Ethik:Gehör für die Vernunft

Ethik: Kathrin Zinkant isst Kokosnüsse nur als Beilage zu Grillhähnchen.

Kathrin Zinkant isst Kokosnüsse nur als Beilage zu Grillhähnchen.

Die Politik nimmt die Positionen des Deutschen Ethikrates nur dann ernst, wenn sie zur Agenda passen. Das musst sich schleunigst ändern, denn die Herausforderungen für die Zukunft sind zu groß.

Von Kathrin Zinkant

Manche Probleme erfordern, die Dinge nach den Regeln der Vernunft zu bewerten. Lösungen zu suchen. Kompromisse zu erarbeiten. Einen Konsens zu finden zum Wohle der Gesellschaft. Das ist von Grund auf eigentlich eine politische Aufgabe. In besonders komplexen Fragen wird sie von Regierung und Bundestag an den Deutschen Ethikrat delegiert. Seit 2001 versammelt dieser Rat ein möglichst breites Spektrum von Experten. Kirchenvertreter, Juristen, Philosophen, Psychologen, Vertreter von Behindertenverbänden, Ärzte und Forscher. Und die dürfen sich dann gemeinsam den Kopf zerbrechen und Empfehlungen abgeben: Darf man Menschen beim Sterben helfen? Wie soll im Zeitalter der Genetik mit biologischen Proben umgegangen werden? Was wird mit den Gesundheitsdaten von Patienten geschehen, was mit all den Daten, die sonst gesammelt werden?

Was nutzt die ethische Analyse, wenn die Empfehlungen des Rats nach Bedarf ignoriert werden?

Solche heiklen Fragen werden auch den neuen Ethikrat beschäftigten, der sich am Donnerstag in Berlin konstituiert hat. Mit der Verantwortung erbt der Rat aber auch ein Problem. Die scheidende Vorsitzende des Ethikrats, Christiane Woopen, hat es in einem Interview am Donnerstag benannt. "Manche Empfehlungen" des 26-köpfigen Gremiums seien durchaus "dankbar" von den politischen Entscheidungsträgern aufgenommen worden - sofern sie "in die politische Meinungsbildung" und ins "thematische Profil" gepasst hätten. Sonst eben nicht. Woopen formuliert das nicht als Vorwurf, sie stellt es nüchtern fest. Ein Problem bleibt es trotzdem. Denn was nützt die fundierte ethische Analyse, wenn sie je nach Bedarf überhört werden darf? Im besten Fall: wenig.

Das muss sich ändern, und zwar dringend. Denn die Fragen werden nicht einfacher. In den kommenden Jahren könnten neue technologischen Fortschritte und soziale Probleme einen neuen, umwälzenden Einfluss auf die Gesellschaft haben. Die bereits begonnen Revolution in den Lebenswissenschaften durch das Gene Editing, die gegenwärtigen Gefahren von Big Data für die Persönlichkeitsrechte, der bröckelnde rechtliche Schutz des ungeborenen Lebens, die Implikationen der künstlichen Intelligenz und nicht zuletzt die Würde einer alternden Gesellschaft - all das sind Herausforderungen, die sich ohne unabhängigen Beistand der Ethiker nicht einkreisen lassen. Geschweige denn meistern. Es reicht deshalb nicht, den Ethikrat zu berufen und ihm nur dann zu hören, wenn es gelegen kommt. Der Vernunft muss immer Gehör geschenkt werden. Auch in der Politik.

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