Dschungel:Sehnsucht nach der grünen Hölle

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Regenwald in Costa Rica (Foto: dpa)

Promis müssen sich im "Dschungelcamp" durch den Busch schlagen, Abenteurer und Forscher gehen freiwillig hin. Warum zieht es gerade die Deutschen in den Dschungel?

Von Joachim Käppner

Das Werk, befanden die Gutachter, sei verderbt und geeignet, das ungefestigte Gemüt junger Menschen zu verwirren und zu verstören. Daher entschied sich die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften 1954, das Groschenheft "Tarzan, der Dschungel brennt" auf den Index zu setzen. Nun gibt es sehr wenige Gründe, sich den Muff der frühen Fünfziger zurückzuwünschen. Aber ohne Reiz ist das Gedankenspiel nicht, was die rohrstockstrengen Bundesprüfer von damals wohl nach einer Folge des RTL-"Dschungelcamps" sagen würden; das heißt, wenn sie nicht Entkommen in einer spontanen Ohnmacht gesucht hätten.

Es soll Menschen geben, die überzeugt sind: Das "Dschungelcamp" mit seinen madenschluckenden C-Promis ist eigens erfunden worden, damit alle, wirklich alle Vorurteile gegen das Fernsehen endlich einmal Bestätigung erfahren: von den Anfängen des angeblich hirnaufweichenden Röhrenapparats über Neil Postmans sich vor der Glotze zu Tode amüsierenden Gesellschaft bis zur 1000-Sender-Reizüberflutung.

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Zu dem Format und seiner zehnten Staffel an dieser Stelle nur so viel: Was zum Himmel sucht ein eher cooler Typ wie der Arbeiterbarde Gunter Gabriel dort? Das kann doch nicht gut gehen. Hat Gabriel nicht unlängst noch dem Kölner Stadtanzeiger mitgeteilt: "Ich singe nicht für Daumenlutscher"? Was macht er dann mit ihnen im Dschungel? Seine Mitbewerber sollten jedenfalls gewarnt sein: "Und ich war zu impulsiv: Wenn mir einer blöd kam, habe ich ihm eine gelangt."

Der Dschungel als Grenzerlebnis der Existenz

Neben der Faszination am Ekel und der öffentlichen Bloßstellung scheint es der heimliche Hauptakteur zu sein, der viele Zuschauer anzieht: der Dschungel selbst. Scheinbar endlos und Ehrfurcht gebietend umgibt er das Trottelcamp, als gebe es tatsächlich keine Möglichkeit, ihm mittels des nächsten Linienflugs zu entrinnen. Von dieser Illusion lebt die Sache schließlich. Sonst würde man ja denken: Was ist eigentlich los mit der Blonden da, die gerade rohe Affenleber lutscht, obwohl sie doch im nächsten Restaurant ein herrliches Pfeffersteak bekommen könnte?

Der Dschungel aber suggeriert ein Grenzerlebnis menschlicher Existenz. Er hat seinerseits schon viele verschluckt, die sich in ihn hineinwagten; man kann hier verhungern mitten im üppigsten, blühenden Leben, von den schönsten Pflanzen und kleinen bunten Amphibien tödlich vergiftet oder zuletzt an einem stillen See gesehen werden, den leider ein schwarzer Kaiman als den seinen betrachtet. Wer den Dschungel betritt, begibt sich in einen anderen, unbehaglichen Zustand: Es ist heiß hier, oft halbdunkel, und sehr laut, irgendwo unsichtbar in den Wipfeln krakeelen Affen und Papageien. Überquert man ein Wasserloch, ist man gut beraten, den Baum anzuschauen, an dem die Hand Halt sucht: Feuerameisen, Giftfrösche und bissige Spinnen nehmen Störungen gar nicht gut auf.

Der Urwald ist nicht für Menschen geschaffen. Aber die Menschen wollen das nicht wahrhaben

Vor wenigen Jahren begab sich ein Bundeswehrsoldat, Mitglied einer Eliteeinheit, in den tiefsten peruanischen Regenwald, um hier jene Grenzerfahrung zu suchen, die ihm das Überlebenstraining in der Nordeifel wohl nicht mehr zu bieten vermochte. Mit einem einheimischen Guide machte er sich auf den Weg in das Reich der Aras, Piranhas und Jaguare. Er hat das Abenteuer bekommen, als er überlegen lächelnd die Mahnungen des Führers beiseitewischte, keinesfalls das Wasser aus dem See zu trinken, da der Magen des weißen Mannes dieser Herausforderung nicht gewachsen sei. Wo, wenn nicht hier, sei das Wasser noch echt öko, sagte der Deutsche und trank in genussvollen Schlucken. Der Peruaner benötigte dann 48 Stunden, um seinen delirierenden, spuckenden Gast ins nächste Dorf zu schleppen; weitere zwei Tage später erreichten sie per Boot gerade noch rechtzeitig das nächste Provinzkrankenhaus. Das, sagt der Mann aus Peru höflich, sei das Problem der neuerdings auch bei Deutschen immer beliebteren Dschungel-Extrem-Touren: "Die Menschen bei euch haben eine romantische Vorstellung vom Dschungel, vom bedrohten letzten Paradies. Aber es ist nicht für die Menschen geschaffen."

Mehr Umsicht hatte Juliane Koepcke, die 1971 als einzige einen Flugzeugabsturz über dem Regenwald Perus überlebte, bei dem auch ihre Mutter starb. Das Mädchen, erst 17 Jahre alt, schlug sich trotz einer Gehirnerschütterung und etlicher Verletzungen elf Tage durch den Dschungel. Sie hatte nur ein Sommerkleid, eine Sandale und eine Tüte Bonbons bei sich und hätte sicher nicht überlebt, hätten ihre Eltern sie nicht unbewusst darauf vorbereitet. Ihr Vater hatte die Forschungsstation "Panguana" gegründet, um die Ökologie des Urwalds zu untersuchen, die den Europäern damals noch herzlich gleichgültig war; von Klimawandel sprach noch niemand. Ihre Mutter war Ornithologin gewesen.

Juliane Koepcke hatte, wie sie später in ihrem Buch "Als ich vom Himmel fiel" schrieb, den Dschungel nie als "grüne Hölle" erlebt. Als Kind "lernte ich seine Regeln kennen, erkundete seine Pflanzen und Tiere". Jetzt rettete er ihr das Leben: Die dichte Vegetation dämpfte den Aufprall, sie fand Essbares und folgte, wie es der Vater ihr beigebracht hatte, immer dem Wasser. Erst dem Lauf eines Bachs, dann eines Flusses, er führte sie irgendwann zu einer menschlichen Siedlung.

Heute macht sich Juliane Koepcke für die Rettung des Regenwaldes stark, ein Thema, das die umweltbewussten Deutschen mindestens so sehr umtreibt wie das Schicksal der Wale. Der Raubbau am Amazonas, in Afrika und Asien gefährdet das Klima und ein einzigartiges Ökosystem. Je weniger aber vom Dschungel bleibt, desto mehr gerät er zum mystischen Ort, einer Parallelwelt zur geheimnislosen Gegenwart. Immer neue Anbieter von Extremtouren werben mit dem Lockruf der Wildnis: "Auf dieser Tour müssen Sie sich sowohl ihr Essen im Urwald suchen, Ihr Nachtlager selbst aufbauen und vor wilden Tieren schützen!" Der Regenwald hat auch auf die Deutschen enorme Anziehungskraft.

Das war bei den ersten, die ihn aufsuchten, nicht anders. Der Entdecker Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied berichtete 1815 verzückt aus Brasilien, wo "an den in Menge hier blühenden schönen Tropengewächsen unzählige Colibris und Fliegenvögel schnurrend umherflatterten"; hinter dem Haus "begann der dunkel und wild verflochtene Hochwald, wo man die Erhabenheit der tropischen Flora bewundern konnte. Für den eben aus dem Norden anlangenden Europäer ein unendlicher Genuss."

Alexander von Humboldt liebte die Gesellschaft von Boas und Krokodilen. Nur die "Mosquiten" nervten gewaltig

Aus Deutschland kam auch der berühmteste Dschungelforscher, Alexander von Humboldt, der große Naturwissenschaftler. Die Länder Südamerikas, die er zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchstreifte und beschrieb, waren teils von kaum durchdringlichem Wald bedeckt: "Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Jaguaren", schrieb Humboldt, "nichts genießend als Reis, Ameisen, Manioc, Pisang, Orenocowasser und bisweilen Affen. In Guayana, wo man wegen der Mosquiten, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muß, ist es fast unmöglich am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift der Insekten." Und doch war er ergriffen von der ungeheuren Natur.

Vielleicht ist der Dschungel für Deutsche auch deshalb eine reizvolle Angelegenheit, weil sie in ihrer Geschichte trotz Humboldt nur begrenzt Kontakt zu ihm hatten. Ihre großen Forschungsreisenden wie Heinrich Barth durchquerten die arabischen Wüsten, die Savannenländer Afrikas; ihre kurzlebigen Kolonien waren eher Wüsteneien wie Südwest-Afrika oder weites offenes Land wie in Ostafrika. Joseph Conrads "Herz der Finsternis" in den Regenwäldern Innerafrikas streiften sie nur. Eine Ausnahme bildete das regenreiche Kamerun, wo der Forscher Gustav Nachtigal 1884 die deutsche Flagge hisste. 2014 hat das Goethe-Institut eine Lesereihe mit dem hübschen Titel "Hummer im Dschungel von Kamerun" abgehalten, um auf die letzten kulturellen Spuren dieser wie ein Spuk verflogenen Herrschaft aufmerksam zu machen - die für die Einheimischen meist ein böser Spuk war.

Seltsam freilich, dass viele Deutsche den Dschungel zwar lieben, aber nicht vor der eigenen Haustür. Regenwald schützen: ja bitte - aber ein deutscher Wald hat doch ein ordentlicher Nutzwald zu sein, in dem nicht alles durcheinander liegt und nicht einfach alles wächst, wie es ihm gefällt. Der Naturwald, den Kurt Tucholsky bei seiner Spessartwanderung 1927 als "wilden, ungeheuren Wald" pries, gilt heute als Jauchepfuhl für den Borkenkäfer. Kritiker des Nationalparks Nordschwarzwald wandten ein, dann sei der Wald doch "ungenutzt und durch den Menschen nicht gesteuert", ja gar "eine Wildnis". Selbst moderne Förster, die im Nutzwald den Biber seine Baue errichten oder alte Baumgruppen stehen lassen, damit die Raben zurückkommen, müssen sich bei Bürgerversammlungen Vorwürfe anhören, der Wald sei doch kein Dschungel.

Wenn der Dschungel also eher ein Sehnsuchtsort ist, dann muss das Dschungelcamp so etwas wie der Abklatsch dieser Sehnsucht sein. Alexander von Humboldt hat eine solche Verflachung des Naturerlebnisses vielleicht vorausgeahnt, als er schrieb: "Da die unwissenschaftliche Neugier der immer mehr ins Detail dringenden Forschung nicht folgen kann, so begreift sich, daß heutige Reisebeschreibungen nicht den Reiz haben und den Einfluß üben können wie früher", eine Entfremdung der Menschen zu ihrer Umwelt sei eingetreten, "seit es keine Naturwunder im früheren Sinne mehr gibt".

Das wird jetzt doch ein wenig kompliziert für das Dschungelcamp. Halten wir es lieber mit King Louis aus dem "Dschungelbuch", der im Disney-Zeichentrickfilm König ist im Affenland und das Menschenkind Mogli beneidet. Mit dem tanzt Louis durch die Ruinenstadt im Dschungel und singt:

"Oh dubidu (hubgiwi) Ich wäre gern wie du-hu-u (habdibudibubao)

Ich möchte gehn, wie du, (tschip)

stehn, wie du, (tschip) du-hu-u

Du wirst schon sehn u-hu (schubidu)

Ein Affe kann, kann, kann (schubidubidubi)

Sein, wie ein Mann

So ein Mann, wie du-hu-u."

Ein Affe, der sein will wie ein Mann? Seit dem Dschungelcamp wissen wir, dass dies auch umgekehrt geht.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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