Energiegewinnung:Sprit aus Licht

Mit künstlichen Blättern wollen Forscher die pflanzliche Photosynthese nachahmen und Sonnenstrahlen in Treibstoff verwandeln.

Hanno Charisius

Michael Beard ist ein schwer übergewichtiges Ekelpaket. Ein britischer Nobelpreisträger mit Bindungsproblemen, der sich mitschuldig macht am Tod des einen Liebhabers seiner Frau und dem zweiten Geliebten den Unfall als Mord in die Schuhe schiebt. Vor allem aber stiehlt er dem Toten eine Idee, die nicht weniger als alle Klima- und Energieprobleme der Welt lösen könnte.

Grumsiner Forst ist Weltnaturerbe

Jedes Blatt ist ein Kraftwerk der Natur: Es fängt Sonnenlicht ein und speichert dessen Energie. Wenn es gelänge, diesen Prozess der Photosynthese technisch nachzuahmen, hätte die Menschheit ein Problem weniger.

(Foto: dpa)

Dieser Beard ist eine Romanfigur des britischen Schriftstellers Ian McEwan, er spielt in dem Buch "Solar" die fragwürdige Heldenrolle. Doch die weltrettende Erfindung, die McEwan beschreibt, gibt es tatsächlich. Sie entsprang dem Hirn des Chemikers Daniel Nocera, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston, der ansonsten keine Ähnlichkeit mit der Romanfigur hat.

Streng genommen war es auch nicht Noceras Idee, sondern eine mehr als zweieinhalb Milliarden Jahre alte Erfindung der Natur. Sie ermöglicht es Pflanzen, Algen und vielen Bakterien, Sonnenlicht einzufangen und dessen Energie in chemischen Verbindungen wie Zucker zu speichern. Nocera hat einen Weg gefunden, einen Teil dieser sogenannten Photosynthese technisch nachzuahmen. Bei ihm entsteht jedoch nicht Zucker, sondern Wasserstoff. Das Gas kann, wenn es sich mit Sauerstoff aus der Luft wieder zu Wasser verbindet, sehr viel Energie freisetzen, die etwa in Motoren oder Brennstoffzellen genutzt werden kann.

In jeder Stunde trifft mit dem Sonnenlicht mehr Energie auf die Oberfläche der Erde, als wir Menschen in einem Jahr verbrauchen", sagt Nocera. "Wir benötigen also nur einen kleinen Teil davon." Gegenüber herkömmlichen Solarzellen hätte die künstliche Photosynthese den Vorteil, dass sie nicht nur Strom liefert, wenn die Sonne scheint, sondern Energieträger produziert, die sich speichern lassen. Weil das verlockend klingt, versuchen mittlerweile Labore auf der ganzen Welt, die Tricks der Natur nachzuahmen. Großbritannien hat eine eigene Initiative ausgelobt, japanische Teams sind erfolgreich bei der Entwicklung neuartiger Solarzellen, das amerikanische Energieministerium investiert 122 Millionen Dollar über fünf Jahre in ein "Zentrum für künstliche Photosynthese" in Kalifornien. Auch in Deutschland befassen sich viele Arbeitsgruppen mit dem Thema, etwa die von Alfred Holzwarth, Professor am Max-Planck-Institut für Bioanorganische Chemie in Mülheim an der Ruhr, wo in der kommenden Woche eine Photosynthese-Tagung stattfindet.

So viele Forscher es in diesem Feld gibt, so viele verschiedene Ansätze verfolgen sie. Dabei wird es aber nicht so sein, dass einst künstliche Blätter im Sommerwind rascheln so wie die natürlichen Vorbilder. Viel wahrscheinlicher werden Photosynthese-Module aussehen wie gewöhnliche Solarzellen, vielleicht auch wie Luftpolsterfolie, die man als Verpackungsmaterial kennt. Manche Forscher denken auch an Anstriche für Häuser oder gar photosynthetische Autolacke.

Künstliche Blätter werden nicht aussehen wie ihre natürlichen Vorbilder, aber ihre Funktion ist von der Natur inspiriert, um die größte Energiequelle der Welt - die Sonne - anzuzapfen", sagt Nathan Lewis, Chemie-Professor am California Institute of Technology in Pasadena, Kalifornien, der das amerikanische 122-Millionen-Dollar-Projekt leitet. Es geht also nicht darum, die Tricks der Natur eins zu eins nachzuahmen. Auch Alfred Holzwarth aus Mülheim benutzt den Begriff "künstliche Photosynthese" zurückhaltend, er spricht eher von "verschiedenen Möglichkeiten, Sonnenenergie in Energieträger zu verwandeln".

Wasserstoff wäre ein solcher Energieträger. Auch natürliche Grünpflanzen produzieren ihn, wenngleich er niemals gasförmig in ihren Zellen auftaucht. In einem frühen Zwischenschritt auf dem langen Weg vom Sonnenlicht zum Zucker spalten Pflanzen Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff, die dann von der Photosynthesemaschinerie weiterverarbeitet werden. So kam Daniel Nocera auf die Idee, die Wasserspaltung nachzuahmen.

Nach einer Reihe wenig erfolgreicher Versuche rührte der Chemiker 2008 Kobalt- und Phosphatpulver in einen Wasserbecher, hängte zwei Elektroden in das Gemisch, setzte das ganze unter Strom. Bald stiegen verheißungsvolle Wasserstoffbläschen auf. Dieses Prinzip der Elektrolyse, bei der Wassermoleküle mit Elektrizität in ihre Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerrissen werden, ist zwar seit mehr als 200 Jahren bekannt. Doch Noceras Pulvermischung machte das Verfahren wie mit einem Zaubertrick schlagartig effizienter und billiger.

Das ist vielleicht nicht der leistungsfähigste Weg, Wasser zu spalten, aber es ist der billigste und robusteste, den wir bislang kennen", sagt der Chemiker. Mit robust meint er, dass sein System über Monate hinweg ohne Leistungsabfall funktioniert; sogar wenn er Wasser aus dem Charles River verwendet, der die Universitätsstadt Cambridge von der Metropole Boston trennt. Wer den Fluss einmal gesehen hat, in den selbst im Sommer nur Verrückte springen, weiß diese Tatsache zu würdigen.

Noceras reaktionsbeschleunigendes Kobalt-Phosphat-Gemisch lagert sich als Schicht an eine der Elektroden an, zerbröselt in regelmäßigen Abständen und baut sich dann wieder selbständig auf. "Selbstheilungskräfte", attestiert Nocera seinem Katalysator. Wie genau dieser die Wasserspaltung bewerkstelligt, weiß er allerdings noch nicht. In einer Pflanzenzelle ist dafür ein Gitter aus vier Mangan- und noch ein paar weiteren Atomen zuständig. Einige Bakterien benutzen Kobalt statt Mangan für diese Aufgabe, was Nocera vermuten lässt, dass sich in seinem Katalysator Ähnliches abspielt.

"Deutlich effizienter als ein echtes Blatt"

Ginge es nach dem MIT-Professor, würde schon bald auf jedem Hausdach ein etwa zwei Quadratmeter großes Modul sitzen, das permanent Wasser spaltet und das das Spaltprodukt Wasserstoff in einen kleinen Tank speichert, wo er zum Kochen oder zur Erzeugung von elektrischem Strom bereitsteht - vor allem abends und nachts oder zu anderen Zeiten, an denen mehr Energie benötigt wird, als die Sonne gerade liefert. Mit Unterstützung des indischen Milliardärs Ratan Tata will Nocera noch in diesem Jahr erste Prototypen auf indische Dächer bringen. Vier Liter Wasser und Sonne sollen dann genügen, um den täglichen Energiebedarf einer Familie zu decken, hat der Chemiker ausgerechnet.

Der Strom für die Wasserspaltungsapparate in Indien soll aus billigen Solarzellen stammen. "Wir brauchen nicht die leistungsfähigsten Zellen, weil wir nur sehr geringe Ströme brauchen." Das senke die Kosten, wenngleich der Preis von zwanzig Dollar, der ihm für das gesamte System vorschwebt, derzeit noch utopisch ist.

Funktionierende Geräte können die anderen Labore indes noch nicht anbieten. "Wir werden die ersten Prototypen innerhalb der nächsten zwei Jahre irgendwo in der Welt installieren", sagt etwa Nathan Lewis. Mit welcher Technologie er das Versprechen erfüllen wird, ist allerdings offen. "Wir wissen auch, dass sie nicht sehr gut funktionieren werden. Aber wir müssen sie bauen und vielleicht vier weitere Generationen entwickeln und immer weiter verbessern, um endlich zu einer sechsten zu kommen, die brauchbar ist."

Die Trennung von Lichteinfang und Stromerzeugung einerseits sowie der Wasserspaltung andererseits, die Noceras System vorsieht, macht es leicht, das aus der Flüssigkeit blubbernde Wasserstoffgas einzufangen. Eleganter wäre es, sämtliche Stufen in einer Apparatur zu vereinigen. Diesem Ziel ist der MIT-Chemiker mit einem weiterentwickelten Wasserspaltungsprototypen einen Schritt näher gekommen. Der sieht aus wie eine grau eingefärbte Spielkarte und ähnelt somit dem Ideal eines pflanzlichen Blattes bislang am meisten.

Anfang Juni dieses Jahres berichtete seine Arbeitsgruppe im Fachjournal PNAS über diese erste Verschmelzung von Lichteinfang und Wasserspaltung zu einer technischen Einheit. Die Forscher nahmen einfach ein Stück einer handelsüblichen Solarzelle und brachten ihren Katalysator auf deren Rückseite auf. Wird dieses flache Modul in ein Wasserglas gesteckt, das in der Sonne steht, steigen sogleich kleine Gasperlen auf - keine externe Stromquelle ist mehr notwendig und auch keine Verkabelung.

"Unser Modul ist deutlich effizienter als ein echtes Blatt", sagt Nocera. Das klingt grandios, allerdings verwandeln Pflanzen auch nur maximal drei Prozent - und meist viel weniger - des einfallenden Sonnenlichts in Energieträger. Sein "künstliches Blatt" ist zudem so weit von einem kommerziellen Produkt entfernt, dass Nocera nicht einmal einen Zeitraum oder einen Preis nennen mag.

Photosyntheseforscher Alfred Holzwarth hält Noceras Entwicklung dennoch für einen interessanten Ansatz, insbesondere für Länder ohne zentrale Energieversorgung. Doch heutige Transportmittel und auch die Industrie können mit Wasserstoff als Treibstoff bislang wenig anfangen. Sie sind auf fossile Energieträger wie Benzin, Diesel oder Kerosin ausgerichtet. Deshalb hält Max-Planck-Forscher Holzwarth es für wichtig, Wege zu erforschen, um Sonnenlicht direkt in Benzin oder Diesel oder zumindest in chemische Vorstufen fossiler Brennstoffe zu verwandeln.

Diese Flüssigkeiten sind meist Verbindungen aus Wasserstoff und Kohlenstoff. Methanol, der einfachste Flüssigbrennstoff mit nur einem Kohlenstoffatom, könnte nach Holzwarths Ansicht mit elektrochemischen Methoden wie der von Nocera herstellbar sein. Um allerdings weitere Kohlenstoffatome hinzuzufügen, um etwa Ethanol zu erhalten oder größere Moleküle, wie sie im Benzin enthalten sind, bräuchte es sehr viel Energie. "Dafür haben wir noch keine guten Katalysatoren", sagt Holzwarth. "Ethanol ist ein sehr interessanter Energieträger, aber vermutlich werden wir mehr auf biologischem Wege erreichen als mit anderen Methoden." Moleküle mit mehreren Kohlenstoffbindungen zu schaffen, sei eine Stärke der Natur. Deshalb würde er auf gezüchtete Bakterien als Lieferanten für solche Treibstoffe setzen.

Auch Nathan Lewis aus Kalifornien glaubt, Wasserstoff sei höchstens ein Zwischenschritt auf dem Weg zu energiereicheren Treibstoffen. Auf welchen Stoff es schlussendlich hinauslaufe, weiß er noch nicht. Hauptsache, der Sprit ist leicht transportierbar, möglichst kompatibel mit der bestehenden Infrastruktur aus Raffinerien, Tankstellen und Flüssigkeitentanks in Autos sowie nachhaltig und sicher zu produzieren.

Nocera erwidert, sein kalifornischer Kollege werde den Wasserstoff noch brauchen, und er visioniert: "Ich bete, dass sie einen Weg finden, Wasserstoff mit Hilfe von Licht mit Kohlendioxid zu verbinden. Das würde eine Menge Probleme lösen. Wir würden das Treibhausgas aus der Atmosphäre rausholen können, und ich müsste mir keine Gedanken mehr machen, wie ich den erzeugten Wasserstoff speichere." Für dieses Problem hat aber nicht einmal die Romanfigur Michael Beard eine Lösung parat.

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