Entlarvt:In der Lüge liegt die Wahrheit

Warum es so schwierig ist, Lügner zu erkennen, und mit welchen Methoden es Fachleuten doch gelingt.

Patrizia Odyniec

Die Lüge ist so alt wie die Menschheit. Bereits in der Bibel gibt es etliche Erzählungen über Lug und Trug. Und am Ende kommt manchmal ein Held, der durch Geschick und Cleverness alles aufdeckt.

Im Detail verrät sich der Lügner

Im Detail verrät sich der Lügner.

(Foto: Foto: photodisc)

In der Geschichte von Susanna im Bade ist das Daniel. Nachdem die junge Frau zu Unrecht des Ehebruchs angeklagt wurde, befragt Daniel die angeblichen Zeugen, unter welchem Baum Susanna den außerehelichen Liebesakt vollzogen haben soll. Die Antworten sind unterschiedlich - die Lüge entlarvt.

Daniels Trick spiegelt die Grundlage der heutigen Glaubhaftigkeitsdiagnostik wider: "Personen die etwas erlebt haben, kennen Details und können sich besser an diese erinnern", sagt Siegfried L. Sporer von der Universität Gießen.

Deshalb ist es eine Möglichkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen, indem man Aussagen auf Widersprüche und mangelnde Detailkenntnisse hin überprüft, so Sporer, der seit Jahren zum Thema Lügen forscht.

Die Wahrheit liegt also in der Lüge selbst. Doch kann man nicht auch am Verhalten eines Menschen erkennen, ob er die Unwahrheit sagt?

Wenn der Reis im Hals stecken bleibt

In China gab es früher eine interessante Methode, mit der Lügner überführt werden sollten: Verdächtige Personen mussten ungekochten Reis herunterschlucken. Gelang es ihnen nicht, weil ihr Mund zu trocken war, galten sie als schuldig.

Was sich anhört wie Hokuspokus, ist ein veraltetes Pendant zum modernen Lügendetektor. Beide Methoden arbeiten mit dem sogenannten Erregungsansatz. Schwitzige Hände, ein trockener Mund, noch dazu ein roter Kopf - all das spricht dafür, dass der Betroffene erregt ist. Weil er lügt, so die Annahme.

Darauf setzen auch Talkshows, die Lügendetektoren einsetzen, um zum Beispiel Ehebrüche zu beweisen. Die Folgen: Beziehungen zerbrechen, Freundschaften enden.

Aber geht das Lügen tatsächlich mit auffälliger Aufgeregtheit einher? Die Wissenschaft sieht das kritisch. Denn: Erregung ist zu unspezifisch: Man kann gar nicht sagen, ob eine Person aufgeregt ist, weil sie lügt, oder weil sie Angst hat, fälschlich verdächtigt zu werden. Lügendetektoren sind unter anderem auch deshalb an deutschen Gerichten nicht zugelassen.

Das Märchen vom Zappel-Philip

Umfangreiche Studien haben ergeben, dass in fast allen Kulturen die gleichen Annahmen über Lügen gemacht werden.

Viele Menschen glauben demnach, Wegzuschauen sei typisch fürs Flunkern. Das stimmt jedoch nicht, sagt der Professor für Sozial- und Rechtspsychologie: "Es konnte nicht festgestellt werden, dass Menschen den Augenkontakt vermeiden, während sie lügen. Einige tun dies aus Unterwürfigkeit gegenüber einer Autoritätsperson."

Eine weitere Annahme ist, dass lügendene Personen zappeliger sind, unruhiger wirken, als jene, die die Wahrheit sagen. Auch dies ist ein Irrtum, wie Sporer weiß: "Es konnte kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Bewegungen und der Tatsache, ob jemand lügt oder nicht, gefunden werden."

Und Stottern sei ebenfalls kein sicherer Indikator für Lügen, sagt der Wissenschaftler, sondern spiegele oft nur das Gefühl der Unsicherheit eines Beschuldigten wider.

Der Wahrheit ins Auge blicken

Wer auf die gängigen Klischees vertraut, lässt sich von einem geschickten Lügner sogar umso leichter hereinlegen. Schließlich kennen auch viele Lügner die verbreiteten Annahmen und versuchen deshalb, besonders ruhig zu wirken. "Oder sie blicken uns dreist ins Auge", erklärt Sporer. Häufig mit Erfolg.

Deshalb lässt sich das Pferd auch von hinten aufzäumen. Wenn Personen sich betont lässig zeigen, viel Augenkontakt suchen, Fragen schnell und sicher beantworten - also sich genau entgegen dem Lügnerklischee verhalten, dann lohnt es sich näher hinzuschauen. Vielleicht wird man gerade belogen.

Doch "die Unterschiede sind sehr klein", so der Professor. "Es gibt kein Patentrezept", fasst er zusammen. Und feststellen, ob jemand lügt oder nicht, das kann auch er nach jahrelanger Forschung nicht so einfach: "Ich habe ebenfalls Angst vom Autohändler über den Tisch gezogen zu werden."

Das Columbo-Prinzip

Ist man einem Lügner auf der Spur, macht es deshalb manchmal mehr Sinn, sich wie TV-Kommisar Columbo zu verhalten:

Nichtsahnend wirken, gut beobachten und der Person auf keinen Fall das Gefühl vermitteln, dass man sie verdächtigt. Am Ende leicht verwirrt wirken, umkehren, und die entscheidende, verblüffende Frage stellen. Der Lügner fühlt sich sicher und verrät sich schneller.

Beschuldigungen und provokante Fragen hingegen können genau das Gegenteil bewirken. Gerade falsche Verdächtigungen können nämlich ein Verhalten hervorrufen, welches wir als typisch für Lügner empfinden.

Lügen bei Mensch und Tier

Ob eine Welt ohne Lügen besser wäre? Aus sozialpsychologischer Sicht könne man das nicht sagen, erklärt Sporer, da ist wohl eher ein Philosoph gefragt. Aber man habe festgestellt, dass Lügner einen leichten evolutionären Vorteil haben.

Was so stark in der Natur - nicht nur des Menschen - verankert ist, muss schließlich einen Sinn haben. Es geht vor allem darum, die Konkurrenz auszutricksen - mit dem Ziel, sich den Zugang zu Ressourcen zu sichern.

Das findet man schon bei Tieren. Es fängt bei dem Paviankind an, das durch unprovozierte Hilfeschreie die Mutter gegen einen völlig unschuldigen Mit-Affen aufbringt, um an dessen Leckereien zu gelangen. Und es hört bei dem Vogel nicht auf, der durch betrügerische Alarmrufe alle Artgenossen in die Flucht schlägt, um allein an eine verlockende Nahrungsquelle zu gelangen.

Beim Menschen ist dieses egoistische Verhalten gesellschaftlich geächtet und vom moralischen Zeigefinger überschattet.

Schließlich möchte man selbst nicht belogen werden. Da einigt man sich besser darauf, dass niemand lügt - und sieht zu, dass man nicht erwischt wird, wenn man es doch tut.

Doch es gibt noch eine andere Seite der Lüge. Während man etwa als Kind beigebracht bekommt, man müsse immer die Wahrheit sagen, wurde man schon etliche Male belogen: Weder der Weihnachtsmann noch die Zahnfee haben viel mit der Wahrheit zu tun. Doch wirklich verwerflich findet diese Lügen vermutlich kaum jemand.

Und außerdem erfüllt Lügen nicht nur eine biologische, sondern auch eine soziale Funktion: "Lügen erleichtert das Zusammenleben, selbst wenn alle Beteiligten wissen, dass gerade gelogen wird", so Sporer.

Vielleicht ist Lügen sogar notwendig im Umgang mit anderen. Schließlich schickt es sich nicht, zuzugeben, dass man die neue Freundin vom besten Freund sehr sexy findet. Da würde die Wahrheit nur irritieren.

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