Erneuerbare Energie:Marokko baut an der Zukunft der Solarenergie

Erneuerbare Energie: Das Solarthermie-Kraftwerk Noor 1 bei Ouarzazate in Marokko.

Das Solarthermie-Kraftwerk Noor 1 bei Ouarzazate in Marokko.

(Foto: Fadel Senna/AFP)

In der Wüste entsteht das größte Solarthermie-Kraftwerk der Welt: Die Anlage mit einem futuristischen Turm in der Mitte kann sogar nachts Energie liefern.

Von Benjamin von Brackel, Ouarzazate

Über zu wenig Sonnenschein kann sich Tarik Bourquouqou nicht beklagen. Das liegt nicht nur daran, dass sein Arbeitsplatz nahe der Wüstenstadt Ouarzazate liegt, einem der sonnenreichsten Orte der Welt. Sondern vor allem an einem röhrenförmigen Turm, der dort 200 Meter in die Höhe ragt. Fährt Bourquouqou mit dem Aufzug hinauf, blickt er herab auf eine futuristische Sonnenwelt: Ringsum Solarspiegel, soweit das Auge reicht.

Den Turm umgibt ein ovales, 650 Hektar großes Feld mit 7500 riesigen Spiegeln. Sie sollen von 2018 an das Sonnenlicht einfangen, bündeln und auf die Turmspitze reflektieren. Dort oben wird ein 40 Meter hohes Gerüst mit Hunderten Stahlrohren thronen. Dieser sogenannte Absorber soll sich durch das konzentrierte Sonnenlicht auf mehr als 1000 Grad aufheizen. Diese Wärme soll dann teils in einem flüssigen Salzgemisch gespeichert werden, teils gleich in einem Dampfkraftwerk Strom erzeugen. Die Technik heißt Solarthermie und funktioniert anders als die Photovoltaik, bei der Solarzellen direkt Strom liefern. "Ich liebe diesen Turm, weil er so schön ist", sagt Bourquouqou, der für die staatliche Solaragentur Masen arbeitet. "Es wird sein, als wäre eine Sonne dort oben drauf."

Bereits in Betrieb sind fast eine halbe Million Spiegel auf dem Nachbarfeld Noor 1. Dieses funktioniert nach einem etwas anderen Prinzip. Parabol-Rinnen, sieben Meter hoch, drei Meter breit, stehen dort parallel in 400 Reihen auf jeweils 300 Meter Länge. Sie richten sich nach dem Sonnenstand aus, sammeln das Licht ein und reflektieren es auf ein Absorberrohr, das im Brennpunkt jeder der gebogenen Spiegel entlangläuft. In diesem zirkuliert Thermo-Öl, das sich auf 393 Grad aufheizt und die Turbine eines Dampfkraftwerks antreibt. Seit Februar liefert Noor 1 Strom für 350 000 Menschen.

Der saudiarabische Projektentwickler Acwa Power baut zudem an drei weiteren Solarkraftwerken in Ouarzazate. Sie sollen von 2018 an 1,3 Millionen Marokkaner mit Strom versorgen. Auch andere Länder setzen wieder verstärkt auf Solarthermie. China will bis zum Jahr 2020 Solarthermie-Kraftwerke mit einer Leistung von zehn Gigawatt installieren. Chile, Südafrika und Israel arbeiten an ähnlichen Projekten.

Sicher ist der Strom aus Solarzellen billiger. Aber er muss sofort verbraucht werden

Dabei hatte die Solarthermie in den vergangenen Jahren Rückschläge erlitten. Zum einen lohnt sich die Technik vorwiegend in sonnenreichen Regionen. Deutschland, mit weniger als halb so viel Sonnenstrahlung pro Fläche wie Marokko, scheidet aus. Aber auch Spanien hatte den Ausbau gebremst. Zu billig war die Photovoltaik geworden, die das Sonnenlicht nicht in Wärme, sondern mit Fotozellen direkt in Strom umsetzt. "Es kam der Eindruck auf, man braucht die Solarthermie gar nicht mehr", sagt Thomas Fluri von der Abteilung Solarthermie und Optik am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE.

Tatsächlich klingt die betriebswirtschaftliche Rechnung eindeutig: In Marokko ist der Strom aus Solarthermie-Kraftwerken mit etwa 13 Cent pro Kilowattstunde deutlich teurer als der Strom aus Photovoltaik-Anlagen, der schon ab drei Cent zu haben ist. Doch PV-Anlagen haben einen bedeutenden Nachteil: Deren Strom sollte am besten sofort verbraucht werden. Die elektrische Energie in Batterien zu speichern, ist derzeit noch teuer und ineffizient. Weil die Menschen aber auch nachts Energie brauchen, sind Speicher unausweichlich. In Solarthermie-Anlagen sind sie quasi mit eingebaut.

Die Marokkaner nutzen das erhitzte Öl des Noor-1-Felds nicht komplett, um sofort Strom zu erzeugen. Einen Teil zweigen sie über Rohrleitungen ab zu einem Stahlsilo, der in der Sonne silbern glänzt. Darin befinden sich zwei Tanks mit je einer flüssigen Salzmischung, einer kühler, der andere wärmer. Auf dem Weg vom kühlen Tank zum heißen wird das flüssige Salz in einem Wärmetauscher vom heißen Öl aus den Kollektoren erhitzt. Wenn nachts Energie benötigt wird, fließt das Salz durch den Wärmetauscher wieder zurück, heizt das Thermo-Öl auf, das Dampf erzeugt, die Turbine antreibt und in einem Generator Strom liefert, der ins landesweite Netz fließt. "Bis zu drei Stunden können wir hier speichern", sagt Bourquouqou.

Der Solarturm, der ohne Wärmetauscher auskommen wird, soll dereinst aus dem hoch erhitzten Salzgemisch sogar sieben Stunden nach Sonnenuntergang Strom erzeugen. In den kommenden Jahren dürften sich die Grenzen weiter verschieben: Forscher aus aller Welt tüfteln an neuen Materialien für die Wärmespeicherung. Theoretisch ließe sich die Hitze auch in Sand speichern, der wenig kostet und den es fast unbegrenzt gibt. Schneller umzusetzen ist eine Verbesserung des Salzspeichers. Dank einer Trennschicht soll in Zukunft ein Tank ausreichen.

Im Test sind auch alternative Wärmeträger zum Thermo-Öl. Letzteres hält nur Temperaturen bis zu 400 Grad Celsius aus, bis es zerfällt. Flüssigsalze vertragen mehr und können somit mehr Energie speichern und transportieren. Überall suchen die Ingenieure und Chemiker nach Möglichkeiten, Kosten zu drücken und die Leistung zu steigern. Auch beim Wasserverbrauch: Die neuen Anlagen sollen eine Trockenkühlung bekommen; momentan tritt noch viel kostbares Wasser über den Kühlturm aus.

Später am Tag steht die Sonne tief in Ouarzazate und färbt den Himmel über dem Atlasgebirge rot, für die Energiegewinnung reichen ihre Strahlen nicht mehr. Die Spiegel drehen sich in ihre Ausgangsposition, wo sie die Sonne am nächsten Morgen empfangen. Bourquouqou steht auf einer Aussichtsplattform inmitten all der Spiegelfelder. Er blickt auf die Uhr: kurz vor sechs. "Der Höhepunkt des Stromverbrauchs in Marokko ist gerade jetzt", erklärt er. Deshalb setzt sein Land auf Solarthermie, auch wenn sie etwas teurer ist. Sie kann eben auch nach Sonnenuntergang Energie liefern.

Künftig sollen sich Solarwärme und Photovoltaik in Kombi-Kraftwerken ergänzen

Schon suchen Experten nach Wegen, die günstige Photovoltaik und die speicherbare Solarthermie zu koppeln. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat sonnenreiche Regionen wie Marokko unter die Lupe genommen und für die Jahre bis 2030 untersucht, welche Technologien am günstigsten und klimafreundlichsten sind und zugleich in den Abendstunden Strom liefern können. Der Abschlussbericht ist noch nicht veröffentlicht, doch kommen die Experten schon zum Zwischenfazit, dass "unter heutigen Voraussetzungen gerade die Kombination von solarthermischen Kraftwerken und Photovoltaik in den meisten Szenarien kostengünstiger ist, als die Nutzung von nur einer der beiden Technologien". Es ist die ideale Ergänzung: Die PV-Module liefern am Tag günstigen Strom, die Solarthermie-Anlagen produzieren etwas teurer Energie für die Nacht.

Genau so wollen es künftig auch die Marokkaner einrichten. Bourquouqou wechselt auf der Aussichtsplattform die Seite und zeigt durch das Gitter auf eine Fläche, auf der bislang nur ein Umspannwerk installiert ist. Hier soll Noor 4 entstehen, Photovoltaik-Anlagen. Sie sollen die Solarthermie ergänzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: