Ehec: Suche nach Infektionsquelle:Warum die Jagd ins Nichts führt

Schneller, intensiver und besser koordiniert hätte die Suche nach dem Auslöser der Ehec-Epidemie ablaufen müssen, sagen Kritiker. Das Robert-Koch-Institut und andere Behörden wehren sich gegen die Vorwürfe - mit einigen guten Argumenten.

Markus C. Schulte von Drach

Schneller hätte man arbeiten müssen, intensiver nachforschen, überhaupt die Suche bundesweit koordinieren - viel Kritik richtet sich derzeit auf diejenigen, die den Ehec-Ausbruch bekämpfen und die Infektionsquelle aufspüren sollen.

Sprossen werden auf EHEC untersucht

Bislang wurden noch keine Sprossen entdeckt, die mit Ehec-Bakterien verunreinigt sind.

(Foto: dpa)

Schließlich hat die Epidemie mit den ersten Durchfallpatienten bereits Anfang Mai begonnen und nun, fünf Wochen später, sind 22 Menschen gestorben. 2325 Patienten sind dem Robert-Koch-Institut als Ehec-Fälle gemeldet worden, mehr als 640 dieser Patienten leiden unter dem lebensgefährlichen hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), das zu Nierenversagen und Tod führen kann.

Haben die Gesundheitsbehörden, die gerade am Anfang einer solchen Epidemie schnell reagieren müssten, geschlafen? Fehlt in Deutschland eine Organisation, bei der alle Informationen zusammenlaufen, die Maßnahmen bestimmt und der Kampf gegen die Keime kontrolliert wird?

Beim Robert-Koch-Institut (RKI) müssen alle Ehec-Fälle gemeldet werden. Die Mitarbeiter haben das Know-how, um Infektionsquellen zu suchen, damit vernünftige Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln möglich sind. Doch das hat offenbar nicht so funktioniert, wie es die Verbraucher erwarten würden.

Um zu verstehen, wie es zu der gegenwärtigen Situation gekommen ist, muss man sowohl die Entwicklung der Epidemie als auch die Verantwortung der einzelnen Behörden und Ämter in Deutschland berücksichtigen.

Anfang Mai ahnte noch niemand, dass die ersten Fälle von Durchfall den Beginn einer Ehec-Epidemie ankündigten. Schließlich waren nicht, wie sonst bei den alljährlichen Ehec-Ausbrüchen, vor allem Kinder betroffen, sondern erwachsene Frauen. Die behandelnden Ärzte mussten somit erst einmal auf die Idee kommen, ihre Patienten auf Ehec testen zu lassen. Fallen die Tests positiv aus, werden die Fälle den Gesundheitsämtern gemeldet, die dann Kontrollen vornehmen. Als Nächstes werden die zuständigen Landesstellen in Kenntnis gesetzt, die die Erkrankung schließlich an das Robert-Koch-Institut melden.

So können Tage vergehen, bevor man dort das Ausmaß einer Erkrankungswelle feststellt. Somit ist es keine Überraschung, dass erst nach mehr als zwei Wochen endlich klar war: Es handelt sich um einen ungewöhnlichen Ehec-Ausbruch. Am 19. Mai schließlich zählten die Behörden in Hamburg bereits zehn Fälle. Jetzt entschloss man sich, das Robert-Koch-Institut um Hilfe zu bitten.

Ohne diese Aufforderung hätte das Bundesinstitut gar nicht tätig werden können.

Bereits am nächsten Tag war ein Team von RKI-Experten in der Hansestadt, um Patienten zu befragen. Mit Hilfe von insgesamt 25 Betroffenen versuchten sie in stundenlangen Gesprächen herauszufinden, was sie in den Tagen vor der Infektion gegessen, wo sie sich aufgehalten, welche Restaurants oder Kantinen sie besucht, in welchen Geschäften sie ihre Lebensmittel gekauft hatten. Darüber hinaus wurden 96 gesunde Hamburger mit einem ähnlichen Lebenshintergrund als Vergleichsgruppe befragt. Weitere Fachleute des Instituts untersuchen die Ausbrüche in Lübeck und Bremen, in Frankfurt, in Schwerin.

In Hamburg kamen die RKI-Leute schließlich zu dem Schluss, dass die üblichen Verdächtigen - Rohmilch, Rohkäse oder unzureichend erhitztes Fleisch - bei der aktuellen Ehec-Welle offenbar unschuldig sind. Auch nach Sprossen wurde gefragt. Doch was die Betroffenen besonders häufig verzehrt hatten, war: Salat, Tomaten und Gurken, wie das RKI am 25. Mai berichtete.

Am selben Tag warnte Ilse Aigner, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Berlin, vor dem Verzehr dieser Lebensmittel in Norddeutschland.

Eine zweite, größere Studie der RKI-Experten in Hamburg untermauerte den ersten Verdacht. Darüber hinaus stellten sie gemeinsam mit den hessischen Gesundheitsbehörden fest: In Frankfurt hatten Mitarbeiter einer Firma siebenmal häufiger blutigen Durchfall bekommen, wenn sie von der Salattheke der Kantine gegessen hatten. Erneut deuteten die Ergebnisse auf Salat, Gurken, Tomaten.

Nachdem am 25. Mai mehrere mögliche Infektionsquellen identifiziert worden waren, konnten die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden in den Ländern und Städten gezielt entsprechende Lebensmittelproben überall dort nehmen, wo die Patienten verunreinigte Rohkost verzehrt haben könnten, oder wo sie solche Nahrung für die eigene Küche eingekauft hatten. Auch die Kühlschränke der Patienten wurden untersucht. Darüber hinaus hatten die Kontrolleure mancherorts bereits Tage vor der Veröffentlichung der Hamburger RKI-Studie begonnen, Proben zu nehmen.

Schnell wurden die Lebensmittelkontrolleure in Hamburg fündig. Drei spanische Gurken auf dem Hamburger Großmarkt und eine vierte Gurke unbekannter Herkunft aus einer Hamburger Gaststätte waren kontaminiert. Doch es handelte sich um die falschen Ehec-Bakterien.

Auf dem umgekehrten Weg

Wieso aber ist die Suche von den bekannten Ausbruchsorten wie Kantinen und Restaurants über die Angebote und Lieferscheine bisher vergeblich gewesen? "Da verliert sich die Spur vielleicht schon beim ersten Zwischenhändler", erklärt Gert Hahne vom Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Hannover. "Oder man stellt fest, der Händler hat das Produkt wiederum aus einem Großhandel, und der hat es von einem Produzenten, bei dem Sie aber keine Spur von Ehec finden."

Deshalb haben sich die Behörden in Niedersachsen auf dem umgekehrten Weg an eine mögliche Infektionsquelle herangearbeitet. "Wir haben vor etwa zwei Wochen begonnen, jeden niedersächsischen Gartenbaubetrieb zu beproben", sagt Hahne. "Gleichzeitig haben wir uns die Situationen in den Betrieben angeschaut. Vor etwa einer Woche sind die Kontrolleure in einem Betrieb in Bienenbüttel im Kreis Uelzen auf die Idee gekommen, dass Sprossen eine mögliche Infektionsquelle sein könnten. Die sind häufig im Salat, aber man erinnert sich vielleicht nicht daran."

Die Kontrolleure fanden zwar keine Ehec-Bakterien. Trotzdem überprüften sie in dem Betrieb die Papiere und stellten fest, dass es Handelsbeziehungen zu mehreren großen Ausbruchsorten in Norddeutschland gab. "Vielleicht hat der Betrieb vor drei Wochen von irgendwoher einem Sack mit Samen erhalten und Sprossen daraus gezüchtet", stellt Hahne fest.

So weisen nach Angaben des niedersächischen Landwirtschaftsministers Gert Lindemann etwa zwei Fälle in Cuxhaven Verbindungen zu dem Biohof auf. "Das sind Betroffene, die Produkte aus Bienenbüttel konsumiert haben", so Lindemann.

Für den Verdacht spricht auch, dass nach neuesten Erkenntnissen des Landesgesundheitsamtes mindestens zwei Mitarbeiterinnen des Unternehmens an Ehec erkrankt waren. Doch von hier aus dürfte sich die Spur kaum weiter zur ursprünglichen Quelle verfolgen lassen. Denn welches Ausgangsprodukt kontaminiert war, lässt sich nicht mehr feststellen.

Ob der Verdacht sich bestätigt, ist offen. Bislang waren alle untersuchten Sprossen-Proben aus dem Betrieb in Bienenbüttel Ehec-frei. Und möglicherweise werden auch keine Proben mit den Bakterien mehr gefunden. Denn es könnte sein, dass die verunreinigte Ware längst vollständig in den Handel gebracht und schon verbraucht wurde.

Führen demnach alle Spuren ins Nichts? Und hätte man nicht gleich viel mehr Patienten befragen sollen, um möglichst viele Informationen über das Essverhalten der Betroffenen zu erfahren? Diesen Vorwurf weist das Robert-Koch-Institut weit von sich. "Es ist nicht entscheidend, möglichst viele einzelne Menschen zu befragen, sondern Patientengruppen", erklärt Susanne Glasmacher vom RKI.

Damit rechtfertigt die Sprecherin des Instituts auch, dass nicht mehr als etwa 40 RKI-Experten ausgesandt wurden, um Patienten zu befragen. Die Strategie ist, dass man größere Ausbrüche untersucht, sowie solche unter besonderen Umständen - etwa in Reisegruppen oder unter Kantinenbesuchern. Dann wird mit den Patienten und mit möglichst vielen Kontrollpersonen gesprochen - in der Hoffnung, festzustellen, welche Nahrungsmittel die Betroffenen häufiger verzehrt haben als die Gesunden.

Trotzdem wurden außerdem noch Fragebögen an die Länder geschickt, die den Gesundheitsämtern zur Verfügung stehen. Von dort können Ärzte in den Kliniken sie beziehen, um einzelne Patienten zu befragen. "Wenn verschiedene Leute solche Befragung durchführen, ist es schwierig, die Ergebnisse auszuwerten", stellt Glasmacher fest. "Aber man wollte es zumindest probieren."

Tatsächlich sind auch nach der Abreise der RKI-Experten zum Beispiel in Hamburg die Mitarbeiter der Gesundheitsämter noch immer unterwegs, um Patienten und die Angehörigen ausführlich zu befragen. Herausgekommen ist dabei bislang nichts, was dem Verdacht gegenüber Salat, Gurken und Tomaten widersprechen würde.

Mangelnde Koordination?

Wie aber sieht es mit dem offenbar unzureichend koordinierten Nebeneinander der Länder, Ministerien, Ämter und Behörden, Kliniken und Gesundheitsämter aus, das keine klare Linie erkennen lasse, wie es etwa Thomas Oppermann (SPD) bemängelte?

Dass etwa die Gesundheitsämter in den Ländern und Städten selbst Patienten befragen, hält Rico Schmidt von der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz für sinnvoll. "Darin haben die Gesundheitsämter Erfahrungen. Das RKI stellt die Bögen, und die Meldungen und Zahlen laufen dort zusammen. Da ist doch vieles koordiniert." Aber auch vieles unkoordiniert?

Vielleicht wurde die Epidemie zu Beginn unterschätzt, weil die einzelnen Länder die Fälle für sich gezählt hatten. Vielleicht wurden zu wenige Kräfte zu spät eingesetzt, um Patienten zu befragen, Proben zu nehmen, zu analysieren und Lieferwege zu prüfen. Vielleicht verfügen die Institute und Behörden auch einfach über zu wenige Experten.

Und es wäre vermutlich von Vorteil, wenn der Kampf gegen die Keime tatsächlich noch stärker von einer Institution koordiniert würde. Gerade hier würde sich das Robert-Koch-Institut in Berlin anbieten. Schließlich ist es "die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention", wie es auf der Seite des Instituts heißt.

Bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen des Ehec-Ausbruchs helfen, sich auf die nächste Epidemie besser vorzubereiten. Denn die kommt bestimmt.

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