürzlich, dass gentechnisch veränderter Weizen anfälliger für den giftigen Mutterkorn-Pilz ist.

Derartiges lässt sich nicht mit einem schlichten Vergleich der stofflichen Zusammensetzung erkennen. "Die zusätzlich eingeführten Gene unterliegen nicht der natürlichen Genregulation und können zu ganz unterschiedlichen Störungen des Systems führen", erläutert Then. Man müsse die Pflanzen daher in unterschiedlichen Wachstumsphasen und unter wechselnden Umweltbedingungen systematisch untersuchen, "so wie man bei einem Auto die Funktionen nicht nur im Stand, sondern bei verschiedenen Geschwindigkeiten testet".

Das Industrie-finanzierte Ilsi hingegen setzt auf die Vergleichende Prüfung, wie einem Papier zu entnehmen ist, das von einer "Task Force" des Gremiums unter Mitwirkung von Harry Kuiper erarbeitet wurde.

Der Vergleich sei ein "machtvolles Werkzeug" heißt es darin. Eine Sicherheitsprüfung, wie sie etwa bei Lebensmittelzusatzstoffen oder anderen Chemikalien üblich sei, komme für Gentech-Lebensmittel nicht in Betracht. Bemerkenswert an dem Ilsi-Bericht aus dem Jahr 2004 ist: Ganze Passagen finden sich wörtlich in einem 2008 publizierten Papier der Behörde wieder - nicht als Zitat, sondern als Stellungnahme der Efsa-Expertengruppe.

"Direkter Einfluss der Lobbyisten"

"Eine Lobby-Organisation der Industrie hat damit direkt Einfluss auf die Arbeit einer Behörde genommen", sagt Christoph Then. "Es drängen sich Parallelen auf zur Übernahme von Vorlagen der Pharmaindustrie in Gesetzesvorlagen des Bundesgesundheitsministeriums." Für die Efsa fordert Testbiotech ein Kontrollgremium, an dem auch - anders als bisher der Fall - Umwelt- und Verbraucherverbände beteiligt sein sollten.

Harry Kuiper ist nicht der einzige Efsa-Experte mit Beziehungen zur Industrie. Auch Gijs Kleter und Jean-Michel Wal aus der Gentechnik-Expertengruppe der Efsa haben als Experten für das Ilsi gearbeitet, vier weitere Mitglieder haben Forschungsgelder von den Gentechnik-Konzernen BASF, Bayer Crop Science, Pioneer Genetique oder Monsanto erhalten. Anfang dieses Jahres erregte der Fall Suzy Renckens Aufsehen. Renckens hatte bis zum Frühjahr 2008 die Gentechnik-Abteilung der Efsa geleitet und war dann unmittelbar zum Gentechnik-Unternehmen Syngenta gewechselt.

Auch in anderen Arbeitsfeldern der Efsa gedeiht die Zusammenarbeit. So war Laurence Castle Mitglied der Expertengruppe, die für BPA zuständig ist, und ebenfalls für das Ilsi tätig. Juliane Kleiner, Leiterin des Efsa-Referats für diätetische Produkte, das sich beispielsweise mit neuartigen Lebensmitteln ("Novel Food") oder Säuglingsnahrung beschäftigt, war vor ihrer Tätigkeit bei der Efsa sieben Jahre lang als wissenschaftliche Führungskraft beim Ilsi. Eine Schamfrist für derartige Jobwechsel gibt es nach Auskunft der Efsa nicht.

Das Ilsi mit Stammsitz in Washington und Europabüro in Brüssel stellt sich selbst als unabhängige Einrichtung dar. Es sei keineswegs eine Lobby-Organisation, behauptet es. Indes preist es sich auch als "Key Partner" der Industrie an und wirbt Mitglieder damit, kleine und große Unternehmen könnten von der Vernetzung des Instituts mit führenden Wissenschaftlern profitieren.

Die Liste der Mitglieder, die das Ilsi finanzieren, zeigt: Hier ist vertreten, was im Agro-Gentech-Geschäft und in der internationalen Lebensmittelindustrie Rang und Namen hat. BASF, Bayer und Monsanto gehörten ebenso dazu wie Coca-Cola, Nestlé oder McDonald's. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnete das Ilsi als Lobby-Organisation. Auch kritisierte die WHO, dass das Gremium Interessen der Tabakindustrie vertrat.

Die Efsa äußerte sich auf Nachfrage nicht zur Unabhängigkeit des Ilsi. Die Behörde beruft sich vor allem darauf, dass alle Efsa-Beschäftigten und -Experten in jährlichen Erklärungen ("Declarations of Interest") Beziehungen zu Unternehmen und Organisation offenlegen müssen. Jedes Jahr überprüfe die Efsa mehr als 5000 solcher Deklarationen und beurteile, wer als Experte gegebenenfalls auszuschließen sei, erläutert eine Efsa-Sprecherin. Demnach scheinen Beziehungen von Wissenschaftlern zu Gentechnik-Industrie und Ilsi kein Hinderungsgrund für eine Funktion bei der Efsa zu sein.

Derartige Interessenkonflikte werden auch nicht zusammen mit den jeweiligen Stellungnahmen der Expertengruppen publiziert, wie es etwa bei führenden wissenschaftlichen Zeitschriften mittlerweile Standard ist.

Nur wer auf den Internetseiten der Efsa nach den einzelnen "Declarations of Interest" forscht, kann herausfinden, wer wann mit welchen Firmen und Organisationen verbandelt ist oder war.

Den Überblick hat offenbar nicht einmal die Efsa selbst. Man habe keine Zahlen dazu, wie viele Mitarbeiter und Mitglieder von Expertengruppen für das Ilsi tätig sind oder waren, so die Sprecherin der Behörde. Dennoch erscheint ihr sicher: "Die Efsa steht nicht unter dem Einfluss irgendwelcher Industriegruppen."

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