Erderwärmung:Wandelungen in der Mark Brandenburg

Lesezeit: 4 min

Ein Atomkraftwerk hat den Stechlinsee mehr als 20 Jahre lang aufgeheizt - nun stellt das Gewässer ein Modell dar für die Folgen globaler Erwärmung.

Robert Lücke

Es ist eine Postkartenlandschaft. Der Stechlinsee im Norden Brandenburgs liegt tief im Wald. Die 16 Kilometer lange Uferlinie ist von alten Bäumen gesäumt.

Das Wasser des in der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren entstandenen Sees ist so klar und sauber, dass man auch an tieferen Stellen noch den Grund sehen kann. Kranich, Fischotter, Sumpfschildkröte, See- und Fischadler leben hier. Am Ufer blühen Sonnentau und Enzian. Wäre nicht das Kernkraftwerk Rheinsberg gewesen, der See wäre eine intakte Idylle.

Etwa 300.000 Kubikmeter Wasser pumpte das Kraftwerk von 1966 bis 1988 Tag für Tag aus dem und wieder in den See. Wenn das Wasser die Kühltürme verließ, war es zehn Grad wärmer als zuvor. Das Oberflächenwasser des Sees wurde dadurch im Schnitt um ein Grad wärmer. Die Auswirkungen auf das Ökosystem des Sees und seine physikalische Struktur konnten Forscher über Jahrzehnte messen und auswerten. Die Ergebnisse liefern Hinweise darauf, wie sich eine Erwärmung von Gewässern durch den Klimawandel auswirken könnte.

Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Stechlin und deren Vorgänger in der damaligen DDR begannen bereits vor der Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes mit Untersuchungen. Mit einer Tiefe von 70 Metern gehört der 4,25 Quadratkilometer große See zu den tiefsten und zugleich saubersten Gewässern Deutschlands. Im Uferbereich gibt es bis heute keine Landwirtschaft, die mit organischem Dünger oder Chemikalien für eine Verschmutzung sorgen könnte. Keine Ortschaft leitet Abwässer ein - blieb also das Kraftwerk.

Dessen Einleitungen führten zunächst zu einer erhöhten Produktivität von Algen und Kleinorganismen. "Sie wuchsen vermehrt und schneller", sagt der Biochemiker Peter Casper vom Leibniz-Institut. Nach Beendigung der Einleitung reduzierte sich der Algenwuchs erst wieder mit deutlicher Verzögerung. Die Veränderungen des Wasser-, Wärme- und Stoffhaushaltes und der biologischen Struktur des Sees halten aber bis heute an.

Einst außergewöhnlich sauber

"Der See ist trotz des starken Algenwachstums nie umgekippt oder in die Gefahr einer Übersättigung geraten", sagt Casper. Das liege aber daran, dass der See zuvor so außergewöhnlich sauber war. Ein bereits leicht verschmutztes Gewässer hätte diese Veränderung wohl nicht verkraftet. Übertragen auf mögliche Temperaturanstiege anderer stehender Gewässer durch eine globale Erwärmung würde dies bedeuten, dass viele Seen in wenigen Jahrzehnten umkippen könnten.

"Unsere Ergebnisse sind bei dem weltweit zu erkennenden Trend eines Global Warming von besonderer Aktualität", sagt der Biologe und Institutschef Rainer Koschel - zumal es keine andere Untersuchung weltweit gibt, die eine Entwicklung über einen derart langen Zeitraum auswerten kann.

Die deutlichste Folge der Erwärmung des Sees nennen die Forscher "Entkopplung von Nahrungsmechanismen". Nicht alle Organismen im See reagieren im selben Tempo auf die Veränderungen. Während sich Algen und Mikroorganismen besonders schnell vermehren, kann die Population größerer Tiere wie Fische, die sich von diesen ernähren, nicht Schritt halten. "Das führt dazu, dass die Algen, wenn die Fische sie als Futter brauchen, schon verblüht oder ganz abgestorben sind", sagt Casper. Dies könne ganze Tierbestände bedrohen, die ihrerseits anderen als Nahrung dienen.

Vergleichbare Szenarien hatten Wissenschaftler im Meer beobachtet. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven stellte bei Untersuchungen in der Nordsee fest, dass sich wegen des wärmeren Wassers in den vergangenen Jahren die Blütezeit der Kieselalge so weit verschoben hat, dass ein wichtiger Grundstein der Nahrungskette im Meer nun nicht mehr zu der Zeit zur Verfügung steht, zu der viele Tiere ihn brauchen. Ein Viertel der pflanzlichen Biomasse auf der Erde besteht aus Kieselalgen - ganze Fischbestände hängen davon ab.

Eine weitere Konsequenz der Erwärmung des Oberflächenwassers ist die mangelnde Durchmischung der Wassermassen. Schon unter normalen Umständen ist das warme Wasser oben, das kalte unten. Steigt die Temperatur des warmen Wassers zusätzlich, vermischen sich die Wasserschichten noch weniger - der ohnehin niedrige Sauerstoffgehalt des Tiefenwassers würde weiter absinken, und Lebewesen könnten dort kaum noch existieren.

Darüber hinaus nimmt die Verdunstung durch die gestiegene Oberflächentemperatur zu. Bei der enormen Tiefe des Stechlinsees ist dies zunächst unbedenklich. Doch das Phänomen sorgte bei flacheren Seen im Norden Kanadas für Aufsehen. Wie Forscher der Queen's University in Kingston, Kanada, herausfanden, trockneten im Sommer 2006 mehrere Seen am Kap Herschel auf Ellesmere Island völlig aus. Seit die Wissenschaftler 1982 mit der Erforschung der dortigen Gewässer begannen, war es das erste Mal, dass die jahrtausendealten Seen austrockneten.

Drastisch sind die Folgen für Gewässer, die ohnehin nur zeitweise mit Wasser gefüllt sind. Forscher des Naturhistorischen Museums Wien wiesen in diesem Jahr auf einige Amphibienarten wie Unken hin, die in Pfützen und Reifenspurrinnen laichen. Fallen diese trocken, können sich die Tiere nicht mehr vermehren und drohen auszusterben.

Forellen mit Nierenschaden

Auch bei manchen Fischarten lassen sich die Folgen zunehmend wärmerer Gewässer beobachten. Einige Arten reagieren auf einen Temperaturanstieg in ihrem Biotop sehr empfindlich. Barben etwa benötigen eine Wassertemperatur von 18 bis 20 Grad Celsius, um zu laichen. Erwärmt sich das Gewässer allerdings auf 22 Grad, sterben ihre Eier ab.

Schon im vergangenen Jahr mit den hohen Temperaturen im Sommer waren Deutschlands Flüsse so warm wie seit 25 Jahren nicht mehr - abgesehen vom Rekordsommer 2003. Als Folge sanken bei mehreren Fischarten die Aktivität und das Fressverhalten.

Arten wie die Bachforelle brauchen niedrige Temperaturen. Wegen des Klimawandels werden aber ihre Ökosysteme wärmer. In der Schweiz stieg die Temperatur in von Forellen besiedelten Fließgewässern binnen 25 Jahren um ein Grad Celsius. Deshalb wandern Forellen in Gebirgsregionen in höher gelegene Bereiche der Flüsse. Die aber werden normalerweise von anderen Arten besiedelt, und so geraten die komplizierten Nahrungsnetze durcheinander. Zudem vermehren sich in dem wärmeren Wasser Parasiten ungehemmt, die die Nieren der Forellen zerstören.

Auch vergleichsweise winzige Organismen sind von der Erwärmung der Binnengewässer betroffen. So konnte das Leibniz-Institut im Frühjahr tropische Blaualgen in mehreren norddeutschen Seen nachweisen, die nur als Folge anhaltender Erwärmung dort überhaupt überlebensfähig sind. Problematisch können Blaualgen in großer Zahl insbesondere an Badeseen werden, weil sie für eine bakteriologische Belastung sorgen.

Am Stechlinsee müssten heute, 17 Jahre nachdem das Kraftwerk abgeschaltet wurde, die Folgen der Wassereinleitung eigentlich nachlassen. "Doch wahrscheinlich passiert das nicht mehr", sagt Peter Casper. Inzwischen beobachten die Forscher durch einen Anstieg der Lufttemperatur wieder ähnliche Veränderungen wie früher, als das Atomkraftwerk den See aufheizte.

© SZ vom 5.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: