Ernährung:Rettung des guten Geschmacks

Tomatenparadies am Neusiedlersee

Die aromatische und optische Vielfalt alter Tomatensorten ist enorm.

(Foto: dpa)

Nach Jahrzehnten der Zucht auf perfektes Aussehen fehlen den meisten Tomaten Aroma und Nährstoffe. Ein US-Wissenschaftler will den Früchten wieder Geschmack geben - ganz ohne gentechnische Methoden.

Von Hanno Charisius

Rot und prall liegen sie im Supermarkt. Doch diese Tomaten, sagt Harry Klee, "diese Tomaten sind kaputt". Jahrzehntelange Zucht habe ihnen nicht nur Aroma geraubt, sondern auch wertvolle Nährstoffe, erklärt der Professor für Pflanzenzucht von der Universität Florida. Klee will die beschädigte Frucht reparieren, wie er es nennt.

Seinen Plan zur Verbesserung des Tomatenaromas präsentierte er auf dem Jahrestreffen der Wissenschaftsorganisation AAAS in Boston. Jetzt müssen nur noch die Tomatenzüchter mitspielen - und vor allem die Verbraucher.

Der Geschmack von Tomaten ist eine komplizierte Angelegenheit. Er setzt sich aus mehr als 400 Aromen zusammen - darunter das von Bananen, Äpfeln, Rosen, Käse, Schokolade, Grasschnitt und japanischem Meerrettich. Je nach Sorte unterscheiden sich die Mengen der einzelnen Aromastoffe teils gewaltig.

Während die Züchter die Pflanzen auf perfektes Aussehen getrimmt haben, veränderten sich auch ungewollt die Gene, die für die Bildung von Geschmacksstoffen zuständig sind. Die Folge sind jene roten Wasserbälle, die wir aus dem Supermarkt kennen. Sehen appetitlich aus, "schmecken aber nach Pappe", sagt Klee.

Vor allem wenn man sie mit jenen alten Sorten vergleiche, die nicht seit Generationen durch Zuchtprogramme gezwungen worden seien. "Diese Geschmacklosigkeit liegt nicht in der Absicht der Produzenten, aber von ihnen wird Ware verlangt, die zum Teil extrem lange Reisen überstehen muss." Ein großes Problem sei auch, dass es für Züchter keinen finanziellen Anreiz gebe, ihren Sorten wieder Geschmack zu verleihen.

Mit der Hilfe von Testessern hat Klee vor etwa einem Jahr herausgefunden, worauf es beim Tomatengeschmack ankommt und so das Rezept für die perfekte Tomate zusammengestellt. Er entdeckte, dass im Wesentlichen zwölf Aromastoffe die Intensität des Geschmacks beeinflussen.

Alte Sorten, die an das geschmackliche Ideal dicht herankommen, genügen jedoch nicht den praktischen Anforderungen von Züchtern und Handel. Auch der Verbraucher müsste sich von der Vorstellung der festen, knallroten Kugeln verabschieden. Klees will deshalb den herausragenden Geschmack alter Sorten mit der Produktivität moderner Züchtungen kombinieren. Die ersten Hybriden schmeckten bereits ganz ordentlich, sagt er, allerdings seien sie noch lange nicht ertragreich genug.

Nachdem vor wenigen Monaten das Erbgut der Tomate entziffert worden ist, wissen die Forscher nun auch, welche Gene, für welche Nuance am Gaumen sorgen. Das erleichtere die gezielte Zucht sehr. Auf gentechnische Methoden will er dabei verzichten, auch wenn er es bedauert. "Es würde eine sehr leckere Tomate dabei herauskommen." Doch sie auf den Markt zu bringen mit allen vorgeschriebenen Sicherheitstest, würde etwa 15 Millionen Dollar kosten. "Das lässt uns keine Wahl, das ist zu teuer."

Vor der Gesundheit steht meist noch immer der Preis

Klee glaubt, dass die schmackhafteren Früchte auch die gesünderen sind. Viele der chemischen Vorläufer der Aromastoffe gelten als gesundheitsfördernd. "Flüchtige organische Verbindungen", das klingt zwar wie etwas, das man nicht gerne im Essen haben möchte, ist in Tomaten und auch anderen Obst- und Gemüsesorten aber durchaus erwünscht. Jedenfalls in der richtigen Mischung. Hinter dem chemischen Sammelbegriff verbergen sich all jene Aromastoffe, die den Naturprodukten ihren Geschmack verleihen. Die leicht flüchtigen Verbindungen sind "der größte Hebel, um den Geschmack zu verändern", sagt Klee.

Das sieht auch seine Kollegin Linda Bartoshuk so, die ebenfalls in Florida die Geschmackswahrnehmung des Menschen erforscht. Die flüchtigen Verbindungen spielen nach ihren Erkenntnissen insbesondere bei der Wahrnehmung von Süße eine wichtige Rolle.

Als Beispiel zeigt sie zwei verschiedene Tomatensorten - sie heißen Matina und Yellow Jelly Bean -, die zwar in etwa die gleichen Mengen Zucker enthalten, aber im Geschmack sehr verschieden wahrgenommen werden. Matina schneidet bei Testessern doppelt so süß ab wie die gelbe Kollegin. "Dieser Eindruck entsteht durch einige der flüchtigen Verbindungen", sagt Bartoshuk. Durch gezielte Zucht von Gemüsesorten mit entsprechender chemischer Ausstattung, sollte sich ihrer Ansicht nach der Genuss und damit auch der Konsum steigern lassen. Schließlich ist nur gegessenes Gemüse auch gesundes Gemüse.

Vor der Gesundheit stehe bei den meisten Verbrauchern aber noch immer der Preis, sagt Klee. "Die Leute wollen billiges Essen und bezahlen dafür mit schlechtem Geschmack." Er hält es für aussichtslos, die Kaufgewohnheiten der Massen zu verändern und will deshalb auch nicht Biotomaten in sein Geschmackszuchtprogramm aufnehmen, sondern jene Sorten, die von der Industrie angebaut werden.

Gegen ein Problem hilft aber auch sein gesamtes züchterisches Können nichts: Wenn Tomaten gekühlt werden, verlieren sie ihren Geschmack, weil so die Produktion der Aromastoffe gestoppt wird. "Das weiß heute inzwischen jeder in der Kette vom Erzeuger bis zum Händler, aber es wird noch immer getan", sagt Klee.

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