Ehec-Erreger:"Wir werden weitere Menschen verlieren"

13 Tote, 1200 bestätigte oder mutmaßliche Fälle von Ehec-Infektionen - und die Zahl der Opfer wird weiter ansteigen, befürchten Experten, die trotzdem vor Panik warnen. Immerhin scheint die Behandlung mit einem neuen Wirkstoff erfolgreich zu verlaufen.

"Auch am Wochenende hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, dass der Zuwachs an neuen HUS-Fällen deutlich geringer wird." Mit diesen Worten hat Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks die aktuelle Entwicklung des Ehec-Ausbruchs kommentiert.

Zahl der EHEC-Infektionen in Hamburg nimmt zu

Das Marienkrankenhaus in Hamburg. Die Zahl der Ehec-Patienten ist in der Stadt auf mehr als 470 gewachsen. Zwei Menschen sind hier nach der Infektion mit den Bakterien gestorben.

(Foto: dpa)

Tatsächlich ist die Zahl der Todesopfer am Montag auf 13 gestiegen. Erstmals starben auch in Nordrhein-Westfalen zwei Menschen - eine Frau zwischen 40 und 50 Jahren und eine 91-Jährige. Beide lebten im Kreis Paderborn. Auch in Mecklenburg-Vorpommern starb erstmals ein Mensch an dem Erreger. Es handelt sich dabei um eine 87-jährige Frau aus dem Landkreis Parchim im Süden des Bundeslandes, die am vergangenen Mittwoch ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Bundesweit registrierten die Behörden mehr als 1200 bestätigte und Verdachtsfälle, davon allein in Hamburg bis Samstag mindestens 467. Viele Patienten liegen in äußerst kritischem Zustand auf der Intensivstation. Auch im Ausland wächst die Zahl der Patienten, die sich offenbar in Deutschland mit dem Erreger infiziert haben. So meldet Schweden bereits 36 bestätigte und Verdachtsfälle, in Dänemark wurde die Infektion bei elf Menschen diagnostiziert, die britische Gesundheitsbehörde hat bislang drei Fälle bei deutschen Staatsbürgern erfasst. Und Frankreich meldet drei Patienten. Alle Betroffenen haben sich offenbar in Deutschland infiziert.

Die deutschen Fachleute gehen davon aus, dass die Zahl der Schwererkrankten noch weiter steigen wird - selbst wenn die Menschen die Warnungen vor rohem Salat und Gemüse beherzigen. Denn die Krankheit kann bis zu zehn Tage nach der eigentlichen Ansteckung ausbrechen. "Wir werden weitere Menschen verlieren", sagte Jörg Debatin, Chef des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE).

Die Zahl der Menschen, die aufgrund einer Ehec-Infektion überhaupt erkranken, geht dagegen möglicherweise bereits wieder zurück. So melden die Behörden in Hamburg, dass am Wochenende weniger Neuerkrankungen und Verdachtsfälle gezählt wurden als in den Tagen zuvor. "Ich hoffe sehr, dass dies ein Indiz dafür ist, dass der Höhepunkt der Erkrankungswelle überschritten ist", teilte Prüfer-Storcks mit.

Auch das Ausland reagiert auf die Infektionen in Deutschland: Die russischen Gesundheitsbehörden haben die Einfuhr von einigen Frischgemüsesorten aus Deutschland und Spanien verboten. Betroffen sind Gurken, Tomaten und Salat.

In Berlin berät die Politik, wie auf die Ehec-Infektionen reagiert werden soll: Angesichts der Ehec-Ausbreitung sind Spitzenvertreter von Bund, Ländern und Behörden zu Beratungen zusammengekommen. "Es geht hier um Menschenleben", sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) vor dem Treffen im Robert-Koch-Institut (RKI). "Verbraucherschutz hat hier die oberste Priorität." Nun gehe es darum, sich auf die nächsten Schritte im Kampf gegen den Erreger zu einigen.

Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, warnte dagegen vor Panikmache. Die Lage lasse sich beherrschen, sagte Montgomery der Passauer Neuen Presse. Jeder könne sich schützen, indem er sich streng an die Empfehlungen des RKI halte, häufig die Hände wasche und vorübergehend auf bestimmtes Gemüse verzichte.

Immerhin scheint die Therapie von Ehec-Patienten mit einem Antikörper erfolgreich zu verlaufen, berichtet die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Dies könne bei aller gebotenen Vorsicht gesagt werden. Die Mediziner setzen bei den schweren Komplikationen von Ehec - dem sogenannten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) - auf den neuen Wirkstoff Eculizumab. Dieser Antikörper hatte 2010 bei drei Kindern die HUS-Symptome drastisch gebessert.

Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, fahnden die Fachleute weiter nach deren Ursprung. Doch noch immer "können wir schlicht nicht verlässlich sagen, was die eigentliche Infektionsquelle ist", erklärte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Reinhard Burger, im Bayerischen Rundfunk. Zwar haben Experten des Hamburger Hygieneinstituts vergangene Woche Ehec-Bakterien an drei Gurken spanischer Erzeuger entdeckt, eine vierte war über die Niederlande nach Hamburg gelangt - woher, ist noch unbekannt. Doch damit ist noch nicht klar, dass das Gemüse tatsächlich in Spanien mit den Erregern verunreinigt wurde. Das könnte auch auf dem Weg von dort zum Hamburger Großmarkt geschehen sein, oder auch in der Stadt selbst.

Dafür spricht auch, dass Gurken von zwei verschiedenen spanischen Herstellern in Andalusien betroffen waren. Darüber hinaus erklärten spanische Behörden, zumindest bei einem der Unternehmen hätten Tests keine Belastung mit den Keimen ergeben. Für den zweiten Erzeuger werden für heute Untersuchungsergebnisse erwartet. Bislang wurde in Spanien keine Ehec-Belastung entdeckt, auch Ehec-Patienten wurden noch nicht registriert.

Neue Spur in Mecklenburg-Vorpommern

Eine neue Spur könnten Gurken darstellen, an denen Lebensmittelkontrolleure in Mecklenburg-Vorpommern Hinweise auf eine Kontamination entdeckt haben. Bei drei Früchten sei Shigatoxin nachgewiesen worden - eine giftige Substanz, die von Coli-Bakterien produziert wird. Mit weiteren Tests müsse aber noch nachgewiesen werden, ob das Gift von Ehec-Erregern stammt. Die Ergebnisse werden nicht vor Mitte nächster Woche erwartet.

"Wir sind auf diese Gurken im Zusammenhang mit der Auswertung der Fragebögen von erkrankten Patienten gestoßen", sagte Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Till Backhaus (SPD) in Schwerin. "Insofern kann ein Zusammenhang mit der Erkrankung bestehen." Die Gurken wurden im Einzelhandel und in Gaststätten sichergestellt. Sie kamen aus unterschiedlichen Lieferungen. Nur wenn sich der Ehec-Verdacht erhärte, wolle man den Ursprung nennen, hieß es.

Sollte das Gemüse tatsächlich mit Ehec-Bakterien verunreinigt sein, könnte über die Lieferscheine möglicherweise dessen Weg zurück bis zu den Erzeugern nachvollzogen werden. Dort, wo die Transportwege sich gekreuzt haben, könnte es zur Verunreinigung gekommen sein. Dann ließe sich auch feststellen, welche Produkte außer Gurken noch kontaminiert sein könnten. Schließlich haben etliche Ehec-Patienten angegeben, keine Gurken verzehrt zu haben.

Aus diesen Gründen sehen sich die Behörden in Deutschland gezwungen, weiterhin allgemein vor dem Verzehr von rohen Gurken, Tomaten und Salat - insbesondere in Norddeutschland - zu warnen. Hamburgs Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks erklärte: "Es ist zu früh, um Entwarnung zu geben. Waschen oder Schälen bietet zwar einen guten Schutz, aber der Erreger kann auch in den Lebensmitteln sein. Wer auf Nummer sicher gehen will, der sollte im Moment auf gekochtes Gemüse umstellen."

Mediziner bitten die Bürger inzwischen, in dieser Woche Blut zu spenden. "Selbst wenn die Vorräte an Blutplasma noch ausreichen, so müssen wir doch bereits jetzt an die Zeit danach denken", unterstützte Prüfer-Storcks den Aufruf.

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