Eisbär im Klimawandel:Tod eines Vertriebenen

Eisbär im Klimawandel: Ein Eisbär treibt auf einer Eisscholle im Arktischen Meer

Ein Eisbär treibt auf einer Eisscholle im Arktischen Meer

(Foto: iStockphoto)

Seine besondere Lebensweise hat den Eisbär zum Symboltier des Klimawandels gemacht. Experten streiten, ob die Art wirklich vom Aussterben bedroht ist. Der Fund eines verhungerten Tiers in Spitzbergen dürfte die Debatte über die Folgen der Erderwärmung neu entfachen.

Von Christopher Schrader

Fell und Knochen, viel mehr ist nicht geblieben von dem Eisbären. Geschwächt von der vergeblichen Suche nach Futter muss das einst prächtige Tier in diesem Sommer im Norden Spitzbergens verhungert sein, berichtet die Londoner Zeitung The Guardian.

"So wie er im Tode daliegt, scheint der Bär gestorben zu sein, wo er umgefallen ist", zitiert das Blatt den kanadischen Forscher Ian Stirling, der das Tier mit Mitgliedern einer Expedition Anfang Juli gefunden hat. "Offenbar hatte er kein Gramm Fett mehr am Körper." Noch im April war der Bär gesund und munter im Süden der Inselgruppe gesehen worden. Aber dann muss er nach Norden gewandert sein, um Beute zu finden. Da sich das Eis um Spitzbergen dieses Jahr sehr früh von den Küsten und Fjorden zurückgezogen hat und bereits im Winter dünn und brüchig gewesen war, konnte das Tier seine Lieblingsspeise, Ringelrobben, nirgends finden.

Achtfache Fläche Deutschlands an Eis verschwunden

Das Schicksal des Eisbären könnte der Diskussion über den Klimawandel und dessen Einfluss auf das Polarmeer neuen Schwung geben. Seit Jahrzehnten geht die von Meereis bedeckte Fläche in der Arktis wegen der globalen Erwärmung zurück. Im vergangenen Sommer hatte das Packeis einen Negativrekord aufgestellt; es waren nur noch 3,4 Millionen Quadratkilometer von Eis bedeckt, das waren 45 Prozent weniger als im Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010. Zum Vergleich: Es verschwand die achtfache Fläche Deutschlands an Eis. Auch die maximale Ausdehnung, die regelmäßig im März eines Jahres registriert wird, geht seit Jahren zurück.

Eisbären sind aber auf das Eis angewiesen, sie jagen hier im Winter Robben und fressen sich Fett an, um den Sommer an Land überleben zu können. Geht das Eis zurück, können die Bären erst später mit der Jagd beginnen und müssen früher aufhören.

Auch in diesem Sommer schmilzt das Eis schnell, nach einem Rekord sieht es allerdings nicht aus, das zeigen Daten von Forschern in Bremen und Boulder/Colorado. Das liegt vor allem daran, dass recht stabile Massen vor Alaska und Ostsibirien den deutlichen Rückgang auf der Atlantikseite, wo Spitzbergen liegt, ausgleichen.

Immer wieder gibt es Berichte über hungrige Eisbären, die verzweifelte Dinge tun. National Geographic schrieb 2011 von einem Weibchen, das 687 Kilometer durch die Beaufortsee geschwommen war, um Land zu erreichen, und dabei sein Junges verloren hatte. Ein BBC-Kameramann war Anfang dieses Jahres in seinem Versteck, einer Plexiglas-Kuppel, angegriffen worden, und der amerikanische Sender NBC zeigte im vergangenen Herbst Bilder, auf denen ein Weibchen vergeblich versuchte, einem überlegenen Männchen seine Beute streitig zu machen. In kanadischen Siedlungen finden Bewohner immer wieder Eisbären in ihren Straßen oder sogar in ihren Küchen. "Für jeden gefährdeten Bär, den Menschen beobachten können, gibt es Dutzende oder Hunderte draußen in der Wildnis, die hungern", sagt Steve Amstrup von der Organisation Polar Bear International.

Streit um die Größe der Eisbär-Populationen

Seine besondere Lebensweise hat den Eisbären längst zum Symboltier des Klimawandels gemacht, dessen Überleben als Spezies vom Kampf der Menschheit gegen Treibhausgase wie CO2 abhängt. "Unsere beste Schätzung besagt, dass die Zahl der Eisbären bis zum Jahr 2050 um zwei Drittel gesunken sein wird", sagt zum Beispiel der kanadische Forscher Andrew Derocher von der University of Alberta. Doch gerade weil der Eisbär Symbolcharakter hat, sind die Zahlen umstritten. Derochers Angabe wird von der International Union for the Conservation of Nature infrage gestellt, die die Rote Liste bedrohter Tierarten erstellt. Ihrer Analyse zufolge dürfte die Zahl der Eisbären bis 2050 um ein Drittel bis die Hälfte sinken. Sie ordnet die Art als "gefährdet" ein, die unterste von drei Stufen.

20.000 bis 25.000 Eisbären sollen noch die Arktis bevölkern. Weil das weit mehr ist, als unwissenschaftliche Beobachtungen in den 1950er- und 1960er-Jahren ergeben hatten, als die Bären zudem noch hemmungslos gejagt wurden, bestreiten manche Beobachter rundheraus, dass Eisbären in Gefahr seien. Ein weiterer Anlass für Kontroversen sind Details über die 19 Populationen rund um den Nordpol. Davon sind laut einer Übersicht des norwegischen Polarinstituts acht akut gefährdet, drei stabil, und nur eine wächst; für sieben jedoch, vor allem auf der sibirischen Seite und in Ostgrönland, fehlen Daten.

Traditionelle Jagdrechte der Inuit

Für eine dieser Regionen, den Norden und Westen der Hudson-Bay, hat aber die Regierung des kanadischen Territoriums Nunavut im April 2012 Zahlen vorgelegt. 1000 statt wie angenommen 600 Eisbären lebten dort. "Es gibt keine Krise, kein drohendes Unheil, keinen Trübsinn", sagte deshab Drikus Gissing von der Wildschutzbehörde des Territoriums zur kanadischen Zeitung Globe and Mail. Derocher erwiderte, die Zahl der gesichteten Jungtiere sei viel zu klein für eine stabile Population.

Streitereien wie diese haben es der kanadischen Regierung im Frühjahr 2013 erlaubt, eine Verschärfung des Artenschutzes abzuwehren. Auf einer Konferenz in Bangkok hatten Vertreter der amerikanischen Regierung beantragt, den internationalen Handel mit Eisbärenfellen, -zähnen und -klauen zu verbieten. Die Kanadier verwiesen auf die umstrittenen Zahlen und die traditionellen Jagdrechte der Inuit in der Arktis - und setzten sich durch.

Wie erbittert der Streit geführt wird, zeigt der Fall Charles Monnett. Der Forscher in Diensten der amerikanischen Behörde für Öl- und Gasbohrungen auf See hatte 2006 auf einem Kontrollflug über dem Meer vier ertrunkene Eisbären entdeckt und einen wissenschaftlichen Aufsatz darüber geschrieben. Der ehemalige amerikanische Vizepräsident Al Gore hatte die Beobachtung in seinen Film "Eine unbequeme Wahrheit" aufgenommen und den Eisbären zum Symbol gemacht. Nun schossen sich die Gegner auf Monnett ein. Er wurde 2010 wegen Vorwürfen suspendiert, Daten über die ertrunkenen Bären manipuliert zu haben. Erst im Herbst 2012 hat ihn sein Arbeitgeber rehabilitiert.

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