Einweihung des LHC:Oliven statt Protonen

Politiker und Physiker feiern die Einweihung des neuen Cern-Beschleunigers, dabei steht die Anlage noch monatelang still.

Patrick Illinger

Europas Physiker am Elementarteilchenlabor Cern waren am Dienstag fast ein bisschen dankbar, dass der wichtigste Teil ihrer Forschungsanlage unter der Erde liegt. So blieben die ärgerlichen Zustände in dem 27 Kilometer langen Ringtunnel des Protonenbeschleunigers LHC außer Sichtweite, während Politiker und Funktionäre aus ganz Europa eintrafen, um die Einweihung der neuen Teilchenkanone offiziell zu feiern.

Einweihung des LHC: Viel Arbeit wartet in den kommenden Monaten noch auf die Techniker am Cern. Doch die Politik feiert schon mal die neue Anlage.

Viel Arbeit wartet in den kommenden Monaten noch auf die Techniker am Cern. Doch die Politik feiert schon mal die neue Anlage.

(Foto: Foto: AFp)

Am 10. September war es gelungen, die ersten Protonen durch die kreisförmige Anlage zu jagen. Doch schon wenige Tage danach platzte die Kühlanlage und legte den gesamten Beschleuniger lahm. Nach neuesten Schätzungen wird vor Juni 2009 kein einziges Proton mehr im LHC beschleunigt.

3000 Honoratioren feiern die neue Partikelkanone

Vor diesem Hintergrund erschien es einigen Cern-Physikern bizarr, dass am Dienstag 3000 Honoratioren aufliefen, um die neue Partikelkanone mit politischen Reden und ausgefallener Gastronomie zu feiern. Doch der Termin war lange geplant, und sicher ist es fair, die Inauguration des LHC noch in die demnächst endende Amtszeit von Generaldirektor Robert Aymar zu legen, der das Projekt in den vergangenen Jahren vorangetrieben hat.

Hinzu kam aber auch, erzählt ein leitender Physiker des Cern, dass man den Eindruck vermeiden wollte, "ganz was Schlimmes" sei passiert.

Doch so ganz weit entfernt von ganz schlimm sind die Geschehnisse im Beschleunigertunnel zwischen Genfer Flughafen und französischem Jura-Gebirge nicht. Mittlerweile ist zu hören, 20 bis 30 der lastwagengroßen Magnete, die den Protonenstrahl auf eine Kreisbahn zwingen, seien beschädigt worden, als im September mehrere Tonnen flüssiges Helium in den Tunnel ausliefen. Das minus 271 Grad Celsius kalte Kühlmittel hat offenbar einen ganzen Abschnitt des Beschleungerrings tiefgefroren.

Weder ein halbes Dutzend Ministerreden noch die ausgefallene Gastronomie internationaler Spitzenköche konnten daher bei der Einweihungszeremonie eine gewisse Schwermut unter den Wissenschaftlern beseitigen. Für eine euphorische und ausgelassene Feier (zu der Physiker durchaus in der Lage sind, wie sie in der Vergangenheit bei diversen Nobelpreispartys am Cern zeigten) hätte es statt Champagnerkorken dann doch einiger Protonenkollisionen bedurft.

Häme ist angesichts der unglücklichen Umstände am Cern jedoch nicht angebracht. Der LHC ist das größte je von Menschenhand gebaute Forschungsexperiment. Wenn die Partikelschleuder eines Tages funktioniert, werden Protonen mit nie zuvor erreichter Energie auf eine Kreisbahn gejagt und an ausgewählten Punkten im Tunnel des Cern aufeinander geschossen.

An diesen Kollisionsorten wird kurzzeitig so viel Energie frei, dass der Zustand des Universums unmittelbar nach dem Urknall nachgeahmt wird. Aus Partikeln, die dieses Urfeuer ausspeit, können die Physiker Rückschlüsse auf den Bauplan des Universums ziehen.

Tröstliches Buffet

Doch der Preis ist hoch und lässt sich beileibe nicht nur in Geld bemessen. Um die Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, mussten Tausende Physiker in den vergangenen Jahren völlig neue Technologien entwickeln, beispielsweise ein Computernetz, das die Übertragungsleistung des Internets um ein Vielfaches übertrifft. Die Magnete im Ringtunnel der Anlage müssen mit flüssigem Helium auf minus 271 Grad Celsius gekühlt werden, damit die Spulen bei den nötigen Stromstärken nicht einfach verdampfen.

Bevor die ersten Protonen in dem weltweit führenden Teilchenlabor kollidieren, sind die Physiker am Dienstag nun jedoch erstmal auf ihre Geldgeber gestoßen - unter ihnen die deutsche Forschungsministerin Annette Schavan. Sogar der weithin für extravagante T-Shirts und seine Haarpracht berühmte Chef der Theoretischen Physiker am Cern, John Ellis, begrüßte die angereisten Politiker in Anzug und Krawatte.

So hatten ihn die meisten seiner Kollegen noch nie gesehen. Auch das aufgefahrene Buffet spendete einen gewissen Trost für die Physiker. Es wurde schließlich von Spezialisten der sogenannten Molekularküche erstellt, die der baskische Spitzenkoch Ferrán Adriá begründet hat. Dabei werden die atomaren Strukturen natürlicher Nahrungsmittel auf überraschende und ungewohnte Weise umgewandelt. Statt Protonenkollisionen gab es am Dienstag transformierte Olivenmoleküle. Immerhin.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: