Erbgutanalyse in der Schwangerschaft:Aus einem Tropfen Blut

Wissenschaftlern ist es gelungen, fast das gesamte Erbgut eines Ungeborenen aus dem Blut der Mutter zu entziffern. Die Methode könnte zur vorgeburtlichen Erbgutanalysen taugen - und löst ethische Bedenken aus.

Christina Berndt

Eine Mutter verbindet mit ihren Kindern mehr, als gemeinhin angenommen wird. Selbst ihr Blut gehört einer Frau nicht mehr allein, wenn sie einmal schwanger war. Dann nämlich schwimmen in ihrem Lebenssaft oft bis ans Ende ihrer Tage einzelne Zellen ihres Nachwuchses herum.

Tropfen Blut auf Fingerspitze

Tropfen Blut auf Fingerspitze Tropfen Blut auf Fingerspitze

(Foto: iStockphoto.com)

Während einer Schwangerschaft sind es sogar so viele, dass rund zehn Prozent des Erbguts im Blut einer Frau von ihrem Kind stammen. Denn ständig werden über den Kreislauf der Mutter alte Zellen des Kindes entsorgt.

Wer schon früh in die Gene eines Kindes blicken will, dem würde theoretisch also eine Blutprobe der Mutter genügen. Erste erfolgreiche Versuche hat es bereits gegeben. So konnte Stephen Quake von der Stanford University in einer Pilotstudie vor zwei Jahren anhand von Mutters Blut das Down-Syndrom von Ungeborenen diagnostizieren, und in den Niederlanden stehen Ärzte kurz davor, Rhesusunverträglichkeiten auf diese einfache Art routinemäßig zu testen.

Trotzdem verschlägt selbst Kennern der Szene die Sprache, was nun Dennis Lo von der Chinese University in Hongkong gelungen ist: Sein Team konnte fast das gesamte Erbgut eines Fötus aus dem Blut seiner Mutter fischen. Lo sequenzierte 94 Prozent der kindlichen DNS, berichtet er im Fachblatt Science Translational Medicine (online).

"Das ist sagenhaft", sagt Sinuhe Hahn vom Universitätsspital Basel. "Es zeigt, dass das gesamte Genom des Kindes im Blut der Mutter vorhanden ist, von A bis Z." Noch dazu fanden die Forscher aus Hongkong "die Nadel im Heuhaufen", wie Hahn sagt: Sie entdeckten, dass das Kind zwar von seinem Vater einen Gendefekt für die Beta-Thalassämie geerbt hatte, bei der die Bildung der roten Blutkörperchen gestört ist; von seiner Mutter trug es aber ein gesundes Gen und würde die Krankheit daher nicht bekommen.

Die Technik könnte eines Tages die ebenso unangenehmen wie riskanten Prozeduren überflüssig machen, welche heutzutage für vorgeburtliche Erbgutanalysen genutzt werden und bei denen Frauen eine Nadel durch den Unterleib bis in die Gebärmutter gestochen wird. In einer von hundert solcher Fruchtwasseruntersuchungen oder Chorionbiopsien wird ungewollt der Tod des Ungeborenen herbeigeführt. Viele Schwangere lassen sie trotzdem über sich ergehen, weil sie wissen möchten, ob ihr Kind Anlagen in sich trägt, die es krank machen. Nicht wenige entscheiden sich dann für eine Abtreibung.

Es seien schwerwiegende Konsequenzen, die sich da aus einem einfachen Bluttest ergeben, gibt Sinuhe Hahn zu bedenken. "Diese Technik ist so revolutionär, dass wir dringend ethische Diskussionen darüber benötigen, wofür sie angewendet werden sollte", sagt er. "Möchte man wirklich all das wissen, was man lesen kann?"

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