Erdbeben:Die Welt muss nicht zittern

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Haiti, Chile, und dann auch noch die Türkei: Beben erschüttern derzeit in erschreckender Häufigkeit die Erde. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Stößen?

Patrick Illinger

Am 12. Januar in Haiti, am 27. Februar in Chile, und nun, am 8 .März, in der Türkei. Plötzlich bebt die Erde überall, so hat es den Anschein. Ist die Erdkruste in Wallung geraten? Geht ein Zittern über die Kontinente hinweg, das womöglich auf weitere bevorstehende Katastrophen hindeutet? Eher nein, sagen Geologen, die Abfolge der jüngsten Erdstöße bleibe im Rahmen der üblichen Statistik. Aber sie sagen auch: Das komplizierte Zusammenspiel der Erdplatten ist längst nicht ausreichend erforscht.

Sicher ist, dass die Beben von Haiti, Chile und Anatolien höchst unterschiedlicher Natur waren. Die verheerenden Stöße in Port au Prince gehen auf die Reibung zwischen der karibischen und der nordamerikanischen Platte zurück. Weil diese Bruchstücke der Erdkruste keine gleichmäßige Grenze bilden, gleiten sie nicht aneinander vorbei, sondern verhaken sich und stauchen sich gegenseitig.

Eine andere Mechanik

Vor Chile hingegen ist die Mechanik eine andere: Dort zwängt sich der pazifische Meeresboden, die sogenannte Nazca-Platte, mit Gewalt unter den südamerikanischen Kontinent. In der Türkei wiederum, tausende Kilometer und mehrere Erdplatten entfernt, sind die Beben eine Folge der seit Jahrmillionen anhaltenden Kollision der Kontinentalplatten Afrikas und Europas. Dazwischen klemmt die "Anatolische Mikroplatte" und bewegt sich einige Zentimeter pro Jahr westwärts. Deren nördlicher Rand hängt aber an Asien fest und ruckelt hinterher, wenn die Spannung zu groß wird.

Geologen halten es für unmöglich, dass sich in derart unterschiedlichen Gefilden Erdbeben gegenseitig auslösen. "Das hat noch nie jemand nachgewiesen", sagt Rainer Kind vom deutschen Geoforschungszentrum Potsdam. Zwar sprechen Seismologen von einem "Erdbebensturm", wenn sich plötzlich Erdstöße häufen. Doch ist dieses Phänomen bislang nur im Bereich ein und derselben Erdplatte festgestellt worden. So zum Beispiel im vergangenen Jahr, als innerhalb von 24 Stunden Sumatra und das weit entfernte Samoa heftig erschüttert wurden. Damals hielten Experten einen Zusammenhang für möglich, schließlich lagen die Epizentren der Beben am West- und am Ostrand derselben Erdplatte.

Eine interessante Beobachtung machten 2009 jedoch Seismologen der University of Utah. Sie stellten fest, dass in den Stunden nach einem starken Erdbeben weltweit die Zahl leichter, für Menschen nicht spürbarer Beben steigt. Normalerweise gibt es auf der Erde pro Minute etwa 120 dieser Schwachbeben. Nach einem Starkbeben steigt deren Häufigkeit um mehr als das Doppelte. Ob das jedoch heftige oder gar tödliche Beben in weit entfernten Regionen auslösen kann, ist völlig unklar.

"Man kann einen Zusammenhang nahezu ausschließen", sagt Anselm Smolka, Erdbebenexperte des Versicherers Munich Re. Die jüngsten Beben lägen "im Rahmen der Statistik". Und ihre Stärke unterschied sich enorm. Die meisten Menschen starben zwar in Haiti, aber vor allem, weil das Epizentrum so nah an der Hauptstadt lag. Das Beben von Chile setzte fast tausendmal so viel Energie frei. Und das Beben in der Türkei gehört statistisch gesehen zum geologischen Alltag: Erdstöße dieser Magnitude gibt es im Schnitt alle drei Tage irgendwo auf der Welt. Dass in Anatolien nun Menschen ums Leben kamen, ist weniger der Geologie geschuldet als der Statik türkischer Gebäude. Was wiederum Zweifel weckt - an der Standfestigkeit der massiv von Erdbeben bedrohten Metropole Istanbul.

Im Video: Nach dem schweren Erdbeben im Osten der Türkei kämpfen die Opfer mit den Folgen des Bebens

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© SZ vom 09.03.2010/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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