Elternzeit:Neu starten mit frischem Wissen

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Fortbildungen sollen dabei helfen, Ärztinnen nach der Babypause die Rückkehr in den Job zu vereinfachen.

Von Verena Wolff

Ganz oder gar nicht - das war die Option für die Assistenzärztin Sandra Braun, als sie sich im Jahr 2004 nach abgeschlossenem Medizinstudium für eine Laufbahn als Fachärztin für Kinderheilkunde entschied. Familienzeiten sah der Beruf nicht so recht vor, auch Teilzeit ließ sich kaum realisieren. Also entschied sie sich erst mal für eine Vollzeit-Karriere - und wurde während ihrer Weiterbildung schwanger. Nach der Geburt ihres Sohnes stieg sie schnell wieder in den Beruf ein, "vor allem, um den Anschluss nicht zu verlieren", sagt sie. Während ihrer zweiten Schwangerschaft legte sie ihre Prüfung zur Fachärztin ab - und nahm auch nach der Geburt ihrer Tochter nur rund ein Jahr Auszeit, ehe sie den weißen Kittel wieder überstreifte und an ihren Arbeitsplatz in einem bayerischen Krankenhaus zurückkehrte. In Teilzeit. Ein stressiger Job, doch immerhin hat sie eine Stelle mit weniger als dem vollen Stundenkontingent bekommen.

"Das Hauptproblem für Medizinerinnen ist, dass wir immer noch in unseren alten Rollen hängen", sagt die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Christiane Groß. Zwar habe sich die Lage vielerorts schon gebessert, doch an vielen Kliniken fehlen noch immer Teilzeitstellen und eine Kinderbetreuung für den Medizinernachwuchs, der mit den Arbeitszeiten kompatibel ist. "Der Fachkräftemangel ist in deutschen Kliniken spürbar", sagt Anke Lasserre, Geschäftsführerin des Westküstenklinikums. Sie selbst ist Mutter von fünf Kindern und weiß, wie schwierig es ist, Stellen und vor allem Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. "Grund dafür sind vor allem die veralteten hierarchischen Strukturen und die Unvereinbarkeit von Familie und Karriere innerhalb der Unternehmen und Kliniken", sagt sie.

Chefarztpositionen in deutschen Kliniken sind nur zu acht Prozent mit Frauen besetzt, obwohl zwei Drittel der Studienanfänger im Fachbereich Humanmedizin weiblich sind. Der Schwund an bestens ausgebildeten Frauen ist also immens, dabei werden die Ärztinnen gebraucht - sowohl in Kliniken als auch in Praxen. "Im Wettbewerb um die besten Mediziner kommt es darauf an, sich mit innovativen Konzepten zu präsentieren", sagt Lasserre, die bereits seit Jahren Programme auflegt, um Medizinerinnen nach der Familienpause schnell wieder in den Job zu bringen.

In Online-Kursen können sich junge Medizinerinnen zeit- und ortsunabhängig weiterbilden

Dazu braucht es aus ihrer Sicht zweierlei: Motivation und Unterstützung, damit Mütter die Babypause gar nicht erst lang werden lassen. "Mit Fort- und Weiterbildung nach längerer Berufspause und Mentorenkonzepten können sie den Wiedereinstieg fördern", sagt sie. Wichtig sei aber auch, mit familienorientierten Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsangeboten den Einstieg zu unterstützen. Und: Unterbrochene Karrieren müssten akzeptiert und als wertvoll anerkannt werden.

Einer Studie der Bundesärztekammer zufolge sind in Deutschland mehr als 100 000 Ärztinnen und Ärzte nicht berufstätig - unterschiedlich lange und aus unterschiedlichen Beweggründen, wie Groß sagt. Darauf reagieren Kliniken mit eigenen Wiedereinstiegsprogrammen, aber auch die Ärztekammern und verschiedene andere Anbieter helfen Medizinern bei ihrem Weg zurück in den Beruf. "Das Know-how darf nicht verschwinden", sagt Elisabeth Borg, zuständig für die Akademie für medizinische Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Seit 15 Jahren finden dort ein Mal im Jahr zweiwöchige Kurse statt, in denen Ärztinnen und Ärzte ihr Wissen interdisziplinär auffrischen können.

"Das ist ein Update über alle Gebiete hinweg, Wissen wird in konzentrierter Form vermittelt." Referenten besprechen konkrete Krankheitsbilder und diskutieren Fallbeispiele. "Bei der Programmkonzeption wurde besonderer Wert auf einen engen Bezug zum Klinik- oder Praxisalltag gelegt", sagt Borg. Auch andere Kammern bieten diese Kurse an, "oftmals sind sie schon lange im Voraus ausgebucht", sagt Christiane Groß. Wichtig sei auch das Netzwerken bei diesen Veranstaltungen, zudem könne man im Anschluss in einer Praxis oder einer Klinik zu hospitieren. Denn: "Der Weg zurück ist nicht nur organisatorisch eine Umstellung, sondern in einem Fach wie der Medizin, in dem das Wissen stetig zunimmt, auch inhaltlich eine Herausforderung", sagt Gisela Albrecht, Geschäftsführerin der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen, welche ebenfalls Wiedereinstiegsseminare anbietet.

Dem wollen Kammern und Verbände künftig vermehrt mit Möglichkeiten zum E-Learning abhelfen, so dass sich Ärztinnen auch in einer Auszeit zeit- und ortsunabhängig weiterbilden können. "Am besten ist natürlich, wenn man in seinem Fach immer dranbleibt und keine großen Wissenslücken entstehen lässt", sagt Groß.

Anke Lasserre geht in ihrer Klinik noch einen Schritt weiter. "Das Konzept 'Zurück in den Kittel' erleichtert den Wiedereinstieg durch ein dreistufiges Programm mit einem strukturierten Fort- und Weiterbildungskonzept, das von Mentoren in der Klinik begleitet wird", erläutert sie. Dabei hat jede Teilnehmerin einen persönlichen Ansprechpartner für die gesamte Dauer des Wiedereinstiegs. "Im Rahmen des Programms wird auf die individuelle Entwicklung der Teilnehmer Rücksicht genommen, die Qualifikation und das Fachwissen werden stufenweise aufgefrischt." Und: Die Teilnehmer können sich in Teilzeit fortbilden.

Und dann bleibt noch die Frage: Klinik oder Praxis? Angestellt arbeiten mit einem festen Stundenkontingent oder selbständig mit allen Kosten und Risiken? "Da gehen die Meinungen von Müttern auseinander", sagt Christiane Groß. Für die eine Ärztin ist die Festanstellung in einem Krankenhaus der bessere Weg, anderen halten mehr von der Flexibilität als niedergelassener Arzt. "Das muss zu dem einzelnen Mediziner, zum Lebensentwurf und zu der Fachrichtung passen." Die Kassenärztliche Vereinigung jedenfalls hat bereits auf die verschiedenen Anforderungen reagiert, die vor allem jüngere Ärztinnen und Ärzte inzwischen haben: Sie können auch eine Teilzulassung bekommen, bei der der Versorgungsauftrag auf die Hälfte der hauptberuflichen Tätigkeit reduziert ist.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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