Erdbeben:Rutschende Hänge unter Wasser

Die Nachricht beunruhigt: Erdbeben könnten in der Nordsee Tsunami entstehen lassen.

Axel Bojanowski

Vor 30.000 Jahren und vor 8150 Jahren rutschten vor Norwegen Erdmassen in die Tiefsee und lösten Tsunamis aus. In Schottland fanden Geologen ein Steinzeitlager, das vor 8150 Jahren verwüstet wurde.

Erdbeben: Das Geröll des Yermak-Megaslide ist 1400 Meter in die Tiefe gerutscht. (Die Grafik wurde um das Sechsfache überhöht, um Einzelheiten besser sichtbar zu machen.)

Das Geröll des Yermak-Megaslide ist 1400 Meter in die Tiefe gerutscht. (Die Grafik wurde um das Sechsfache überhöht, um Einzelheiten besser sichtbar zu machen.)

(Foto: Grafik: Daniel Winkelmann/Alfred-Wegener-)

Heute fragen sich Wissenschaftler, ob unterseeische Gerölllawinen auch in Zukunft Riesenwellen in der Nordsee auslösen können. Nun haben deutsche Geologen herausgefunden, dass ein Erdbeben die Rutschung vor 30.000 Jahren verursacht hat. Das Risiko könnte demnach größer sein als vermutet. Denn in der Nordsee bebt die Erde regelmäßig.

Vor der Nordküste Norwegens liegen die Trümmer des sogenannten Yermak-Slides (auch Hinlopen-Slide genannt). Für ihr Abrutschen schienen sogenannte Methanhydrate verantwortlich zu sein - gashaltige Eisschichten, die den Sand auf den Hängen wie schwacher Kleber zusammenhalten. Ändern sich Wasserstand oder Temperatur, kann sich der Kitt auflösen und die labile Architektur ins Rutschen geraten lassen.

Doch nicht Methan-Eis löste die Lawine aus, berichten Daniel Winkelmann und Rüdiger Stein vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven (AWI) im Fachblatt Geochemistry Geophysics Geosystems (Bd. 8, S. Q06018, 2007). Der Sediment-Absturz erfolgte in einer Meerestiefe, in der vor 30.000 Jahren Methanhydrate stabil gewesen wären.

Auflösendes Eis hätte die Ablagerungen chemisch verändert - entsprechende Spuren seien nicht zu finden, sagt Winkelmann. Ein plötzlicher Kollaps steil geschichteten Sandes sei als Ursache ebenfalls auszuschließen.

Nur ein Auslöser bleibe übrig: Ein Erdbeben habe das Geröll vom Hang geschüttelt. Ob es wieder passiert, hängt auch von der Sedimentmischung auf dem Kontinentalhang ab. "Niemand kennt das Risiko", sagt Winkelmann.

Der Kontinentalhang vor Norwegen wurde wenig untersucht - eine Wissenslücke, die sich als fatal erweisen könnte. Denn womöglich verbergen sich im Sediment ausgedehnte Tonlagen, die wie Rutschbahnen für Lawinen fungieren könnten. Steile Sandschichten wären ein weiteres Alarmzeichen, sie gerieten schon bei leichter Erschütterung in Bewegung.

Analysen einer Gruppe um Petter Bryn von Norsk Hydro und Anders Solheim vom Internationalen Zentrum für Geokatastrophen in Oslo zeigen, dass es während der vergangenen Million Jahre entlang der norwegischen Westküste mancherorts Rutschungen gegeben hat.

Dass ein Erdbeben die Rutschung vor 30.000 Jahren ausgelöst hat, ist keine beruhigende Nachricht. Der Nordseeboden wird offenbar häufiger erschüttert als angenommen. Kürzlich entdeckte der Geologe Roger Musson vom Britischen Geologischen Dienst in Edinburgh in Kirchenarchiven und anderen Chroniken Hinweise dafür, dass in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Starkbeben im Meer aufgetreten sind - allerdings ohne dass Tsunamis bekannt wären.

Die Tsunami-Gefahr bleibt mithin unbekannt. Dennoch wollen die Anrainerstaaten mehr Pegelmesser in der Nordsee aufstellen, die gefährliche Wellen rechtzeitig erkennen sollen. Für die deutsche Küste besteht aber wohl keine Gefahr. Berechnungen haben ergeben, dass Tsunamis auf dem flachen Schelf stark abgebremst würden.

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