Erneuerbare Energien:Hart am Wind

Ein Dorf im Hunsrück erzeugt Öko-Strom im großen Stil und wird so weltweit zum Vorbild. Doch hinter dem Engagement der Morbacher steht keine grüne Überzeugung.

Von Silke Lode

Auf dem Schreibtisch von Gregor Eibes steht ein Plastik-Windrad. Wenn der Bürgermeister der Hunsrückortschaft Morbach seinen Blick nach rechts wendet und aus der großen Fensterfront des Rathauses schaut, sieht er auf dem nächsten Hügel die neuen Wahrzeichen seiner Gemeinde im Original: 14 Windräder. Das krönende Fünfzehnte soll nächstes Jahr in Betrieb gehen. Mit 210 Metern Gesamthöhe und einem Rotorendurchmesser von 100 Metern wird es das höchste Windrad der Welt sein. Darauf ist Gregor Eibes ziemlich stolz.

Erneuerbare Energien: "Da kam es zu einem Strategiewechsel": Bürgermeister Eibes zeigt sein Energieprojekt. Nächster Meilenstein ist das höchste Windrad der Welt.

"Da kam es zu einem Strategiewechsel": Bürgermeister Eibes zeigt sein Energieprojekt. Nächster Meilenstein ist das höchste Windrad der Welt.

(Foto: Foto: Leissl)

Mit einer satten Mehrheit von mehr als 50 Prozent regiert der CDU-Bürgermeister 19 Ortschaften, die mit ihren 11.000 Einwohnern die Gemeinde Morbach bilden. Umgeben von Wäldern und Hügeln liegt Morbach fast 30 Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt im Landkreis Bernkastel-Wittlich. An der Hauptstraße schmiegen sich kleine Häuser mit grauen Schindeln eng aneinander, in einigen Vorgärten stehen Gartenzwerge aus Ton.

Eine Muster-Ökogemeinde also, eine Art zweites Freiburg im Miniformat? Nicht ganz. Bürgermeister Eibes sieht die Morbacher Energielandschaft in erster Linie als Wirtschaftsfaktor. Zusätzliche Arbeitsplätze lassen sich zwar bisher an einer Hand abzählen, doch allein die Pacht im Energiepark bringt der Gemeinde 280.000 Euro im Jahr. Wenn sich weitere Betriebe ansiedeln, kommt noch Gewerbesteuer hinzu.

Größtes Munitionsdepot der US-Luftwaffe in Europa

Bis vor wenigen Jahren nutzten die Amerikaner das Gelände, wo sich heute die Windräder drehen, als Bombendepot für ihre Luftwaffe. Wo vor dem Zweiten Weltkrieg Wald stand, bauten sie 19 Kilometer asphaltierte Straße, 144 betonierte Bombenlagerplätze, zwölf Bunker und zahlreiche zehn Meter hohe Splitterschutzwälle. Morbach-Wenigerath war das größte Munitionsdepot der US-Luftwaffe in Europa, 35.000 Tonnen Munition sollen hier gelagert haben. 1995 wurde das Lager aufgelöst.

Mit dem Abzug der Amerikaner stand die Gemeinde Morbach vor der Frage, was mit dem Areal geschehen sollte. "Zunächst dachten wir an Tourismus", erzählt der Bürgermeister. "Wir haben sogar schon einen Betreiber für einen Westernpark gesucht." Lange habe man auf den Mann aus den USA mit dem Geldkoffer gewartet. Doch der Investor ist nie gekommen. Ende der neunziger Jahre setzte der Windkraft-Boom ein. Keine Gemeinde in günstiger Lage wollte ohne Windrad bleiben, denn damit konnte schnelles Geld verdient werden.

Hart am Wind

Auch Morbach ließ prüfen, ob seine Hügel günstig liegen - und witterte Profit. Eine starke Westwindströmung bläst ungebremst vom Atlantik bis zum Hunsrück. "Da kam es zu einem Strategiewechsel", berichtet der Bürgermeister.

Windpark Morbach

Wartung in 160 Metern Höhe: Mit dem Strom, der in Morbach erzeugt wird, können bis zu 13.000 Haushalte versorgt werden.

(Foto: Foto: ddp)

Das war im Frühjahr 2001. Ein knappes Jahr später stellte die Rathausverwaltung den Bürgern die Idee einer Energielandschaft vor: Wind, Sonne und Biomasse sollten fortan genutzt werden, um auf dem Gelände des ehemaligen Munitionsdepots Strom zu erzeugen. Während in anderen Orten jedes Windrad hartnäckige Gegner fand und Solarenergie als ein Spleen der Grünen galt, geschah im konservativen Morbach ein kleines Wunder: Es kam zu keiner einzigen negativen Stellungnahme aus der Bevölkerung gegen den neuen Flächennutzungsplan.

Seither hat sich in dem ehemaligen Munitionslager einiges verändert. Zwar suchen nach wie vor Wildschweine und Füchse Löcher im Zaun, Hasen hoppeln durchs Gras. Doch statt Militärlastern rollen Traktoren mit Anhängern über die Straßen, Bauern aus der Umgebung liefern Energiepflanzen für eine Biogasanlage. 4000 Quadratmeter Solarzellen glänzen in der Sonne, die schrägen Unterbauten dienen als Schafställe. 14 Windräder produzieren knapp 30 Megawatt Strom, mit der Abwärme der Biogasanlage werden Holzpellets getrocknet. Ein Betrieb aus Morbach hat die Produktion von Blockhäusern aus Fichten- und Douglasienstämmen hierher verlegt, und in der ehemaligen Bombenwartungshalle entsteht eine Brikettieranlage.

Strom für bis zu 13.000 Haushalte

Schulklassen und Kindergartengruppen, Kommunalpolitiker und Delegationen aus den USA, der Türkei, Chile oder Sri Lanka kommen nach Morbach, um dieses vermutlich einmalige Projekt zu sehen, wie Michael Grehl von der Gemeindeverwaltung während einem Rundgang über das Gelände erzählt. Mit dem Strom, der hier erzeugt wird, können rein rechnerisch 13.000 Haushalte versorgt werden.

Hart am Wind

Trotzdem: "Morbach ist kein Ökodorf", sagt Uwe Schlüter, der Geschäftsführer des Regionalvereins. Hinter dem Engagement der Morbacher stehe kein ideologisches Konzept, keine grüne Überzeugung - man sehe einfach die praktischen Vorteile der regenerativen Energien. Sein Verein kämpft für eine bürgernahe Energielandschaft. Heute betreibt nicht, wie ursprünglich vorgesehen, der Energieriese RWE die Anlage, sondern die Mainzer Firma Juwi; an der neuen Biogasanlage ist die Firma Ökobit beteiligt. Die rot-weißen Rotoren des Bürgerwindrads "Morbach 3" drehen sich unermüdlich, eine Beteiligung war ab 2500 Euro möglich.

Keine ökologischen Motive

1987 ist Uwe Schlüter nach Morbach gezogen, um in einem Sägewerk zu arbeiten. "Schon mein Vater war Förster, ich bin im Wald groß geworden. Im Sägewerk fängt man irgendwann an nachzudenken: Was tun wir mit unseren Rohstoffen? Dort haben wir schon immer mit Sägespänen geheizt. Ich wusste also: Man muss kein Öl verbrennen." Mit dieser Idee machte Schlüter sich vor sieben Jahren selbständig und wurde zum Pellet-Pionier. Mittlerweile hat er 600 Holzheizungen aufgebaut. Sind die Morbacher also doch Ökos? "Nein", sagt Schlüter. "Die wollen Holzheizungen nicht, weil sie ökologisch denken, sondern weil sie mich kennen und wissen, dass die Anlagen funktionieren."

Der 75-jährige Reinhold Roth, ein pensionierter Feuerwehrmann, trauert dem alten Munitionslager sogar ein bisschen nach. Über 30 Jahre hat er dort gearbeitet. "Schon als Kinder haben wir aus Kriegsgranaten das Pulver rausgeholt und angezündet", erinnert er sich. "Mein Kumpel hat sich eine Augenbraue abgesengt. Aber ich hatte nie Angst vor Munition." Dass auf dem Gelände heute Solarzellen, Biogasanlagen und Windräder stehen, findet er nicht unbedingt schlecht. Eigentlich ist es ihm gleichgültig.

Uwe Andretta, der einzige Gemeinderat der Grünen in Morbach, denkt da ein bisschen anders. Der Mann mit den langen blonden Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trägt, ist mit der Energielandschaft sehr zufrieden. "Mein Elternhaus stand einen Kilometer vom Munitionsdepot entfernt", sagt er. Als Kind habe er immer Angst gehabt, dass die ganze Gegend in die Luft fliegt. "Und heute wird dort friedlich Energie erzeugt. Das fühlt sich richtig gut an."

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