Erziehung:Sind Väter die besseren Mütter?

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Die Rolle der Väter haben Wissenschaft und Gesellschaft lange unterschätzt. An allein erziehenden Männern lernen Forscher, wie wichtig der Papa für die Kinder ist.

Rainer Stadler

Es geht auch ohne Mutter - im Falle von Christian Wegner und seinen Kindern sogar besser. Als Wegners Frau die heute 9-jährige Kathrin und den 7-jährigen Markus versorgte, gab es vor allem Prügel, kaum etwas Vernünftiges zu essen und keinerlei geregelten Tagesablauf.

Szene aus dem Film "Väter" von Dani Levi (Foto: Foto: dpa)

Kathrin hatte Probleme in der Schule, Markus hinkte seinen Altersgenossen bei der Sprachentwicklung hinterher. Vor vier Jahren ließ sich Wegner (Name von der Redaktion geändert) scheiden, vor drei Jahren nahm er die Kinder zu sich. Heute stottert Markus nicht mehr und Kathrin kommt auf einen Notenschnitt von 2,0.

Der Vater setzt klare Grenzen: Wenn er erlaubt, bis halb acht Uhr Kika zu schauen, läuft der Fernseher keine Minute länger. Kathrin muss zweimal in der Woche im Haushalt helfen, Markus muss einmal ran - Zimmer aufräumen, Spülmaschine leeren, Herd putzen. Sonst kürzt Wegner das Taschengeld.

Kratzer am Muttermythos

"Ich bin streng", gibt der 54-jährige Hamburger zu. Andererseits käme es ihm nie in den Sinn, seine Kinder zu schlagen. Abends liest er ihnen eine Geschichte vor, am Wochenende geht er bei jedem Wetter zwei, drei Stunden auf die Straße, zum Spielplatz oder in den Park, damit sich die Kinder austoben können.

Die Beziehung zu Kathrin und Markus habe sich vertieft, seit er allein für sie verantwortlich ist, sagt er. "Die Kinder wissen, dass sie sich auf mich verlassen können." In Deutschland teilen geschätzte 200.000 bis 300.000 Männer das Schicksal von Christian Wegner.

Die Zahl allein erziehender Väter nimmt rasant zu, doch die deutsche Forschung hat sich dieser Familienform kaum angenommen. "Dass auch zwischen Vater und Kind eine wichtige Bindung wachsen kann, war für die Wissenschaft lange Zeit kaum vorstellbar", sagt der Saarbrücker Soziologe Christoph Paulus. "Es zählte nur die Mutter-Kind-Bindung."

Gute Noten dank Papa

In den letzten Jahren häufen sich allerdings Erkenntnisse, die am Muttermythos kratzen. "Väter sind für die Erziehung der Kinder in manchen Entwicklungsphasen wichtiger als Mütter", sagt Wassilios Fthenakis, Mitgründer des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München.

Überdies seien Väter sehr wohl fähig, eine ebenso gute Bindung zu ihren Kindern aufzubauen wie Mütter, konstatiert Barbara Risman, Soziologin an der North Carolina State University. Doug Downey, Soziologe an der Staatsuniversität von Ohio hat Kinder allein erziehender Väter mit denen von Müttern in der gleichen Situation verglichen. Bei Selbstbewusstsein, Bindungsfähigkeit und Erfolg im Leben gab es keine Unterschiede.

Andere Forscher kamen sogar zum Ergebnis, dass Kinder aus einem Vaterhaushalt besser in der Schule abschneiden. Sie seien geselliger, weniger aggressiv und seltener krank.

Allerdings haben es allein erziehende Männer in mancherlei Hinsicht leichter: Sie sind in der Regel älter und wohlhabender als allein erziehende Frauen. Außerdem sind die Kinder, wenn sie beim Vater wohnen, meist schon älter. Sie machen nicht nur weniger Arbeit, sondern helfen auch im Haushalt.

Vaterliebe: Im indischen Jaipur bringt ein Vater sein Kind vor der Flut in Sicherheit. (Foto: Foto: dpa)

Schließlich bringen Väter, wenn sie sich einmal entschlossen haben, die Kinder aufzunehmen, mehr Motivation mit als die allein erziehenden Mütter, an denen diese Aufgabe in der Regel ohnehin hängen bleibt.

Mindestens ein Vorteil der Väter hingegen ergibt sich nicht aus der Lebenssituation, sagt Warren Farrell, Psychologe und Männerrechtler aus San Diego: Sie zeterten vergleichsweise selten über die abwesende Mutter, wenn der Nachwuchs dabei ist. Eine Umfrage unter amerikanischen Kindern ergab, dass 54 Prozent der allein erziehenden Mütter schlecht über den abwesenden Vater reden, aber nur zwölf Prozent der allein erziehenden Väter über die abwesenden Mütter.

Geteiltes Sorgerecht

Zudem sind Väter eher bereit, das Sorgerecht mit den Müttern zu teilen, was viele Psychologen sowieso für die am ehesten kindgerechte Lösung bei einer Scheidung halten.

Auch Christian Wegner einigte sich mit seiner Frau auf diese Linie, schon aus praktischen Gründen: Er ist Außendienstmitarbeiter einer Fliesenfirma. Wenn er zwei oder drei Tage unterwegs ist, müssen die Kinder irgendwo unterkommen - und die Mutter steht ihnen nun mal am nächsten.

Überdies hat der Vater erkannt, dass seine Kinder "trotz der vielen schlechten Erfahrungen ihre Mutter immer noch lieben". Er weiß, dass er die Mutter nicht ersetzen kann, und die Wissenschaft bestätigt das.

Kinder von allein erziehenden Vätern suchen oft zuerst das Kuscheltier oder die Mutter, wenn sie getröstet oder behütet werden wollen, fand der Saarbrücker Soziologe Paulus heraus. Trotzdem akzeptieren die Kinder den Vater als Ansprechpartner bei Sorgen.

Und sie suchen ihn geradezu als Spielpartner, weil er oft ganz anders mit ihnen umgeht als die Mutter: Frauen werfen ihren Nachwuchs zum Beispiel kaum jemals spielerisch in die Luft, was die Kinder beim Vater glucksend genießen.

Die kanadische Soziologin Andrea Doucet hat zudem beobachtet, dass Väter eher als Mütter den Nachwuchs anspornen, Risiken einzugehen und selbstständig zu werden. Sie stellte auch fest, dass Väter im gleichen Maß wie Mütter fähig sind, den Kindern die nötige körperliche Nähe zu geben.

Der Soziologe Paulus bezweifelt gar die uralte Annahme, wonach Kinder von Natur aus den besseren Draht zu ihrer Mutter haben. Säuglinge wollen in erster Linie gehätschelt und getröstet werden - von wem auch immer. Erst ab dem sechsten Lebensmonat sind sie fähig, Beziehungen zu bestimmten Menschen aufzubauen.

Rehabilitation der Väter

In dieser Phase, die bis zum fünften Lebensjahr andauert, sei "der einzige biologische Unterschied zwischen Vater und Mutter in der Beziehung zum Kind das Stillen", argumentiert Paulus, "und das ist irrelevant für das Bindungsverhalten." Ob Väter, wie gelegentlich behauptet wird, sogar die besseren Mütter sind, ist freilich nicht bewiesen und kaum beweisbar.

Über ihre zentrale Rolle für das Wohl des Kindes gibt es aber keine Zweifel mehr: Man weiß heute, dass Kleinkinder, die eine enge Bindung zu ihrem Vater besitzen, später besser mit emotionalem Stress zurechtkommen. Diese Erkenntnisse scheinen sich bis zu den Gerichten herumgesprochen zu haben, die heute eher bereit sind als noch vor wenigen Jahren, dem Vater die Verantwortung für die Kinder zu übertragen.

Natürlich wünscht sich Vater Christian Wegner die Zeiten zurück, als er mit seiner Frau noch glücklich war und sie den Kindern noch mehr Zuneigung und Zärtlichkeit schenkte. "Aber so wie die Situation jetzt ist, sind sie bei mir am besten aufgehoben."

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