Erdbeben in Italien:Ölfeld unter Verdacht

Earthquake in Italy

Im Mai 2012 bebte in Norditalien die Erde

(Foto: Paolo Salmoirago/dpa)

Im Mai 2012 bebte in Norditalien die Erde, zwölf Menschen starben. Haben lokale Ölbohrungen die Katastrophe ausgelöst? Die Hinweise verdichten sich, doch die Verantwortlichen wollen davon nichts wissen.

Von Edwin Cartlidge

Zwei schwere Erdbeben, die im Mai 2012 Norditalien erschütterten und 27 Menschen töteten, wurden womöglich von der Erdölförderung in der italienischen Emilia-Romagna ausgelöst. Darauf weist ein Gremium von Geowissenschaftlern hin. Deren lang erwarteter und bislang unveröffentlichter Untersuchungsbericht war infolge dieser Katastrophe in Auftrag gegeben worden.

Die neuen Ergebnisse könnten weitreichende ökonomische und politische Folgen haben, sagen einige Forscher. Zwar haben schon früher Studien aus anderen Ländern die Erschließung von Gas- und Ölvorkommen mit Erdbeben in Verbindung gebracht, aber menschliche Opfer gab es nur sehr selten. Die Angst vor menschengemachten Erschütterungen hat im erdbebengefährdeten Italien bereits starken Widerstand ausgelöst. Vasco Errani, Präsident der Region Emilia-Romagna, hatte im Mai letzten Jahres angekündigt, dass auf der Basis der neuen Studie entschieden werde, ob man in Zukunft weitere Projekte der Gas- und Erdölförderung bewilligt.

Weitere Bohrungen auf der Kippe

Gut informierte Quellen berichten, die Studie liege der Regionalregierung seit mindestens einem Monat vor. Aber aus Angst vor den Folgen würden Politiker die Publikation verzögern. Zwar seien die Zusammenhänge in dem Bericht vorsichtig formuliert, dennoch könnten die Regionspräsidenten weitere Bohrungen ablehnen oder gar laufende Produktionen stoppen.

Das Forschergremium, bekannt unter dem Namen ICHESE, war Ende 2012 beauftragt worden, mögliche Zusammenhänge zwischen der Förderung fossiler Energieträger und den beiden Erdbeben zu untersuchen. Das erste am 20. Mai 2012 hatte eine Stärke von 5,9 auf der Richterskala, neun Tage später bebte die Erde nochmals mit der Stärke 5,8. ICHESE gehören zwei italienische und drei ausländische Geowissenschaftler an sowie der Ingenieur Franco Terlizzese, der im italienischen Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung für mineralische und energetische Ressourcen verantwortlich ist.

In seinem Bericht schließt der Ausschuss einen möglichen, bereits in Verdacht geratenen Faktor als Erdbebenauslöser aus: den Ausbau eines 3,7 Milliarden Kubikmeter großen Gasdepots in einem Aquifer - einem natürlichen unterirdischen Hohlraum im Gestein. Dieser liegt direkt über einer aktiven geologischen Verwerfung nahe dem Dorf Rivara in der Po-Ebene, ganz in der Nähe der beiden Epizentren. Doch hatten dort die Bohrungen zum Zeitpunkt des Bebens noch gar nicht begonnen. Die Forscher verdächtigen nunmehr einen anderen Ort: das Cavone-Ölfeld des Unternehmens Gas Plus. Im Bericht steht, es "könne nicht ausgeschlossen werden", dass die dortigen Aktivitäten das Beben am 20. Mai auslösten.

Ließ die Steigerung der Ölmenge die Erde erzittern?

Zwar sei es extrem unwahrscheinlich, dass allein die Ölförderung und das Verpressen von Flüssigkeiten ein großes Erdbeben verursachen, sagen die Experten. Aber womöglich stand die dortige Verwerfung bereits kurz vor einer Erschütterung, sodass schon minimale menschliche Eingriffe das Erdbeben auslösen konnten. Dieses erste Beben wiederum könnte das Folgebeben acht Tage danach ausgelöst haben.

Für diese These spricht eine Korrelation: Nachdem von April 2011 an die Fördermenge im Cavone-Feld gesteigert wurde, nahm auch die seismische Aktivität zu. Mit physikalischen Simulationen der Hydrodynamik will man nun diesen Zusammenhang weiter untersuchen.

Der Ausschussvorsitzende, Peter Styles von der britischen Keele Universität, antwortet nicht auf Fragen zu dem Bericht, auch Gas Plus gibt keinen Kommentar. Aber ein italienischer Geowissenschaftler, der nicht genannt werden will, widerspricht der Vermutung des Gremiums. So habe es keine Kleinbeben gegeben, die direkt von der Ölproduktion ausgelöst wurden; die Entfernung zwischen Ölfeld und Epizentrum sei mit 20 Kilometern groß gewesen und die Fabrik produzierte mit 500 Barrel am Tag nicht übermäßig viel Öl.

Streit könnte rationale Diskussion behindern

Geoffrey Abers von der Columbia Universität hält diese Einwände nicht für überzeugend. Er berichtet von einem Ereignis 1967 in Denver. Dort konnten drei Erschütterungen mit Stärken zwischen 4,5 und 5 auf Chemikalien zurückgeführt werden, die ein Jahr zuvor und in zehn Kilometer Entfernung in einen tiefen Schacht gepumpt worden waren. Und drei Beben mit Magnituden über fünf im November 2011 in Oklahoma waren wahrscheinlich das Ergebnis von Abwasser, das in ein altes Ölbohrloch gepumpt worden war. "Das eingespeiste Wasser baute den Druck gerade an der richtigen Stelle auf", sagt Abers.

Einige italienische Geologen sorgen sich nun, dass der Streit über den Bericht eine rationale Diskussion über die seismischen Risiken der Erdöl- und Gasförderung behindern könnte. So wie es nach dem L'Aquila-Erdbeben passierte, bei dem vor fünf Jahren mehr als 300 Menschen getötet wurden. In dessen Folge wurden sieben Forscher zu je sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie die Erdbebengefahr in dem Gebiet unterschätzt hätten. Viele Wissenschaftler, wenn auch nicht alle, hielten das Urteil für einen Ausdruck der Ignoranz von Justiz und Öffentlichkeit. Das Berufungsverfahren in dem Fall steht noch aus.

Dieser Text ist in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas. org, www.sciencemag.org. Dt. Bearbeitung: cwb

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