Eldorado:Der Mythos vom vergoldeten Mann

Graben Archäologen erfolgreich im Amazonas-Gebiet, ist schnell vom Eldorado die Rede. Dabei sind ihre Funde auch ohne die Legende faszinierend.

M. Zick

Manche Reize lösen die immer gleichen Reflexe aus. Berichten Archäologen zum Beispiel von Funden im Dschungel Südamerikas und fallen dabei Begriffe wie "Stadt", "Geheimnis" und "Amazonas", dann wird zuverlässig Eldorado assoziiert. Seit die spanischen Eroberer vor 500 Jahren vergeblich nach der goldenen Stadt in den dichten Wäldern Amazoniens suchten, wird die Eldorado-Legende erzählt - und von vielen ernst genommen. Manchen Archäologen kommt das Märchen von der goldenen Stadt nicht ungelegen. Sie setzen die Legende ein, um Aufmerksamkeit auf ihre Forschungen am Amazonas zu lenken - die eigentlich auch ohne den Eldorado-Mythos beachtenswert wären.

Bei wichtigen Funden im Regenwald Amazoniens versicherten Wissenschaftler zuletzt oft ungefragt, ihre Entdeckung habe gar nichts mit Eldorado zu tun - und schon war das Reizwort in die Diskussion eingebracht. So auch jüngst bei der brasilianischen Archäologin Denise Schaan, die in gerodeten Arealen des amazonischen Urwaldes riesige Strukturen entdeckte. "Ich glaube nicht, dass dies etwas mit Eldorado zu tun hat," gab sie zu Protokoll. Folgerichtig war das Interesse groß, und zahlreiche Berichte über ihre Arbeit enthielten Phrasen wie: "Der Traum vom sagenhaften Goldland Eldorado."

Eldorado - "Der Vergoldete" - war ein Ritual bei einem Indio-Stamm in Amazonien, bei dem jeder neue König vor seiner Thronbesteigung mit Goldstaub bepudert auf einem Gold-Floß in die Mitte eines heiligen Sees fuhr, um dort Edelsteine, Geschmeide und Goldgefäße im Wasser zu versenken. So zumindest erzählte das 1537 ein Indio einem spanischen Offizier, ein radebrechender Übersetzer vermittelte. Wann und vor allem wo das Gold angeblich versenkt wurde, das Abenteurer in den heutigen Staaten Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Brasilien und Bolivien so lange suchten, das verschweigt die Legende.

Nach Gold suchen die brasilianischen, US-amerikanischen und deutschen Archäologen nicht, die in den vergangenen Jahren in Nordwestbrasilien und Bolivien geforscht haben. Aber ihre Funde sind ein wertvoller Schatz für die archäologische Forschung. So stießen die Wissenschaftler eine Lehrmeinung vom Sockel: Lange Zeit galt es als sicher, dass in Südamerika nur die Inka im Anden-Hochland eine Hochkultur hatten.

Schon die Inka hielten die Bewohner des unzugänglichen Amazonas-Gebiets für Barbaren. Und auch die spanischen Eroberer hatten keine höhere Meinung von den dortigen Menschen. Als Mitte des 20. Jahrhunderts die gigantischen Abholzungen des Regenwaldes den Blick auf den Boden freigaben, kamen erste Belege für Sesshaftigkeit und Bodenbearbeitung zum Vorschein. Das Pendel schlug zur anderen Seite aus: Schnell bildete sich die Meinung, dass es im Tiefland östlich der Anden zwischen 400 und 1400 nach Christi Geburt eine Zivilisation, gar eine Hochkultur gegeben habe. Vor allem von amerikanischen Archäologen wurde gern und vehement die These von großen Städten und komplexer Staatlichkeit verfochten. Manche sahen die angeblichen Tiefland-Barbaren als Taktgeber für die Entwicklung im Anden-Hochland. Andere raunten zuverlässig vom Eldorado.

Heiko Prümers arbeitet seit zwölf Jahren im bolivianischen Tiefland. Der Archäologe des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) untersucht auffällige Hügel in der topfebenen Landschaft und macht dabei erstaunliche Funde. Zwei Meter hohe und 100 Meter lange künstliche Erdaufhäufungen und Siedlungsplattformen aus der Zeit um 1000 nach Christus signalisieren planvolles Handeln einer entwickelten Gesellschaft. Näheren Aufschluss über die unbekannten Menschen der Zeit und der Region erhofft sich Prümers von der peniblen Ausgrabung einer Siedlungplattform, die er gerade bearbeitet. In einem Grab fand er Beigaben, die auf die Bestattung eines Fürsten hinweisen. Viel weiter wagt sich Prümers mit Interpretationen aber noch nicht vor.

Entwickelte Städte im Urwald?

Anders die brasilianische Archäologin Denise Schaan, die mit ihrem Team über Luftbilder und Google Earth im Grenzgebiet zwischen Bolivien und Brasilien etwa 200 Strukturen ausfindig gemacht hat, die sie als Geoglyphen bezeichnet - kreisrunde, ovale oder quadratische Figuren mit Durchmessern von 90 bis 300 Metern. Gebildet sind sie aus elf Meter breiten Gräben, die bis zu drei Meter tief waren.

Der Aushub wurde außen vor den Gräben zu einem Wall aufgetürmt. Schaan hat die Strukturen in einem Gebiet von 250 Kilometern Durchmesser gefunden: "Wir entdecken jede Woche neue, es ist gut möglich, dass wir noch nicht einmal ein Zehntel gefunden haben", begeistert sich die brasilianische Archäologin. Das Alter der Erdbauten schätzt sie auf 700 bis 1800 Jahre. "Die Funktion bleibt ein Geheimnis", sagt Schaan, es könne sich um Verteidigungs- oder Zeremonialanlagen handeln.

Ebenso verblüffend sind die Entdeckungen des amerikanischen Archäologen Michael Heckenberger von der Universität Florida. Seine Entdeckungen am Amazonas-Nebenfluss Xingu heizten Spekulationen über große, entwickelte Städte im Urwald an. Heckenberger selbst spricht zurückhaltender von "Gartenstädten", denen er jedoch eine höhere Urbanität zuspricht als europäischen Städten des Mittelalters.

Der Archäologe gewann seine Erkenntnisse bei Ausgrabungen vor Ort, wobei er auf ein Cluster hierarchisch organisierter Siedlungen stieß, die mit einem geradlinigen Straßennetz verbunden waren. Zwei solcher Ballungsräume mit Zentralort und umliegenden Satellitensiedlungen hat er genauer untersucht. Einer der beiden Zentralorte war mit einem zehn Meter breiten äußeren und einem Palisaden-bewehrten inneren Graben umgeben. Eine 20 bis 40 Meter breite Straße führte schnurgerade in die fünf Kilometer entfernte "Gartenstadt". Das eine Zentrum bezeichnet Heckenberger als Zeremonialort, das andere als Wohnstadt - warum, belegt er nicht näher. Im gesamten Gebiet, so rechnet Heckenberger hoch, "könnten vor Ankunft der Europäer 30.000 bis 50.000 Menschen gelebt haben". Das Alter der Siedlungen schätzt er auf 450 bis 750 Jahre.

Amazonien war also tatsächlich weit mehr als nur undurchdringliche Wildnis. Aber was sich dort einst ereignete, darüber kann nur spekuliert werden: Denn Heckenbergers Funde - und erst recht die der Brasilianerin Schaan - haben das Manko, dass sie nicht sicher datiert sind, die Spannbreite von 1000 Jahren und mehr ist für wissenschaftlich haltbare Interpretationen entschieden zu groß. Beide können nichts über Leben, Verhalten und Fertigkeiten der Menschen berichten; sie haben bislang keine Gräber gefunden, die etwas über die soziale Struktur der Gesellschaft aussagen. Heckenbergers Hochrechnungen zur Bevölkerung sind fragwürdig, er hat noch nicht einmal die Zahl der Häuser in seinen Siedlungen ermitteln können.

So spektakulär und wegweisend die Entdeckungen der beiden sind - es sind Einzelfunde. Daraus die Historie Amazoniens abzuleiten, käme, so der DAI-Forscher Heiko Prümers, dem Versuch gleich, "aus Funden in einem zehn Kilometer schmalen Streifen entlang von Rhein und Donau die Geschichte Europas zu rekonstruieren". Die aktuelle Datenlage erlaube keine vernünftige Theorie über das Amazonien in vorspanischer Zeit. Die aufregende Suche nach dem Goldreich Eldorado kann also vorerst weitergehen. Manchen Archäologen wird das recht sein.

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