Erneuerbare Energie:Pack den Einzeller in den Tank

Was haben Einzeller mit umweltfreundlichem Verkehr zu tun? Mit Diesel und Kerosin aus Algen ließe sich der Anteil der Biomasse an der Energieversorgung steigern. Ein Besuch im National Renewable Energy Lab (NREL) bei Denver, USA.

Chr. Schrader

Dem Becken in Al Darzins' Labor möchte man eigentlich nicht zu nahe kommen. Das Wasser darin, von einem kleinen Schaufelrad träge bewegt, hat eine schmierig-dunkelgrüne Farbe. Sie erinnert an gammlige Gartenteiche und ihren fauligen Gestank. Darzins aber taucht ungerührt einen Messbecher in die Brühe und hält ihn dem Besucher unter die Nase: Das Grün besitzt nur ein leichtes Aroma von frischem Fisch.

Algen Biodiesel

Al Darzins vom National Renewable Energy Lab in Golden/Colorado, USA, prüft eine Algenkultur.

(Foto: Christopher Schrader)

"Da sind Kieselalgen im Wasser, keine Fäulnisbakterien", sagt der Forscher vom National Renewable Energy Lab (NREL) in Golden, einem Vorort von Denver. "Sie wachsen gut und stinken nicht."

Wie überall in Ozeanen und Seen betreiben die Mikroorganismen in Darzins' Labor Photosynthese, sie verwandeln also Kohlendioxid unter Sonnenlicht in nützlichere Moleküle. Das Team am NREL interessiert sich vor allem für Algenarten, die Fett produzieren. Die Einzeller in der grünen Brühe sind Hoffnungsträger; sie sollen einen umweltfreundlichen Verkehr ermöglichen.

Schon heute stellen Firmen Biodiesel aus Pflanzenöl her; Versuche mit dem chemisch eng verwandten Kerosin laufen. In Zukunft könnten also Flugzeuge, Schiffe, Eisenbahnen und Lastwagen Treibstoff vom Acker tanken. Im Prinzip ist das eine klimaneutrale Energienutzung, weil die Pflanzen beim Wachsen so viel Kohlendioxid aufnehmen, wie später beim Verbrennen des Kraftstoffs frei wird.

Doch es gibt zunehmend Kritik am Anbau von Raps, Soja oder Palmöl als Energieträger. Die Pflanzen blockieren Flächen, die dem Nahrungsmittelanbau dienen könnten, häufig wird sogar tropischer Regenwald dafür gerodet. Die Äcker werden bewässert, gepflügt, gedüngt und geerntet, so dass der Anbau auf Dauer keineswegs klimaneutral ist.

Algen könnten einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. Wenn sie auf unfruchtbarem Land mit brackigem Wasser gedeihen, nehmen sie keinem Bauern etwas weg. "Noch sind Aufzucht, Ernte, Trocknung und Verarbeitung völlig ungeklärt, aber die Option ist zu attraktiv, um sie nicht zu erforschen", sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Ließen sich alle Fragen lösen, könnte die Menschheit wohl deutlich mehr Bioenergie nutzen als angenommen. Lucht hat mit zwei Kollegen dazu gerade eine sorgfältige Analyse vorgelegt, in der er sich aber auf den konventionellen Anbau von Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen konzentriert (Global Change Biology Bioenergy, online).

"Bis zu 20 Prozent des weltweiten Energiebedarfs könnte Biomasse im Jahr 2050 decken", schätzt der Wissenschaftler; diese Quote gilt nicht nur für den Verkehr, sondern auch für Strom- und Wärmeproduktion. Luchts Team schließt Energieplantagen überall dort aus, wo heute Lebensmittel produziert werden. "Mindestens diese Fläche muss man reservieren, wenn die Weltbevölkerung um zwei Milliarden Menschen wächst", sagt er.

Außerdem lassen die Forscher Regionen aus, deren Umwandlung die biologische Vielfalt gefährdet oder viel Kohlenstoff freisetzt. Das betrifft den Großteil Deutschlands, Landstriche in Australien, Neuengland und Nordafrika sowie die Regenwälder in Amazonien und Afrika. "Bei der Umwandlung gelangt so viel Kohlenstoff in die Atmosphäre, dass es rechnerisch mehrere Jahrzehnte dauert, bis diese Schuld durch das Einsparen von Öl und Gas abgetragen ist."

Günstige Bedingungen für Plantagen bestehen aber beispielsweise in Frankreich, England, Irland, Polen und der Ukraine, in Indien, Indonesien und Südchina, im Mittleren Westen und Patagonien. Solche Länder könnten Konflikte erleben, wenn Naturflächen zu Feldern umgewidmet würden. Zudem gäbe es Probleme, wo zwar die Fläche für Tank und Teller reicht, aber das Wasser nicht.

"Das muss spottbillig sein"

Die Menschheit würde womöglich fast ein Drittel mehr Fläche als heute bebauen sowie doppelt so viel Wasser verbrauchen. Lucht ist daher skeptisch, ob tatsächlich 20 Prozent vom Energiebedarf zu erreichen sind. "Um auch nur in die Nähe zu kommen, müssten wir einen hohen Preis bezahlen." Allerdings sei es ohne Bioenergie unrealistisch, die Erwärmung durch den Klimawandel auf die angestrebten zwei Grad zu begrenzen.

Biodiesel

Wenn die Flüssigkeit schmutzig-gelb ist, sind die Algen unter Stress. Dann produzieren sie besonders viele Fettmoleküle, aus denen Diesel gemacht werden kann.

(Foto: Christopher Schrader)

Biodiesel aus Algen ließe sich aber womöglich zusätzlich zu den 20 Prozent erzeugen - und hätte noch einen weiteren Vorteil. Die Mikroorganismen erzeugen den einzigen Biokraftstoff, der einen höheren Energiegehalt als herkömmliches Kerosin hat. Darum interessieren sich auch die Flugzeughersteller für die Algenzucht.

Bei der Internationalen Luftfahrtausstellung 2010 Berlin ließ EADS, der Mutterkonzern von Airbus, ein zweimotoriges Kleinflugzeug mit Algensprit kreisen. Geliefert hatte den Kraftstoff damals das Institut für Getreideverarbeitung (IGV) in Nuthetal bei Potsdam. "Bisher werden Algen in kleinen Mengen für Kosmetik und Pharmaka gezüchtet", sagt Geschäftsführer Peter Kretschmer.

Wie in Zukunft eine Massenproduktion der Einzeller zu organisieren ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Kretschmer und seine Mitarbeiter favorisieren eine Art Bioreaktor. In dessen Inneren strömt Wasser mit Algen durch dünne Glasrohre, in denen sie gleichmäßig von der Sonne beschienen werden.

Al Darzins im fernen Colorado hat eine andere Vision. Auf dem Gang seines Instituts steht ein Schaukasten mit dem Modell einer Algenfarm in der Wüste. Die Organismen wachsen in langgestreckten, flachen Teichen, das Wasser ist ungeklärt und brackig. "Das muss alles spottbillig sein, wenn es sich rechnen soll", sagt Darzins.

Eines hat der Forscher schon erkannt: Bei der Ernte ist grün nicht die optimale Farbe. Eine Flasche in seinem Labor enthält eine schmutzig-gelbe Flüssigkeit. "Diese Algen sind unter Stress. Das ist genau, was wir wollen", sagt Darzins und reibt sich die Hände. "Den Zellen fehlen wichtige Nährstoffe, darum können sie das hereinstömende CO2 nicht richtig verarbeiten." Stattdessen produzieren sie besonders viele Fettmoleküle. "Und aus dem Fett machen wir Diesel."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: