Erdschwingungen:Die Melodie der Welt

Die Erde klingt. Mal ist es stärker, mal schwächer - doch ein untergründiges Brummen ist stets vorhanden. Geologen sind dem rätselhaften Phänomen auf der Spur.

Axel Bojanoswki

In den vergangenen Tagen donnerte es über dem Schwarzwald. Als die Gewitter vorüber gezogen waren, herrschte zwar Ruhe, doch ein Grollen blieb - unhörbar allerdings. Es ist immer da, egal welches Wetter herrscht, und es ist etwa elf Oktaven zu tief, um von Menschen wahrgenommen zu werden.

Erdschwingungen: Die Welt hat ihren eigenen Klang, seine Ursachen sind wohl vielfältig.

Die Welt hat ihren eigenen Klang, seine Ursachen sind wohl vielfältig.

(Foto: Foto: Nasa/sueddeutsche.de)

Wissenschaftler jedoch registrieren die Töne: Im Stollen eines aufgegebenen Erzbergwerkes nahe Schiltach im Schwarzwald haben sie hochempfindliche Sensoren installiert. Sie nehmen ein unentwegtes Brummen auf. Auf der ganzen Welt haben Forscher das Geräusch inzwischen aufgezeichnet. Es handelt sich um die Melodie des Planeten.

Der Erdboden hat viele Klänge. Autos rumpeln, das Meer brandet an die Küste, Erdbeben trommeln. Die dadurch erzeugten Bodenschwingungen sind aber meist nur in der Umgebung festzustellen. Manche Ereignisse aber versetzen den ganzen Planeten in Schwingung, etwa das schwere Tsunami-Beben im Dezember 2004 in Südasien.

Vor zehn Jahren entdeckten japanische Seismologen, dass die Erde auch ohne Starkbeben stetig schwingt. Alle zwei bis fünf Minuten beult sie sich um wenige Tausendstel Millimeter aus, dann zieht sie sich wieder zusammen.

Zarte Schwingungen

Obwohl sich der Planet bewegt, verbraucht er dabei nur 500 Watt, also die Leistung von fünf Glühbirnen. Die zarten Wellen schwingen äußerst langsam mit der Frequenz von drei bis sieben Milli-Hertz.

Als Auslöser der Schwingungen käme die Luft in Frage, spekulierten Forscher vor vier Jahren. Sie hatten entdeckt, dass der Ton stärker wird, wenn auf einer Erdhalbkugel Winter herrscht.

Im Frühjahr und Herbst hingegen wird das Brummen schwächer. Während des Nord- und Südwinters brächten Stürme und Wellengang auf den Ozeanen den Planeten stärker in Schwingung, so die Forscher.

Die Ozeane könnten durch steten Starkwind zu Tsunami-ähnlichen Wellen angeregt werden, haben Experten bereits vor 60 Jahren herausgefunden. Wie bei einem Tsunami - nur viel schwächer - gerät das Wasser bis zum Grund in Wallung.

Die Dauermassage des Meeresbodens lässt die Erde schwingen, das Brummen wird stärker. Computer-Simulationen an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara schienen die Theorie vor drei Jahren zu bestätigen.

Auf und ab, hin und her

Doch das Modell ist unvollständig, wie nun eine Studie von Dieter Kurrle von der Universität Stuttgart und Rudolf Widmer-Schnidrig vom Schwarzwald-Observatorium in Schiltach zeigt. Die Geophysiker haben entdeckt, dass die Melodie der Erde von mehr Instrumenten intoniert wird als angenommen.

Der Planet schwingt nicht nur auf und ab, sondern auch auf komplexe Weise hin und her. (Geophysical Research Letters, Bd. 35, S. L06304, 2008): Wie ein Ball, dessen obere Hälfte zunächst nach links und dessen untere nach rechts verdreht wird, um dann in jeweils umgekehrter Richtung zurückzupendeln.

Diese Schwingungen können nicht durch eine Massage der Erdkruste von oben entstehen. Sie werden von Kräften erzeugt, die waagerecht auf den Boden treffen - der Boden wird gedehnt. "Um welche Kräfte es sich handelt, wissen wir nicht", sagt Kurrle. Das Drücken des Windes gegen Gebirgsketten käme in Frage.

Computer-Simulationen sollen zeigen, welche Effekte eine Rolle spielen. Die Forscher hoffen, dass Luft der Hauptverursacher des Brummens ist. "Das wäre sehr nützlich bei der Erforschung fremder Planeten", sagt Kurrle.

Selbst Planeten mit dünner Atmosphäre wie der Mars ließen sich regelrecht durchleuchten: Die Schwingungen durchlaufen die Planeten und werden an Schichtgrenzen reflektiert wie an einem Spiegel. Das Brummen der Himmelskörper gäbe mithin Aufschluss über den Aufbau der Planeten.

Auswirkungen auf den menschlichen Körper - wie oft befürchtet - habe das Brummen "ganz sicher nicht", sagt Kurrle. Dafür seien die Schwingungen "viel zu schwach".

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