Erdbeben im Dreiländereck:Das Vogtland zittert

Die Region zwischen Bayern, Sachsen und Böhmen erlebt eine ungewöhnliche Folge von Erdbeben. Doch Seismologen beruhigen die besorgten Bewohner. Ursache ist ein unterirdischer Vulkan.

Axel Bojanowski

Das Zentrum der Beben liegt etwa zehn Kilometer unter der Ortschaft Nový Kastel in Tschechien, rund 40 Kilometer östlich von Hof. Dort herrscht Hochspannung im Gestein. Mit heftigen Rucken entlädt sich nun der Druck. Das kräftigste Beben mit der Stärke 4,3 wurde am Sonntag registriert, es entlud die Energie von mehreren Tausend Tonnen TNT-Sprengstoff. In den kommenden Wochen muss mit noch stärkeren Beben gerechnet werden.

Erdbeben im Dreiländereck: Im Grenzgebiet zwischen Sachsen, Bayern und Böhmen bebt die Erde immer wieder. Das mit 4,6 stärkste Beben wurde im Winter 1985/86 regisitriert.

Im Grenzgebiet zwischen Sachsen, Bayern und Böhmen bebt die Erde immer wieder. Das mit 4,6 stärkste Beben wurde im Winter 1985/86 regisitriert.

(Foto: Foto: ddp)

Erhebliche Schäden seien gleichwohl nicht zu erwarten, beruhigen Seismologen. Alle paar Jahre lässt ein solcher "Erdbeben-Schwarm" das Vogtland wochenlang erzittern - zuletzt im Herbst 2000, als etwa 5000 meist unmerkliche Erschütterungen die Region vibrieren ließen. Im Winter 1985/86 ruckelte es binnen zweier Monate 8000-mal, das stärkste Beben hatte die Stärke 4,6.

Doch der derzeitige Schwarm sei "außergewöhnlich", erklärt nun das Institut für Geophysik in Prag (GFU). Bis zum Montag registrierte das GFU mehr als 10.000 Beben innerhalb einer Woche. Nicht nur die hohe Zahl der Erdbeben, auch ihre Stärke gibt den Seismologen zu denken: Bei früheren Schwärmen habe es so viele spürbare Erschütterungen erst im späteren Verlauf gegeben.

Nicht ausgeschlossen, dass sich die Bebenstärke weiter nach oben schraubt: Denn je mehr Beben oberhalb der Stärke 4 auftreten, umso eher droht nach den Gesetzen der Seismologie ein Schlag der Stärke 5. Dieser könnte Schornsteine und einfache Mauern zusammenbrechen lassen.

Der Erdbebendienst Bayern sieht indes keinen Grund zur Besorgnis. Es würden schon deshalb mehr Beben als bei früheren Schwärmen registriert, weil in den vergangenen Jahren zahlreiche Messgeräte installiert worden wären, sagt der Seismologe Joachim Wassermann vom Erdbebendienst. Auch dass der Schwarm diesmal mit stärkeren Beben als sonst beginne, sei "kein Alarmsignal". Die Erdbeben-Historie der Region zeige, dass die Stärke 5,0 nicht übertroffen werde.

Häuser in der Nähe des Bebenherdes, die in Senken auf weichem Untergrund stünden, könnten aber beschädigt werden. Das Zittern im Vogtland werde wohl diesmal besonders lange anhalten, sagt Thomas Plenefisch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR. "Je stärker die Beben, desto länger dauert der Schwarm."

Der Vulkan lebt, ein Ausbruch steht aber nicht bevor

Ein unterirdischer Vulkan sorgt für die Unruhe im Dreiländereck. In 30 Kilometer Tiefe staut sich heißes Gestein mit der Konsistenz von Glas. Stiege es auf, schmölze es - Lava ergösse sich übers Land. Die heiße Gesteinsmasse wölbe sich bereits unter der Erdkruste, berichten Seismologen um Wolfram Geissler und Horst Kämpf vom Geoforschungszentrum Potsdam. Eine erneute Eruption in naher Zukunft sei allerdings nicht zu befürchten, zuletzt brach vor 300.000 Jahren Magma hervor.

Doch der Vulkan sendet Lebenszeichen, offenbar steigt Magma auf. Das schließen Geochemiker um Karin Bräuer vom Umweltzentrum Halle-Leipzig aus Gasen, die aus Mineralquellen perlen. Das Vulkangas Helium-3 ströme im Dreiländereck in solchen Mengen aus der Tiefe wie sonst nur am Ätna - einem der aktivsten Vulkane der Welt. Normalerweise kommt Helium-3 tief im Erdinneren vor - im Gegensatz zu Helium-4, der gängigen Variante des Edelgases.

Die Bewohner haben sich gewöhnt, die Erdbeben finden sie spannend

Vom Magma erhitztes Grundwasser entfacht die Schwarm-Beben. Der Untergrund im Dreiländereck ist zersprungen wie eine Glasscheibe, entlang der Gesteinsnähte staut sich Spannung. Das heiße Wasser steht unter extremem Druck, es senkt die Reibung zwischen den Felsblöcken. Wie ein Luftkissen zwängt es sich in die Gesteinsritzen, drückt sie auseinander, bis der Fels nachgibt: Tausende Tonnen Gestein schnellen vorwärts, die Erde bebt.

"Das Vulkanwasser entschärfe somit die Gefahr stärkerer Erdbeben", resümiert Joachim Wassermann. Indem das Wasser durch alle Ritzen dringt, baut es die Spannung im Untergrund stetig ab, bevor sie gefährlich werden kann. Statt einem Starkbeben erfasst ein lang anhaltendes Stottern die Erdkruste im Dreiländereck.

Die Anwohner haben sich an das wiederkehrende Ruckeln gewöhnt. "Die Schwarmbeben gehören dazu, wir kennen das", schreibt ein Bewohner auf der Internetseite einer Lokalzeitung. "Außer einer Glasscheibe in der Schrankwand keine Schäden", vermerkt ein anderer. "Ich finde das spannend. Die Kinder auch."

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