Dinosaurier:Giganten des Südens

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Argentinien steht im Ruf eines Dorados für Dinosaurier-Forscher: Dort haben Paläontologen die Fossilien der größten, ältesten und skurrilsten Urzeit-Reptilien entdeckt.

Beate Kittl

Es war ein greller, heißer Tag, typisch für die Wüstenei des Valle de la Luna im Norden Argentiniens. Der Paläontologe Ricardo Martínez vom Naturhistorischen Museum San Juan lag auf dem Boden, suchte die Erde nach winzigen Knochenresten ab - und entdeckte einen der ältesten Dinosaurier der Welt.

Der größte bislang bekannte Fleischfresser auf dem Land: Giganotosaurus. (Foto: Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg)

Das fast vollständige Skelett war eine Sensation, denn aus der Zeit der allerersten Dinosaurier vor rund 228 Millionen Jahren sind weltweit kaum Funde bekannt. Als Panphagia, den Allesfresser, beschrieben Martínez und sein Kollege Oscar Alcober unlängst das hundegroße Tier im Fachblatt PLoS One, da es zwar einen Raubtierschädel, aber die Zähne eines Pflanzenfressers besaß.

Spektakuläre Funde wie dieser haben Argentinien den Ruf eines Dorados für Dinosaurier-Forscher beschert. "Argentinien darf sich der größten, ältesten und der skurrilsten Saurier rühmen", sagt Fernando Novas vom argentinischen Museum für Naturgeschichte, einer der führenden Paläontologen des Landes. Das Land punktet mit dem größten Saurier aller Zeiten, dem rund 38 Meter langen und 100 Tonnen schweren Pflanzenfresser Argentinosaurus huinculensis. 1995 entthronte der Giganotosaurus carolinii aus Patagonien den Tyrannosaurus rex als größtes Raubtier aller Zeiten - um 2006 wiederum vom Mapusaurus roseae, einem 12Meter langen Ungetüm, übertrumpft zu werden.

Vom heutigen Samstag an zeigt das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt Dinosaurier der Südhalbkugel und würdigt die Bedeutung Argentiniens für Saurierforscher. Unter anderen präsentiert die Ausstellung " GigaSaurier - Die Riesen Argentiniens" Knochen und rekonstruierte Skelette des Argentinosaurus, Giganotosaurus und des Panphagia.

Argentiniens dünn besiedelte Steppen liefern eine beinahe lückenlose Geschichte der Dinosaurierzeit, von den triassischen Proto-Sauriern im Valle de la Luna bis zum Aussterben der Riesenechsen in der Kreide. "Am interessantesten sind die frühen Funde, da sie die Evolution der basalen Dinosaurier verstehen helfen", sagt Christian Meyer, Direktor des Naturhistorischen Museums Basel. Panphagia etwa wirft neues Licht auf den Ursprung der pflanzenfressenden Riesensaurier der Kreide: Ihre Entwicklung muss schon vor 240 Millionen Jahren begonnen haben - 35Millionen Jahre früher als gedacht.

Jeder Fund ist eine neue Überraschung und kann lang gehegte Theorien über den Haufen werfen. Die Entdeckung des weltweit ältesten Dromaeosaurus in Argentinien, einer Gruppe flinker, hundegroßer Saurier, widerlegte die These, dass diese Gattung von der nördlichen Hemisphäre nach Süden migriert war.

"Es war umgekehrt", sagt Juan Porfiri von der Universidad Nacional del Comahue in der patagonischen Provinz Neuquén. "Wir fanden den ältesten." Ebenso war bis zur Entdeckung eines Raptors - eines Verwandten des Velociraptors - in Patagonien unbekannt, dass diese Gruppe im Süden überhaupt vorkam.

Einige Besonderheiten Argentiniens machen die Region zur einzigartigen Fossilienfundgrube. Die Aufspaltung des Urkontinents Pangaea begünstigte die Evolution neuer Saurierarten im Süden, die ihre Blüte in der Kreide vor 145 Millionen Jahren erreichten. "Es entstand eine enorme Vielfalt kleiner und riesiger Arten", sagt Novas. Später legte die Auffaltung der Anden die tiefer liegenden Schichten wieder frei, in denen unzählige Fossilien ruhen.

Heute sind immense Landstriche wie Patagonien leer und vegetationslos. "Ich kann durch die Wüste laufen und mit bloßem Auge Dinosaurier finden", sagt Porfiri, der unlängst beim Barreales-See in Neuquén einen Fleischfresser von geschätzten acht Metern Länge ausgrub. Wer ins Seewasser watet, tritt auf Wirbel und Rippen von großen pflanzenfressenden Dinosauriern.

Einer davon war der Futalongkosaurus dukei, einer der größten Dinosaurier und eines der komplettesten Skelette der Welt. Das mannshohe Becken und die an einen Baumstamm erinnernde Wirbelsäule sind im nahen Mini-Museum ausgestellt. Der Gigantismus bei Pflanzen- wie Fleischfressern ist eines der ungelösten Rätsel der Dinosaurier aus dem Süden.

Überhaupt gleicht die Interpretation von Fossilien oft einem Drahtseilakt zwischen Wissenschaft und Paläo-Fiktion. Manchmal werden aus nur einem Knochen - etwa der gewaltigen Klaue des Riesenräubers Megaraptor, die lange das einzige Fundstück war - Schlüsse über Verwandtschaftsverhältnisse, Körpergröße oder Verhaltensweisen gezogen. "Moderne Ökologen lachen uns aus, wenn wir über die Ökosysteme der Urzeit spekulieren", sagt Alcober. "Doch die wenigen Stücke sind alles, was wir haben." Vermutungen sind eben auch Teil seriöser naturgeschichtlicher Forschung.

Andere Funde erzählen mehr über die Lebensweise der Dinosaurier. Zum Beispiel belegt ein gewaltiges Titanosaurier-Brutgebiet in Neuquén mit Tausenden Eiern, Embryonen und weltweit einmaligen Hautabdrücken, dass die Ur-Echsen so etwas wie kommunale Brutplätze hatten. Fußabdrücke wie die Spuren von Giganotosauriern in Villa El Chocón in Neuquén dokumentieren die Wanderungen der Riesen durch das einstige Flusstal, ihre Geschwindigkeit und Gruppengröße. Profaner nutzten die Einheimischen früher die einen halben Meter großen Vertiefungen: Sie grillten sonntags darin ihre Steaks.

Längst haben auch die Dinosaurier ihren Platz im Nationalstolz Argentiniens gefunden. "Wir erleben hier ein goldenes Zeitalter der Paläontologie", sagt Novas. Er plant, mit Kollegen aus Indien und Brasilien eine internationale Forschungsinitiative zu gründen, um die Geschichte der Dinosaurier neu zu schreiben - die bislang kaum bekannte südliche Hälfte der Geschichte.

© SZ vom 03.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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